Die Zahl der gläubigen Besucher an den heiligsten Stätten des Islam zum Opferfest ist heuer erstmal seit Jahren leicht gesunken. 1,3 Millionen Muslime kommen nach Mekka - Iraker, Jemeniten und Syrer sind kaum dabei.
Kairo. „Sie werden zu Fuß kommen und auf jedem klapprigen Kamel, aus tiefen Tälern und entlegenen Bergen“, heißt es in Koran. Seit drei Wochen landen in speziellen Pilgerterminals von Jeddah und Medina wieder die Hadsch-Sondermaschinen aus allen Winkeln der Erde. Erstmals jedoch erleben die Pilger ein Saudiarabien, das von der Krise der arabischen Welt zunehmend erschüttert wird. Der spektakuläre Kranunfall ausgerechnet im Zentrum des Mekka-Heiligtums, der 109 Betende das Leben kostete, wirkte wie ein düsteres Omen.
Seit März befindet sich das Königshaus im Krieg gegen den Jemen, der bisher 5000 Menschen das Leben kostete. Der Islamische Staat (IS) steht an seiner Ostgrenze mit dem Irak. Auf eigenem Boden erlebte die superreiche Wüstennation in den vergangenen Monaten drei IS-Selbstmordattentate auf Moscheen mit mehr als 40 Toten. Im syrischen Bürgerkrieg ist Riad mit seiner Waffenhilfe für islamistische Rebellenbrigaden einer der strategischen Hauptakteure. Und die westliche Annäherung an seinen regionalen Intimfeind Iran beunruhigt die Führung mehr als alles andere.
Obendrein ist die Zahl der Hadsch-Besucher 2015 erstmals leicht gesunken – auch weil aus den Kriegsgebieten Jemen, Irak und Syrien nur noch wenige anreisen können. 1,3 Millionen Gläubige aus 164 Nationen erleben heuer mit dem Gebet am Berg Arafat und dem islamischen Opferfest den Höhepunkt ihrer spirituellen Reise. Die meisten kommen aus Indonesien, gefolgt von Pakistan und dem Iran.
In der Farbe der Reinheit
Das Treffen an den heiligsten Stätten des Islam gehört zu den größten religiösen Ereignissen des Globus. Als Zeichen der Gleichheit und rituellen Reinheit tragen alle Männer und Frauen weiße Gewänder. Zunächst umrunden die Gläubigen siebenmal den schwarzen Stein der Kaaba in der Großen Moschee, in deren Richtung gläubige Muslime aus aller Welt ihre Gebete sprechen. Dann übernachten die Massen in einer eigens dafür errichteten Zeltstadt bei Mina fünf Kilometer außerhalb der heiligen Stadt. Auf dem Berg Arafat 15 Kilometer östlich von Mekka soll der Prophet Mohammed im siebten Jahrhundert seine letzte Predigt gehalten haben.
Das Ritual als Geschäft
Bis zum Sonnenuntergang bitten die Gläubigen hier Gott um Vergebung. Beim abschließenden Ritual, der symbolischen Steinigung des Teufels, bewerfen die Frommen in der Nacht auf Donnerstag mehrere Säulen mit Steinen. Das anschließende Opferfest, der höchste Festtag der Muslime, wird nicht nur von den Wallfahrern in Saudiarabien, sondern von den Gläubigen weltweit begangen. Nach dem Morgengebet werden hunderttausende Tiere auf den Straßen geschlachtet, um an die Geschichte von Abraham und seinem Sohn Isaak zu erinnern, die sowohl im Alten Testament als auch im Koran erzählt wird.
Der Hadsch ist neben den täglichen Gebeten, den Almosen, dem Glaubensbekenntnis und dem Fasten im Monat Ramadan eine der fünf Säulen des Islam. Laut Koran sollte jeder Muslim einmal im Leben an der großen Pilgerfahrt teilnehmen. Doch das Megaritual ist nicht nur frommer Gottesdienst, sondern auch großes Geschäft. Die Ärmeren kommen in tagelangen Reisen per Autobus oder Schiff.
Umgerechnet 1000 bis 5000 Euro muss ein Muslim im Durchschnitt berappen, ein VIP-Hadsch mit Luxushotel und Blick auf die Kaaba kann leicht das Zehnfache kosten. Nach Berechnung der Wirtschaftskammer von Mekka bringen die anreisenden Pilger dem Königreich jedes Jahr rund sieben Milliarden Euro ein – für Flüge, Hotels, Essen, Getränke, Telefon und Andenken. Umgekehrt hat Saudiarabien in den vergangenen Jahren enorme Summen investiert, um die Wallfahrt für die Millionen seiner Gäste möglichst reibungslos zu gestalten.
Vieles an der Infrastruktur wurde im vergangenen Jahrzehnt mit Milliardenaufwand verbessert – und westliche Firmen haben dabei kräftig mitverdient. Eine 18 Kilometer lange Hochbahn, die Mekka mit den heiligen Stätten des Hadsch verbindet, hat das Chaos beim Transport der Pilgermassen reduziert. Im nächsten Jahr soll auch das erste Teilstück der 450 Kilometer langen Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Mekka, Medina und der Hafenstadt Jeddah in Betrieb gehen. Die Große Moschee, deren Kapazität bis zum Jahr 2020 von 750.000 auf 1,8 Millionen Pilger wachsen soll, wird inzwischen von einem 600 Meter hohen Uhrturm überragt, dessen Stundenzeiger 17 Meter lang ist. Der benachbarte Hotelkomplex hat 30.000 Zimmer, die bis zu 1000 Dollar pro Nacht kosten.
„Machen Spiritualität kaputt“
Einwohner von Mekka, wie Rashad Husein, dessen Familie seit fünf Generationen Pilger aus Indien und Pakistan betreut, sind entsetzt über den gigantomanischen Bauboom in ihrer Heimatstadt. „Sie machen die Spiritualität von Mekka kaputt. Sie verringern das Gefühl von Heiligkeit und Einmaligkeit“, sagt der 54-Jährige, der außerhalb der Hadsch-Saison als Professor für Statik an der Universität von Jeddah lehrt. Für die meisten Pilger jedoch bleibt der Besuch in Mekka das größte Erlebnis ihres Lebens. „Seit ich Kind war, habe ich davon geträumt, den Hadsch zu machen“, zitierte die Zeitung „Arab News“ die 69-jährige Abida Khan aus Pakistan.
„Nun bin ich hier, ich traue meinen Augen nicht – mein Traum ist in Erfüllung gegangen.“ Einem syrischen Geschäftsmann, der schon länger in Jeddah lebt, ist eher nachdenklich zumute. „Das Einzige, wofür wir Syrer beten, ist Frieden“, sagte er. „Wir hungern nach Frieden. Möge Gott uns und allen Völkern in der Welt Frieden schenken.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2015)