Mekka: Hölle auf Erden in der heiligen Stadt

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Mehr als 700 Menschen kamen am Donnerstag bei der Pilgerfahrt Hadsch ums Leben, als am Ort des Rituals, bei dem der Teufel symbolisch gesteinigt wird, eine Massenpanik ausbrach.

Kairo/Mekka. Es sind Bilder eines Infernos. Tote Pilger liegen halb nackt auf dem Asphalt, Angehörige hocken weinend daneben. Verwundete auf orangen Liegen werden in Krankenwagen gewuchtet – dazwischen verstreut zerborstene Rollstühle. Der Boden ist übersät mit Kleidungsstücken und Schuhen, Proviantbeuteln und Wasserflaschen. Hunderte uniformierte Helfer stapfen derweil hilflos und entgeistert durch das apokalyptische Chaos, ausgelöst am frühen Morgen gegen acht Uhr mitteleuropäischer Zeit durch eine Massenpanik unter den weiß gekleideten Wallfahrern.

Als letztes großes Ritual ihrer fünftägigen Hadsch wollten sie symbolisch den Teufel steinigen – stattdessen gerieten viele Fromme in die Hölle auf Erden. Mehr als 700 Menschen wurden nach Angaben vom späten Donnerstagnachmittag zerquetscht und zertreten und mehr als 800 verletzt, als die Menge vor der Jamarat-Brücke bei Mina jäh außer Kontrolle geriet.

Jahr für Jahr befindet sich Saudiarabien während der kritischen Pilgertage in einem absoluten Ausnahmezustand. Diesmal nahmen 1,3 Millionen Pilger aus 164 Nationen teil, etwas weniger als 2014. Zusammen mit 700.000 saudischen Gläubigen drängen sich am Höhepunkt des Festes zwei Millionen Menschen in dem engen Tal von Mekka, wo mit der Kaaba das zentrale Heiligtum des Islam steht.

1990 mehr als 1400 Todesopfer

Fast alle Unglücke im letzten Vierteljahrhundert geschahen während des Steinigungsrituals an der Jamarat-Brücke: 2006 kamen 364 Menschen um. Zwei Jahre zuvor starben an gleicher Stelle 251 Menschen. 1997 brach in der Zeltstadt von Mina ein Großfeuer aus: mehr als 300 Tote. Danach wurden sämtliche 160.000 Zelte aus traditionellem Leinenstoff ersetzt durch feuerfeste Behausungen. Besonders schlimm war es 1990, als in einem Tunnel zwischen Mekka und Mina mehr als 1400 Pilger umkamen.

Vor allem seit Amtsanritt des im Jänner verstorbenen Königs Abdullah vor zehn Jahren baute Saudiarabien auch die übrige Infrastruktur mit Milliardensummen aus, um die Wallfahrt für die Millionen Teilnehmer reibungsloser zu gestalten. Eine 18 Kilometer lange Hochbahn, die Mekka mit den heiligen Stätten der Hadsch verbindet, hat das Chaos beim Transport der Pilger reduziert. Die Kapazität der Großen Moschee wird bis 2020 von 750.000 auf 1,8 Millionen Pilger erweitert. Trotzdem zeigt die jüngste Katastrophe erneut, dass das Königreich und seine Führung nicht in der Lage sind, Sicherheit und Transport einer so großen Menge zu garantieren.

Getrieben wird der zweifelhafte Mekka-Boom vor allem von der Königsfamilie und der saudischen Nomenklatura. Ganze Stadtteile wurden enteignet und abgerissen. Kritiker wie der Historiker Madawi al-Rasheed, der an der London School of Economics lehrt, bemängeln, das Ganze geschehe zwar unter dem Vorwand, man wolle Platz für Pilger schaffen. Aber letztlich fühle sich niemand verantwortlich, sagte er der „New York Times“.

„Alles Vertuschung“

„In Wahrheit soll nur vertuscht werden, welche Unsummen die Prinzen und andere Saudis einstreichen.“ Ansonsten versteckten sich die Verantwortlichen hinter der frommen Formel, jeder Muslim, der auf der Hadsch sterbe, werde als Märtyrer direkt in den Himmel fahren.

So auch diesmal. Wenige Stunden nach der Katastrophe twitterte der Direktor des Zivilschutzes: „Wir bitten Allah, den Märtyrern seine Gnade zu gewähren.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2015)

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