Sondergipfel: Die EU-Asylpolitik ist erwacht

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Die EU-Kommission macht zusätzlich 1,7 Mrd. Euro locker. Bei den Staats- und Regierungschefs hing nach der Zwangsaufteilung von Flüchtlingen der Haussegen trotzdem schief.

Brüssel. Wer nach einem privaten Streit darum bemüht ist, den schiefen Haussegen wieder zurechtzurücken, versucht es meist mit Humor. An diese Maxime hielt sich am gestrigen Mittwoch auch Frans Timmermans, der Vizepräsident der EU-Kommission. „Wir stehen hier an vorderster Front und haben für Sie einen Hotspot vorbereitet, um alle Fragen zu beantworten“, scherzte der Stellvertreter von Kommissionschef Jean-Claude Juncker im Pressesaal des Bürokomplexes Berlaymont – und spielte damit auf jene Erstaufnahmezentren der EU an, die in den „Frontstaaten“ Italien und Griechenland eingerichtet werden sollen, um die beiden südeuropäischen Unionsmitglieder bei der Registrierung von Flüchtlingen zu unterstützen.

Diese humoristische Lockerungsübung war durchaus angebracht: Nachdem der Rat der Innenminister gegen die Stimmen Tschechiens, Ungarns, der Slowakei und Rumäniens die Verteilung von 120.000 Flüchtlingen auf die gesamte Union beschlossen hatte, war man gestern in der Brüsseler Behörde sichtlich darum bemüht, die Stimmung zu heben. Die umstrittene Quotenfrage sei nur „ein Baustein von vielen“, Solidarität müsse nun durch Verantwortung ergänzt werden, sagte Timmermans – ein Verweis auf die Bedenken der Osteuropäer, wonach Quoten ohne Sicherung der EU-Außengrenzen in Griechenland und Italien keinen Sinn hätten.

Nach der zum Teil heftig geführten Debatte, die im Votum der Innenminister kulminiert ist, bemüht sich die Kommission darum, wieder die Initiative zu ergreifen – somit sind ihre jüngsten Vorschläge auch als eine Gruppentherapie für die zerstrittenen Mitgliedstaaten zu verstehen. Bis Jahresende werde es einen Vorschlag zur Stärkung des europäischen Grenzschutzes geben, versprach Innenkommissar Dimitris Avramopoulos, während seine Kollegin Kristalina Georgiewa zusätzliche 1,7 Mrd. Euro zur Bewältigung der Flüchtlingskrise lockermachte. Das Geld ist für die Unterbringung und Versorgung von Schutzbedürftigen innerhalb und außerhalb der EU vorgesehen. Als flankierende (bzw. disziplinierende) Maßnahme leitete die Brüsseler Behörde gestern 40 Vertragsverletzungsverfahren gegen 19 EU-Mitglieder ein, und zwar wegen mangelhafter Umsetzung europäischer Asylregeln. Zu den Empfängern zählen unter anderem Österreich, Ungarn, Frankreich, Deutschland und Polen. Im Fall von Österreich waren die Probleme eher technischer Natur wie die mangelnde Kommunikation der nationalen Umsetzungsmaßnahmen.

„Kreislauf der Missverständnisse“

Die Botschaft an die Staats- und Regierungschefs der EU, die am Abend in Brüssel getagt haben, ist klar: Der Streit um Quoten ist vorbei, nun müsse man wieder an einem Strang ziehen. Auch der Gastgeber des Gipfels sieht dies ähnlich: „Wir müssen den Kreislauf der Missverständnisse und gegenseitiger Beschuldigungen durchbrechen“, forderte Ratspräsident Donald Tusk am Nachmittag.

Doch ob die Zurufe die gewünschte Wirkung erzielen, ist aus zwei Gründen fraglich: erstens aufgrund der Brisanz der Materie. In EU-Kreisen stellte man sich gestern auf eine heftige Debatte beim Gipfel ein. Neben der anhaltenden osteuropäischen Ablehnung der Quote (siehe Seite 2) wird der Kommission vorgeworfen, bei der Sicherung der Außengrenzen weniger Enthusiasmus als bei der Aufteilung der Flüchtlinge an den Tag zu legen. „Einen Aktionsplan für Griechenland gibt es schon seit 2009“, wetterte ein hochrangiger osteuropäischer Diplomat, Griechenlands grüne Grenze zur Türkei müsse möglichst rasch dicht gemacht werden, und nicht erst im kommenden Jahr – wenn überhaupt. Im Gegensatz zu Italien gibt es in Griechenland bis dato keinen einzigen funktionierenden Hotspot, Schätzungen zufolge werden nur fünf bis zehn Prozent der Neuankömmlinge von den griechischen Asylbehörden erfasst. Kommissar Avramopoulos versprach gestern, dass es bis Ende der Woche funktionierende Erstaufnahmezentren geben werde.

Der zweite Grund für den anhaltenden Zwist: Für einige Mitgliedstaaten ist die Quotenfrage mit dem Innenminister-Beschluss noch lang nicht beantwortet. „Niemand soll glauben, dieses Thema ist in einer Woche gelöst“, sagte Bundeskanzler Werner Faymann vor dem Beginn des Treffens; die Diskussion über eine verpflichtende europäische Quotenregelung müsse nun verstärkt geführt werden.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2015)

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