Häupl: „Werden nicht aus jedem Macho Semi-Feministen machen“

Michael Häupl
Michael Häupl(c) Stanislav Jenis
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Wiens Bürgermeister, Michael Häupl, will das Flüchtlingsheim in Erdberg auch ohne Ja vom Innenministerium „still“ übernehmen.

Die Presse:Das Thema Flüchtlinge beherrscht den Wahlkampf. Sie vertreten dabei eine ähnliche Position wie die deutsche Bundeskanzlerin, der Sie vor einem halben Jahr noch in kaum einem Thema nahegestanden sind. Überrascht Sie das?

Michael Häupl: Jeder, der mich kennt, kennt meine Haltung: Menschen, die vor Mord und Tod davonlaufen und um Hilfe bitten, muss geholfen werden. Ohne Wenn und Aber. Dabei habe ich weder an den Wahlkampf noch an Frau Merkel gedacht. Aber ich hoffe, dass sie und Werner Faymann sich auf dem EU-Sondergipfel durchsetzen.

Sie haben gesagt, dass hinter Ihrer Haltung keine Strategie steckt, und das wollen wir Ihnen glauben, aber inzwischen werden Sie nachdenken, ob Ihnen Ihre Haltung am Wahltag nutzt oder schadet.

Ich weiß es nicht. Aber hier stehe ich und kann nicht anders, hat schon Martin Luther gesagt. Das Schöne an einer Demokratie ist: Man kann mich dafür wählen, kann es aber auch bleiben lassen.

Andere Sozialdemokraten vertreten durchaus eine andere Position.

In der österreichischen Sozialdemokratie habe ich keinen Widerspruch. Aber ja, in Tschechien und der Slowakei regieren Sozialdemokraten, und die sehen das anders. Aber das wird schon noch werden.

Ich habe heute mit einem SPÖ-Wähler geredet, der mir zur Asylfrage gesagt hat: „Ich will, dass die SPÖ durchgreift, bevor Strache es tut.“ Man hat den Eindruck: Die Leute warten darauf, dass die Politik einen Plan vorlegt. Haben Sie einen?

Ja, ich habe einen Plan, aber ich glaube, was dieser SPÖ-Wähler signalisiert hat, war etwas anderes: Es gibt eine in der Gesellschaft und auch in meiner Partei verankerte Sehnsucht nach einem starken Mann. Man kann ernsthaft darüber diskutieren, ob die Politik dieser Forderung nach Leadership heutzutage gerecht wird, aber nicht in Wahlkampfzeiten.

Uns interessiert ohnehin mehr der Plan.

Den sieht man doch: Es gibt in Wien weder Zelt- noch Containerstädte, kein Chaos, es wird alles höchst professionell erledigt.

Ich denke, die Leute wollen konkrete Antworten: Wie viele kann Wien aufnehmen, wie viele werden bleiben, wie viel wird das kosten, was bedeutet das für die Stadt?

Sorry, ich weiß nicht, wie viele noch kommen. Vorvorgestern Nacht waren es 5500, vergangene Nacht sieben. Von den 25.000, die zuletzt durch Österreich durchgefahren sind, haben sehr wenige um Asyl angesucht. Wir müssen unterscheiden: Wer will bleiben, und wer sieht uns sozusagen als Flüchtlings-Jausenstation. Für Letztere brauchen wir Notquartiere, für die anderen brauchen wir eine Bleibe. Ich verstehe, dass dazu viele Fragen gestellt werden, aber ich kann sie nicht beantworten.

Gibt es für Sie eine Obergrenze, wie viele Wien aufnehmen kann? (Publikumsfrage)

Ich kann und will keine nennen, denn das hängt vom Kriegsverlauf in Syrien ab, auf den ich keinen Einfluss habe. Aber: Wir haben jetzt 11.000 Asylwerber in Wien, während des Bosnien-Kriegs hatten wir 80.000. So gesehen hat Christian Konrad recht: Es gibt noch Luft nach oben. Aber eines muss man ehrlich dazusagen: Wenn 80.000 Flüchtlinge in Wien sind, dann sieht man sie auch. Dann ist es nicht mehr wie derzeit zu organisieren, dass man sie in Wien de facto nicht bemerkt. Dann wird es auch Containerunterbringung geben. Es spricht nur nicht viel dafür, dass es so weit kommt.

Wobei beim Bosnien-Krieg viele bei Verwandten untergekommen sind.

Das stimmt, aber auch jetzt sind in Wien mehr als drei Viertel der Asylwerber privat untergebracht und nicht in Großquartieren.

Wien will das Flüchtlingsheim in Erdberg vom Innenministerium übernehmen. Haben Sie schon eine Antwort?

Wir haben das deswegen angeboten, weil dort sehr viele unbegleitete Minderjährige untergebracht sind. Fast alle sprechen sehr gut Englisch, sind sehr gut ausgebildet. Die muss man betreuen, und das können Securities nicht. Es wäre nötig, Deutschkurse anzubieten, was wir ohnehin tun. Aber das Innenministerium hat noch nicht entschieden.

Es gab gar keine Antwort?

Doch, aber das war im Grenzbereich zum Blödsinn. Aber es ist mir eigentlich egal. Wir übernehmen das still, wir machen das einfach.

In Deutschland hat eine Leitkultur-Debatte begonnen, darüber, wie man den Flüchtlingen rechtliche Regeln und Werte vermittelt: die Gleichstellung von Mann und Frau, die Akzeptanz von Homosexualität etc. Wäre das auch in Wien nötig?

Wir machen das bereits. Erstens: Deutschkurse. Deutsch ist eine Conditio sine qua non für jegliche weitere Integration. Zweitens: Es geht nicht nur um Grundwerte, sondern um Gesetze. Das bringt man so bei, indem man sagt: Das ist einfach so bei uns. Wir werden zwar nicht aus jedem Macho einen Semi-Feministen machen, aber das gelingt uns ja bei unseren eigenen Leuten auch nicht. Menschenrechte sind jedoch einzuhalten. Das fällt unter das Strafgesetz.

Aber wie wollen Sie etwa Akzeptanz von Homosexuellen durchsetzen?

Zugegeben, darüber muss man reden. Man muss den Jugendlichen auch beibringen, dass nicht jede Frau, die einen Minirock trägt, verfügbar ist. Wir haben etwa 600 Jugendliche, die über das schulpflichtige Alter hinaus sind und über die Familienzusammenführung zu uns gekommen sind. Diese sprechen kein Deutsch und haben keine Ausbildung. Sie treiben sich in den Parks herum und sind ein Problem. Dafür gibt es unsere Native-Speaker-Sozialarbeiter. Die spielen mit ihnen das Himmel-und-Hölle-Spiel. Das heißt: Entweder du kommst mit uns und lernst Deutsch, bekommst eine Ausbildung. Das ist der Himmel. Oder: Du treibst dich weiter herum und wirst über kurz oder lang straffällig. Und dann werfen wir dich raus. Das ist die Hölle.

Was heißt rauswerfen?

Abschieben.

Sie weisen bei Ihren Ansprachen stets selbst darauf hin, dass einige Genossen Rot-Blau nicht abgeneigt wären. Wie viele sind einige?

Zwei bis drei.

Prozent?

Leute. Natürlich kenne ich das Argument, dass wir mit der FPÖ leichter Sozialpolitik machen könnten als mit den Grünen oder mit der ÖVP. Die Wahrheit ist: Die FPÖ hat sowohl im Nationalrat als auch im Gemeinderat gegen alle Sozialmaßnahmen gestimmt.

Trotzdem hört man, dass SPÖ-Funktionäre unverhohlen andeuten, dass es mit der FPÖ leichter ginge.

Diese Gerüchte kenne ich nicht, und ich glaube sie auch nicht.

Ihre Koalition mit den Grünen war atmosphärisch fast schwieriger als inhaltlich.Denn Sie haben ja gesagt: Lieber streite ich über Verkehrspolitik als über Bildung.

Und diesen Streit haben wir ausgekostet. Inhaltlich stehe ich zu Projekten wie der Mariahilfer Straße. Was das Atmosphärische betrifft: In der Umsetzung mit den Grünen war vieles unprofessionell, Konflikte sind sehr schnell persönlich geworden. Zum Schluss wollten die Grünen dann gemeinsam mit ÖVP und FPÖ in der Wahlrechtsfrage ihre Position durchsetzen. Und ich bin keiner, der auch die andere Backe hinhält.

Sie haben sich vor der Abstimmung von den Grünen einen Abgeordneten geholt. Sind Sie ein Machiavellist?

Ich weiß, was ich will, und ich lasse mir nichts gefallen. Wenn das für Sie ein Machtmensch ist – bitte. Ich habe ihn nicht abgeworben, er ist zu uns gekommen.

Dass heißt: Wenn Reinhold Lopatka Nationalratsabgeordnete vom Team Stronach zur ÖVP holt, ist das okay?

Das ist seine Sache.

Reden wir über Geld: Die Stadt Wien wird heuer vermutlich die Fünf-Milliarden-Euro-Schuldengrenze überschreiten. 2009 waren es keine zwei. Das ist schnell gegangen, oder?

Es werden keine fünf, wir reden circa von 4,5 Milliarden, das ist ein Drittel unseres Jahresbudgets. Und Sie wissen schon, dass 2008 die größte Weltwirtschaftskrise seit der Zwischenkriegszeit ausgebrochen ist. Wir haben uns bemüht, das Investitionsvolumen aufrechtzuerhalten. Die 2,5 Milliarden sind in Investitionen geflossen, um das Wirtschaftswachstum und den Arbeitsmarkt zu fördern. Aber wir müssen uns aus dieser Krise herausinvestieren, nicht heraussparen. Dazu muss man sich nur in Europa umschauen.

Irland und Spanien haben ein höheres Wirtschaftswachstum als Österreich.

Ja, aber aufgrund unterschiedlichster Entwicklungen, und vergessen wir nicht die unterschiedlichen Niveaus und die deutlich höhere Arbeitslosigkeit. Ich will, dass man uns als Kommune erlaubt, nachhaltige Investitionen zu tätigen. Ich bekäme von der europäischen Investitionsbank sofort vier Milliarden Euro zu etwa einem Prozent Zinsen auf 30 Jahre. Das ist ein geschenktes Geld.

Man hat sich für 2016 ein Nulldefizit vorgenommen. Wird man das erreichen?

Der Finanzminister ist gerade dabei, das zu interpretieren. Ein strukturelles Defizit ist ein Zauberwort dafür, dass man das Nulldefizit nicht einhält – und zwar alle halten es nicht ein. Ich war ja nie ein Fan des Nulldefizits.

Aber es war ausgemacht.

Richtig, aber das Nulldefizit ist kein pseudoreligiöser Fetisch. Zusätzliche Schulden für nachhaltige Investitionen sind sinnvoll. Ich bin aber kein Fan davon, dass man den Aufwand für Flüchtlinge herausrechnet. Das muss man durch effizientere Verwaltung hereinbringen.

Ihr Wohnbaustadtrat hat kürzlich gesagt, man müsse erst evaluieren, ob der neue Gemeindebau teurer wird als die Smart-Wohnungen. Ist das langfristige Comeback des Gemeindebaus noch nicht fix?

Natürlich haben wir lang diskutiert, welches dieser – von der Finanzierung her ähnlichen – Modelle billiger ist. Es geht ja im Kern darum, dass nur Miete und keine Grund- und Baukostenbeiträge zu leisten sind. Für den Mieter muss es möglichst günstig sein. Es könnte auch sein, dass wir die Smart-Wohnungen in diese Richtung adaptieren, und dann heißen sie alle Gemeindebau.

Man benennt sie einfach um?

Hauptsache günstig. Dann ist es egal, welches Schild an der Tür hängt.

Erste-Chef Andreas Treichl hat nun seinen Vertrag bis 2020 verlängert. Haben Sie das auch vor?

Das ist ganz einfach: Wenn ich am 11.Oktober eine Vertragsverlängerung bekomme, dann geht das in Ordnung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2015)

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