Provokationen auf Kosten der Republik

Martin Graf ist als Dritter Nationalratspräsident fehl am Platz, Wutgeheul und Verlogenheit der SPÖ sind es auch.

Bemitleidenswertes Österreich: Dieses Land hätte in diesen Tagen und Wochen sicherlich Wichtigeres zu tun, als sich mit den Provokationen eines deplatzierten Dritten Nationalratspräsidenten herumzuschlagen. Die Regierung und selbst die Oppositionsparteien mit ihrer Schelte für den Budgetkurs der Koalition, so viel guter Wille sei ihnen unterstellt, kämpfen noch immer darum, die Folgen der Wirtschaftskrise abzufangen. Da hat der ranghöchste freiheitliche Politiker, also Martin Graf, nichts Wichtigeres zu tun, als ungeniert antisemitische Ressentiments zu schüren. Nichts anderes sind Grafs Ausritte gegen den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Ariel Muzicant.

Die Behauptung, Muzicant sei der „verlängerte Arm“ des „gewalttätigen linken Mobs“, einen solchen Unsinn glaubt Graf nicht einmal selbst. Abgefeimter ist jedoch, dass Graf sich bei seiner Frontalattacke auf Muzicant hinter der Formulierung versteckt, es würden sich „schon viele Bürger fragen, ob er nicht als Ziehvater des antifaschistischen Linksterrorismus“ bezeichnet werden sollte.

Nur zur unmissverständlichen Klarstellung: Auslöser für Grafs unsinnigen verbalen Amoklauf war offenkundig Muzicants Breitseite im Interview mit der „Presse am Sonntag“, wonach ihn das „Gehetze“ von FPÖ-Generalsekretär Kickl an Joseph Goebbels erinnere. Dieser völlig überzogene Vergleich würde, wenn er nicht aus dem Mund des Chefs der Israelitischen Kultusgemeinde käme, glatt unter Verharmlosung des Treibens des NS-Propagandachefs fallen.


Aber wird nicht Martin Graf und mit ihm die FPÖ zu sehr aufgewertet, wenn ihn die halbe Republik zum Rücktritt auffordert – wohl wissend, dass der Dritte Parlamentspräsident de facto nur selbst auf dieses Amt verzichten kann? Tatsächlich ist das bisherige beruflich-politische Wirken Grafs nicht der Rede wert. Gut, in Seibersdorf hat er, wie die Schelte des Rechnungshofs zeigt, bewiesen, dass entgegen den blauen Sagen und Märchen auch ein FPÖ-Politiker ordentlich abkassieren kann. Diese Selbstentlarvung gehört wirklich ausgiebig gewürdigt.

Und sonst? Sonst machte Graf in den vergangenen Monaten vor allem als Chef junger Mitarbeiter im Parlament von sich reden, die früher ihre seltsamen T-Shirt- und Modevorlieben offenbar nur bei einem einschlägigen rechten Versand befriedigen konnten.

Warum Graf dennoch mehr Aufmerksamkeit verdient, als ihm eigentlich zusteht? Erstens: Als Dritter Nationalratspräsident ist er eben nicht mehr der siebente blaue Schlumpf von links, sondern zumindest nominell einer der Spitzenrepräsentanten der Republik – vor allem auch für das und gegenüber dem Ausland. Zweitens: Seine Ausritte passen genau in jene (EU)-Wahlkampflinie, die inzwischen so bewusst gefahren wird, dass niemand mehr an einen Zufall glauben kann: Es geht um das – von der FPÖ-Führung geleugnete – zumindest unterschwellige Schüren von Ressentiments gegen Israel.


Allerdings ist auch das jetzige Protest- und Rücktrittsgeheul, das in ÖVP und SPÖ, von Bundeskanzler Faymann abwärts, eingesetzt hat, eine Beleidigung der Intelligenz der Österreicher. Aus seiner Geisteshaltung hat Graf nie ein Hehl gemacht, dennoch haben ihn SPÖ- und ÖVP-Mandatare zum Dritten Nationalratspräsidenten gewählt. Das Anrecht der drittstärksten Fraktion, also der FPÖ, auf diesen Posten wäre auch mit einem anderen FPÖ-Kandidaten gewahrt geblieben.

Die ganze Heuchelei der SPÖ bezüglich der Person Martin Graf zeigt sich aber vor allem darin, dass die Sozialdemokraten unmittelbar vor der Nationalratswahl im September 2008 noch keinerlei Berührungsängste gezeigt haben. Ganz im Gegenteil. Da durfte Graf als Wissenschaftssprecher sogar noch auf dem Schoß von Faymann und SPÖ-Klubchef Josef Cap herumrutschen, als die Roten die FPÖ zur Abschaffung der Uni-Gebühren brauchten. Und von den Grünen wurde Graf gleichzeitig ganz liebevoll gehätschelt. Da wirkt die nun vom SPÖ-Chef demonstrativ gezogene Trennlinie zur FPÖ unglaubwürdig. Manche SPÖ-Provinzpolitiker halten sich ja ohnehin nicht daran und turteln mit ihren blauen Lokalgrößen vor Wahlen noch immer.

Opportunismus österreichischer Prägung in Reinkultur: Graf und die FPÖ betreiben auf Kosten und zum internationalen Schaden der Republik billigen Stimmenfang. SPÖ und Grüne versuchen mit ihrer verlogenen Haltung dasselbe.

Grafs neue Ausritte gegen Muzicant Seite 1
Rot-grüne Rücktrittsaufforderungen Seite 2

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2009)

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