„Westlicher Lifestyle muss sich ändern“

Da kann noch kräftig reduziert werden
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Interview. Marion Huber-Humer vom Institut für Abfallwirtschaft über Recycling und Möglichkeiten zur Müllreduktion.

Die Presse: Der durchschnittliche Österreicher produziert in seinem Leben 35 Tonnen Haushaltsabfall. Wie kommt diese unglaubliche Menge zustande?

Marion Huber-Humer: Das ist eine statistische Zahl, die auf den Daten des Bundesabfallwirtschaftsplans basiert. Es gibt aber österreichweit ein Gefälle zwischen Ost und West: In Vorarlberg fällt weniger Abfall an als in Wien. Das hängt auch mit Siedlungsstruktur und Einkommenssituation zusammen. Die umgerechnet 1,3 Kilogramm Abfall pro Person am Tag sind bunt gemischt: Von verwertbaren Dingen wie Altpapier, Altglas oder Kunststoffen bis hin zum Restmüll, der etwa 35 Prozent ausmacht. Dieser kann nicht direkt stofflich verwertet werden, sondern landet in der Verbrennungsanlage oder der mechanisch-biologischen Aufbereitung.


Wie sieht Ihre Arbeit in der Praxis aus? Wird der Müll vom Forscher richtig durchwühlt?

Wir führen Sortieranalysen durch, das sind auf statistischen Prinzipien beruhende Stichproben in der Restmülltonne sowie im getrennt gesammelten Abfall. Dabei sehen wir, wie gut der Österreicher seinen Müll trennt – und welches Optimierungspotenzial im Restmüll steckt. Da könnte man noch Verwertbares rausholen.


Sind die Österreicher eifrige Mülltrenner?

Im EU-Schnitt ja. Wir sammeln vor allem die klassischen Materialien wie Altpapier und Altglas gut. Insgesamt ist das Bewusstsein in der jüngeren Generation gewachsen, aber es gibt Verbesserungsmöglichkeiten.


Welche Möglichkeiten gibt es denn für jeden Einzelnen, die Müllmenge zu reduzieren?

Da gibt es verschiedene Ansätze. Das getrennte Erfassen ist nur ein anderes Leiten der Abfallströme – das gesamte Müllaufkommen bleibt dadurch gleich. Wir unterscheiden zwischen quantitativer und qualitativer Reduktion: Qualitativ heißt, dass Produkte, die Schadstoffe enthalten, durch Produkte ersetzt werden, die keine oder minder gefährliche Stoffe enthalten. Für viele Bevölkerungsschichten ist das allerdings schwer umsetzbar, weil die ökologischen Produkte meist auch teurer sind. Auf Quantität zu achten bedeutet auch, auf etwas zu verzichten oder zu substituieren, z. B. beim Einkaufen auf Mehrwegverpackungen zu achten. Jeder sollte sich überlegen: Welches Lebensmittel brauche ich wirklich? Ist mein altes Elektrogerät noch funktionsfähig? Leider ist die Anschaffung eines neuen Geräts oft billiger als die Reparatur des alten. Das sind Strukturen, die den Konsumenten in eine Richtung lenken.


Allerdings ist die Recyclingquote in Österreich wesentlich besser als etwa im Osten der EU. Die Kommission überarbeitet ihr Konzept zur Kreislaufwirtschaft. Müssten die Werte dafür nicht angeglichen werden?

Das ist der große Kritikpunkt des EU-Papiers, das mit Jahresende in überarbeiteter Form vorgestellt werden soll. Die Erstversion ist in der Fachwelt nicht so gut angekommen – einerseits, weil es aufgrund des Gefälles nicht möglich ist, für Länder aus dem Osten, die derzeit noch 80 bis 90 Prozent direkt auf die Deponie bringen, diese sehr ambitionierten Quoten zu erfüllen. Selbst für hoch entwickelte Staaten mit einer guten abfallwirtschaftlichen Struktur wird das schwierig sein, weil es technische Grenzen gibt und viele Produkte nicht vollständig recyclingfähig sind. Auch Schadstoffe werden durch Recycling im Kreislauf geführt. Der zweite Kritikpunkt ist, dass sich das EU-Papier nur auf Siedlungsabfall bezieht. Der macht nur eine geringere Menge aus, es gibt vor allem auch Industrie- und gewerbliche Abfälle, die großes Potenzial bieten.


Insgesamt kommen Sie zum Schluss, dass hundertprozentiges Recycling gar nicht möglich ist?

So ist es, weil es in der Nutzungsphase von der Gewinnung über die Produktion bis zur Endkonsumation gewisse Verluste gibt. Man müsste sehr viel Energie investieren, um die verteilten Stoffe so zu konzentrieren, dass sie dann auf hohem Niveau wieder genutzt werden können. Eine Papierfaser ist nur sechs- bis zehnmal wiederverwertbar, dann wird sie zu klein und brüchig.


Welche Verbesserungen erwarten Sie vom neuen Kommissionsvorschlag?

Gesamtheitliche sinnvolle Ansätze und keine überzogenen Recyclingquoten. Wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern kann Know-how-Transfer helfen, aber nur in angepasster Weise. Wir sehen das, wenn in Schwellen- und Entwicklungsländern westliche Technologien eingesetzt werden, die dort nicht betrieben werden können. Auch die Abfallzusammensetzung ist dort für erprobte westliche Technologien oft nicht geeignet.


Das EU-Parlament fordert verbindliche Ziele für weniger Lebensmittelverschwendung in der EU. Eine Studie zeigt, dass EU-Bürger jährlich 60 Mio. Tonnen Lebensmittel wegwerfen. 80 Prozent davon sind nicht verdorben.

Lebensmittelabfälle entstehen über die ganze Wertschöpfungskette hinweg, in der Landwirtschaft angefangen. Während in Entwicklungsländern mehr in der Lagerung und während des Warentransportes verloren geht, passiert das in Europa eher beim Endkonsumenten. Ein überschrittenes Mindesthaltbarkeitsdatum bedeutet aber nicht, dass eine Speise wirklich verdorben ist. Oft ist sie noch Tage oder Wochen genießbar. Da sind unsere Sinne gefragt: Kosten, Riechen, Schauen.


Auch Supermärkte entsorgen ihre Waren häufig, obwohl sie noch genießbar wären.

Die Lebensmittel werden heute zunehmend karitativen Organisationen zur Verfügung gestellt, aber es besteht noch Optimierungspotenzial. Die Schwachstelle ist die Logistik, die Frage, wer die Ware abholt und verteilt.


Was wäre die Folge, wenn wir so weitermachen wie bisher?

Faktum ist, dass wir mehr Menschen werden, die alle Bedürfnisse haben. Das geht sich mit den Ressourcen nicht aus: Eigentlich haben wir die Biokapazität der Erde vor Jahren überschritten. Höherer Lebensstandard korreliert leider auch mit einem höheren Aufkommen an Abfällen. Der westliche Lifestyle muss sich ändern: Materieller Wohlstand darf nicht das maximale Ziel unserer Gesellschaft sein.


Es gibt Menschen, die versuchen, ohne Abfall auszukommen. Wie leben Sie selbst?

Ich bewundere das, habe aber leider nicht immer die Zeit, so zu leben. Grundsätzlich bemühe ich mich, mit meinen alltäglichen Gegenständen schonend umzugehen, um sie lang nutzen zu können. Auch versuche ich, Unnötiges wegzulassen – und bin stolz auf meine Kinder, dass sie eingesehen haben, auf Dinge wie Game Boy und blinkende Schuhe zu verzichten.

Zur Person

Professorin Marion Huber-Humer leitet das Institut für Abfallwirtschaft an der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien. Sie forscht insbesondere in den Wissenschaftszweigen Abfalltechnologie, Schadstoffemissionen, Altlastensanierung, Technischer Umweltschutz, Deponietechnik sowie auch Nanomaterialien.

Huber-Humer erhielt für ihre Arbeit bereits zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Klaus-Fischer-Innovationspreis für Technik und Umwelt oder den Umweltpreis Frauen in der Umwelttechnik. Zudem ist sie für den Preis Österreicher des Jahres 2015 in der Kategorie Forschung nominiert, den „Die Presse“ und der ORF im Oktober verleihen.

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