Venedig im Bombenhagel: Schutz für das Museum Europas

Das weltberühmte Gespann auf dem Markusdom wurde 1915 in Sicherheit gebracht
Das weltberühmte Gespann auf dem Markusdom wurde 1915 in Sicherheit gebracht (c) Musei Civici di Venezia
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Wie schützt man die Kunstschätze einer Stadt vor Kriegszerstörungen? Über den Willen der Venezianer, im Ersten Weltkrieg ihre Stadt unzerstört durch die Jahre der Bombenangriffe zu bringen.

Geradezu wie Lebende schnauben sie und stampfen mit den Füßen“ – so preist der Dichter Petrarca die vier monumentalen, zugleich spielerisch-tänzelnden Bronzepferde von San Marco. Sie haben 1700 Jahre europäische Geschichte begleitet und waren seit der Zeit der Kreuzzüge im Besitz Venedigs, verkündeten dort von der Fassaden-Loggia der Basilika aus den Ruhm der Serenissima. Napoleon fand an ihnen Gefallen und nahm sie als Beute mit, so lernten sie auch den Louvre kennen, kehrten aber 1815 zurück. Hundert Jahre später, im Ersten Weltkrieg, trat Italien auf Seiten der Entente in den Krieg gegen Österreich-Ungarn ein und das weltberühmte Gespann war ernsthaft bedroht. Wieder musste es seinen angestammten Platz auf dem Markusdom verlassen, es wurde im Mai 1915 nach Rom transportiert.

Venedig war fastzur Frontstadt geworden. Nur 115 Kilometer entfernt war die Hafenstadt Triest, von wo die bombenbeladenen Kampfflugzeuge der k.u.k. Monarchie starteten. Wie konnte man die unschätzbar wertvollen Kunstschätze schützen? Jahrhunderte lang war das „Museum Europas“ durch seine Lage in der Lagune geschützt, doch die Entwicklung der Kriegstechnik brachte nun eine neue, bisher unbekannte Gefahr. Bereits seit 1910 gab es Pläne, die Stadt in einen modernen Hafen mit Festungscharakter umzubauen. Der futuristische Künstler Filippo Tommaso Marinetti warf im imperial-nationalistischem Überschwang ein Flugblatt vom Campanile von San Marco herab: „Wir wollen die Geburt eines industriellen und militärischen Venedig. Beeilen wir uns die kleinen stinkenden Kanäle mit Schutt der alten einstürzenden und aussätzigen Paläste zuzuschütten. Verbrennen wir die Gondeln, diese Schaukelstühle für Idioten“. Daraus wurde Gott sei Dank nichts. Doch die Gefahr, dass die Stadt im Kriegsfall wehrlos der Zerstörung aus der Luft ausgesetzt war, bestand.

Markusdom. Demontage eines Bronzepferdes, 1915
Markusdom. Demontage eines Bronzepferdes, 1915(c) 2015 Fondazione Musei Civici di Venezia – Archivio Museo Fortuny

Bereits seit April 1915 hatte man in Venedig begonnen, Gemälde aus den berühmtesten Museen, dem Dogenpalast und aus Kirchen zu entfernen. Doch die größere Herausforderung bestand darin, die Gebäude und Denkmäler zu schützen, die nicht in Depots untergebracht werden konnten. Sie erhielten für mehr als dreieinhalb Jahre eine Ummantelung wie eine gepanzerte Rüstung, das Antlitz der Stadt änderte sich völlig. Die Bögen des Dogenpalasts wurden von einer Schutzmauer umgeben, der Campanile auf dem Markusplatz mit zehn Meter hohen Sandsäcken umhüllt, auch die Hauptfassade des Markusdoms erhielt eine Schutzwand. Sandwände behüteten seine berühmten Mosaike. Denkmäler wirkten durch die Verschalung wie überdimensionierte Hundehütten, sie strahlen wenig Wehrhaftigkeit aus, bezeugen aber die Dramatik des Geschehens. Fotos zeigen die Demontage der Pferde von San Marco. Man stieß in der gesamten Stadt auf Palisaden, Matratzen, Sandsäcke, die die Kunstschätze wie Wattepolster gegen Erschütterungen schützen sollten. Bis in den Juli hinein fuhren vollbeladene Eisenbahnzüge mit wertvollen Kunstschätzen, darunter die Bibliothek des Dogenpalasts, in das Innere Italiens. Österreichische Zeitungen berichteten, dass Tizians monumentales Gemälde der Maria („Assunta“) wegen seiner Größe nicht transportiert werden konnte und hinter einem Panzerturm verborgen war, den keine Fliegerbombe zertrümmern konnte.

Die Fassade des berühmten Markusdoms. Ob das im Ernstfall Schutz genug gewesen wäre?
Die Fassade des berühmten Markusdoms. Ob das im Ernstfall Schutz genug gewesen wäre?(c) Musei Civici di Venezia

Eiserne Bombengrüße. Wie dringend nötig das war, bewies bereits die erste Nacht nach der Kriegserklärung Italiens: Ein Marineflieger warf 14 Bomben über der Stadt ab, der amtliche Bericht der k.u.k. Flotte sprach zynisch von „eisernen Bombengrüßen an unseren lieben (abtrünnig gewordenen) Verbündeten“. Panik brach aus in Venedig, die Bewohner verließen bei dem Getöse ihre Häuser, man dachte damals außerhalb der vier Mauern sicherer zu sein. Dazu kam anfangs Neugier und Schaulust: Die österreichischen Piloten ließen etwa mit einem großen Fallschirm einen brennenden Stoff herunter, um das Stadtgebiet zu beleuchten. Auch Flugblätter wurden abgeworfen, in denen die Bevölkerung über den Verrat Italiens aufgeklärt werden sollte. Venedig lag nun nachts völlig im Dunkeln, nach Sonnenuntergang mussten alle Geschäfte geschlossen sein.

Venedig 1915: Wie mit einer gepanzerten Rüstung wurde alles, was nicht in Depots verstaut werden konnte, verpackt.
Venedig 1915: Wie mit einer gepanzerten Rüstung wurde alles, was nicht in Depots verstaut werden konnte, verpackt.(c) Musei Civici di Venezia

Es folgten Jahre der Schlaflosigkeit, die Bewohner der Stadt verbrachten die Nacht oft im Freien. Ihr Wille, die Zerstörung ihrer Stadt abzuwehren, blieb ungebrochen. Der Donner der Abwehrkanonen sowie zahllose Gewehrschüsse von den Flachdächern kündigten das Nahen der Flugzeuge an. Die österreichischen Piloten prahlten damit, vor geringen Anflughöhen keine Angst zu haben, um ihre Treffer sicher zu platzieren. Doch allmählich musste man sich von der Ideologie der schonenden Luftschläge auf kriegswichtige Ziele verabschieden: Venedig war zu eng verbaut, man traf nicht immer zielsicher, viele Bomben fielen auch in die Kanäle und in die Lagune, wo sie kein Unheil anrichten konnten.

Doch dann kommt die Vollmondnacht des 24. Oktober 1915. 50 Kilo Sprengladung sollen über dem Bahnhof abgeladen werden und durchschlagen irrtümlich das Dach der danebenliegenden Barfüßer-Kirche (Chiesa degli Scalzi). Die gusseiserne Bombe durchschlägt das Dach und zerstört ein Deckenfresko von Giovanni Battista Tiepolo, das die Legende von der Überführung des Hauses der Heiligen Familie von Nazareth ins italienische Loretto zeigt.„Aug um Aug, Bombe um Bombe.“ Die Venezianer gehen am nächsten Tag zur Ruine neben dem unversehrt gebliebenen Bahnhof und stehen fassungslos vor dem zerstörten Kunstwerk.Italienische Zeitungen vergleichen den Feind mit Attila, nur Wahnsinnige könnten ihre Zerstörungswut gegen ein Kunstobjekt richten, Mussolini wettert gegen die „infamia austriaca“.

Venedig, Tomaso Filippi, Markusdom. Kanzel, Ikonostase und Altäre unter Schutzvorrichtungen, 1915, Silbergelatineabzug
Venedig, Tomaso Filippi, Markusdom. Kanzel, Ikonostase und Altäre unter Schutzvorrichtungen, 1915, Silbergelatineabzug(c) 2015 Fondazione Musei Civici di Venezia – Archivio Museo Fortuny

Die Nation steht wegen der Zerstörung des Freskos sichtlich unter Schock und erwartet eine geharnischte Stellungnahme des Papstes gegen den österreichischen Kaiser.Die österreichischen Zeitungen reagieren auf das „Zetergeschrei“ der italienischen Blätter: „Es möchte ihnen passen, dass wir in Hinkunft ihre militärischen Rüstungsstätten, aus Besorgnis durch Fehltreffer Kunstschätze zu beschädigen, ungeschoren ließen. Diese Sentimentalitäten haben uns die Feinde gründlich abgewöhnt. Aug um Aug, Bombe um Bombe.“ Und man verweist auf die Bombardierung von Görz, Triest und Schloss Miramare.

Es gab mit der Haager Landkriegsordnung bereits einen völkerrechtlichen Vertrag mit dem Gebot, historische Denkmäler bei Bombardierungen so weit wie möglich zu schützen. Doch die Akzeptanz war eingeschränkt durch die sogenannte Allbeteiligungsklausel: Alle Konfliktpartner mussten Vertragspartner sein. Die emotionale Mobilisierung Italiens zeigte erst am 9. September 1916 an oberster Stelle Wirkung: Kaiser Franz Joseph erließ den Befehl an das Oberkommando, „dass die Flugzeugführer erneuert anzuweisen sind, dem kirchlichen Dienst dienende, sowie Kunstobjekte (wie beispielsweise die Basilika S. Marco in Venedig) bei ihren Angriffen auf feindliche Städte tunlichst zu schonen.“ Kaiser Karl verschärfte diesen Befehl noch im selben Jahr, er streckte bereits über den Vatikan die Friedensfühler nach Italien aus.

Venedig 1915, Abwehr von Fliegerangriffen
Venedig 1915, Abwehr von Fliegerangriffen(c) Musei Civici di Venezia

42 Luftangriffe mit 1029 Bomben wurden bis 1918 über Venedig gezählt, mit 52 Toten und 84 Verletzten in der Zivilbevölkerung, 300 Bomben fielen allein in der Nacht vom 26. auf den 27. Februar 1918. Der Fremdenverkehr war natürlich zum Erliegen gekommen. Umso größer das Erstaunen der Berichterstatter, als sich im August 1918 bereits wieder Badegäste am Lido einfanden. Der Auslandskorrespondent der „Times“ berichtete mit offenem Mund, dass neben Stacheldrahtverhauen und bewaffneten Wächtern die Badenden ihren gewohnten Vergnügungen nachgingen.

Die Fotos: Venedig im Krieg

Die hier geschilderten, wenig bekannten Details aus der Kunst- und Kriegsgeschichte sind Gegenstand einer Fotoausstellung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Unter dem Titel „Venedig im Krieg 1915-1918“ werden bis 25.10.2015 erstmals außerhalb Italiens hunderte Fotos über die Selbstverteidigung Venedigs gezeigt. Die Ausstellung war 2014 in Italien unter dem Titel „Venezia si difende“ zu sehen gewesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2015)

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