Großbritannien: „EU-Referendum ist keine Erpressung“

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Für den britischen Handelsminister, Francis Maude, ist das Freihandelsabkommen mit den USA eine der Reform-Voraussetzungen für den Verbleib seines Landes in der EU.

Die Presse: Die USA sind der zweitwichtigste Handelspartner Großbritanniens. Ist das der Grund dafür, dass Sie für das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP eintreten?

Lord Francis Maude: Ich bin für mehr Freihandel. Ich sehe mich als Vertreter der Ideen von Friedrich August von Hayek, der die Vorteile des Freihandels dargelegt hat. Die Liberalisierung des Handels ist kein Nullsummenspiel, sondern es können alle Seiten davon profitieren – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich. Es geht um den Aufbau von Vertrauen und Freundschaft. Es ist offensichtlich, dass Staaten, die engen Handel betreiben, auch zusammenhalten. Ich war für das EU-Indien-Handelsabkommen, ich war für CETA mit Kanada, für jenes mit Singapur, Japan – ich will sie alle. TTIP wird das größte dieser Abkommen sein, weil die Wirtschaftsleistung von den USA und der EU gemeinsam etwa 45 Prozent der Weltwirtschaftsleistung beträgt.


Verstehen Sie die Vorbehalte gegenüber TTIP, die es in Österreich oder Deutschland gibt?

Ja, ich verstehe das schon. Es gibt Organisationen und Bürger sowohl in Europa als auch in Amerika, die ihre Befürchtungen haben. Unser Job ist es aber, die Fakten auf den Tisch zu legen. Derzeit sind viele Details des Vertrags nicht ausverhandelt. Es ist absurd, ihn schon infrage zu stellen. Wir reden ja nicht nur von Unternehmen, Konzernen, es geht auch um ganz normale Menschen, um Arbeitsplätze. Ich kenne mehrere Fälle kleinerer Unternehmen, die ihr Service wegen der Nichtanerkennung gegenseitiger Standards in den USA derzeit nicht anbieten können. Eines der Produkte ist ein Medikament zur Krebsbehandlung. Es wurde von einem britischen Unternehmen entwickelt, kann aber derzeit in Amerika nicht angeboten werden. Derzeit müssen solche Medikamente durch eine lange Testung in Europa laufen und danach durch eine sehr ähnliche langwierige Testung in den USA. Das ist nicht sinnvoll.


Nur eines ist mir nicht klar: Großbritannien ist strikt gegen äußeren Einfluss auf sein Rechtssystem und tritt dagegen in der EU auf. Im Fall von TTIP und den USA scheint das plötzlich kein Problem zu sein.

Das ist ja in Handelsfragen nicht der Fall. Wir erkennen an, dass wir hier nicht alle Regelungen selbst entwickeln können. Es braucht ein internationales Zusammenspiel.


In TTIP soll es die Möglichkeit für Investoren geben, gegen nationales Recht zu klagen. Unterstützen Sie diese Möglichkeit und die Idee von Handelskommissarin Malmström, professionelle Richter für solche Schiedsgerichte einzusetzen?

Wir müssen uns noch die Details ansehen, aber Malmströms Vorschlag ist eine wichtige Entwicklung, um den Ängsten in diesem Zusammenhang entgegenzutreten.


Gibt es auch in Großbritannien Vorbehalte gegen diese Schiedsgerichte?

Ja, die gibt es. Es besteht etwa die Befürchtung, dass dies Einfluss auf öffentliche Dienstleistungen haben könnte. Simples Faktum ist, dass alle Handelsverträge der EU bisher solche Schiedsgerichtsverfahren vorgesehen haben. Die Zahl der Klagsfälle hält sich in engen Grenzen. Irgendwie läuft die Debatte falsch. Natürlich müssen wir etwas tun, um Investoren Sicherheit zu bieten. Aber es geht doch vor allem um die Vorteile solcher Investitionen, von denen wir alle profitieren können.


Großbritanniens wichtigster Handelspartner ist Deutschland. Riskiert Ihre Regierung nicht weit mehr, sollte das EU-Referendum negativ ausgehen und Ihr Land vom europäischen Markt abgekoppelt werden?

Ich erwarte kein Nein. Wir streben gemeinsam mit unseren EU-Partnern eine Reform der Union an. Diese soll dazu beitragen, dass die britische Bevölkerung letztlich für einen Verbleib in der EU stimmt. Ein erfolgreicher Abschluss von TTIP ist Teil dieser wichtigen Reformen.


Großbritannien hat bereits zahlreiche Sonderregeln in der EU. Ist das Referendum nur eine Erpressung, mehr davon zu erhalten?

Das ist keine Erpressung. Unser Ansatz ist, dass die gesamte EU von den Reformen profitieren soll. Die Europäische Union soll global wettbewerbsfähiger werden. Unsere Sorgen über Migration und Wohlfahrtssysteme teilen wir ja mit vielen anderen Ländern.


Die britische Regierung stellt die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der EU infrage. Aber das ist Teil des Binnenmarkts. Soll der Markt von Waren von einem Markt der Arbeitskräfte getrennt werden?

Nein.


Warum agieren Sie dann innen- und europapolitisch gegen die Freizügigkeit?

Wir sind für eine Freizügigkeit von Arbeitnehmern. Was wir nicht wollen, ist eine Freizügigkeit, die es Menschen ermöglicht, sich nur den Zugang zu nationalen Sozialleistungen zu verschaffen.

Zur Person

Francis Anthony Aylmer Maude, Baron Maude of Horsham ist Großbritanniens Handelsminister und Mitglied des House of Lords. Der Tory-Politiker war als Vertreter seines Landes bereits unter Margaret Thatcher in die Verhandlungen zur Vollendung des Europäischen Binnenmarkts eingebunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2015)

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