Wo nur ein toter Krebs ein guter Krebs ist

ÖBf/Anna-Sophie Pirtscher
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Eigentlich geht es um den Naturschutz, wenn die Bundesforste in Bad Mitterndorf nächtens Signalkrebse aus einem Graben klauben. Die delikaten Krebse dann auch zu essen, widerspricht der Idee aber nicht – ganz im Gegenteil.

"Man flucht viel beim Krebse klauben", sagt Anna-Sophie Pirtscher entschuldigend. Die 27-Jährige hat gerade wieder ins Leere gegriffen, der flinke Krebs ist nach hinten entwischt, das Wasser des flachen Grabens vom aufgewirbelten Schlamm trüb. Ihrem Kollegen, Andreas Haas (34), geht es eine halbe Minute später nicht anders – nur dass sich auch noch sein Gummihandschuh mit Wasser füllt; zu tief hineingegriffen. Wer sich das Sammeln von Signalkrebsen im Salzkammergut einfach oder womöglich gar idyllisch vorgestellt hat, wird in dieser Nacht am Ufer eines unscheinbaren Grabens in Bad Mitterndorf (ja, der Heimatort von Conchita Wurst, aber das tut nichts zur Sache) rasch eines Besseren belehrt.

Im Dunkeln und bei deutlich unter zehn Grad stöbern Pirtscher und Haas, ausgerüstet mit Gummistiefeln, Regenhose, dicken Gummihandschuhen und Stirnlampe, seit neun Uhr abends gemeinsam mit acht anderen Mitstreitern nach Krebsen. „Kommt's aussa, Krebserl“, versucht es die Kärntnerin Pirtscher, während sie büschelweise Gras aus dem Wasser holt, um bessere Sicht zu haben. „Gutschi, gutschi, gutschi“, lockt Haas. Nicht, dass das hilft. „Wenn wir keine Krebse finden, wäre das aber auch ein schönes Ergebnis“, meint er.

Immerhin ist diese Aktion kein kulinarischer Abenteuerausflug – jedenfalls nicht nur, aber dazu später –, sondern eigentlich ein Teil des EU-geförderten Naturschutzprojekts Life+ im Ausseerland, das die österreichischen Bundesforste seit zwei Jahren umsetzen und die studierte Forstwirtin Pirtscher leitet. Auch Haas ist kein hauptberuflicher Krebsfänger, sondern Gewässerökologe bei den Bundesforsten. Die beiden haben vor einigen Monaten die Sammelaktion gestartet, die in dieser Nacht in die dritte Runde geht.

Überträger der Krebspest

„Kübel“, ruft Haas einige Meter weiter, wo weniger Schlamm und mehr Schotter ist. Er hat einen Krebs, den er zu den anderen – inzwischen sind es schon ein paar – in den Kübel wirft. „Ich habe seine Scheren leuchten sehen.“ Die weißen (oder seltener hellblauen) Flecken auf den oben braun, unten rot gefärbten Scheren sind ein Merkmal, an dem der Signalkrebs zu erkennen ist. Nicht, dass es hier – oder sonst irgendwo, wo er vertreten ist – viele andere gäbe: Der Signalkrebs überträgt die Krebspest, eine Pilzerkrankung, an der die heimischen Flusskrebse (alias Edelkrebse, lange Zeit fester Bestandteil des Speiseplans, siehe unten) und Steinkrebse binnen kürzester Zeit zugrunde gehen.

Außerdem ist der amerikanische Signalkrebs – ab Mitte des 20. Jahrhunderts im großen Stil nach Europa importiert, paradoxerweise, weil die bereits zuvor vermutlich mit Krebsen eingeschleppte Krankheit ganze Populationen dahinraffte – stärker als der mit bis zu 20 Zentimetern etwas größere Edelkrebs; als der nur halb so große Steinkrebs sowieso. Bei Bad Mitterndorf haben letztere aber noch eine Chance: Der Graben im Feld, neben Landstraße und Eisenbahn, 500 Meter vom Schutzgebiet, ist der einzige, der von Signalkrebsen besiedelt ist. Um den Steinkrebs zu schützen, gehen Pirtscher und Haas also Krebse sammeln.

„Dass das nicht die ultimative Lösung ist, ist uns klar“, sagt Haas. „Aber es ist eine Art Pilotprojekt: Was kann ich mit relativ simplem Management – acht Leute zum Sammeln motivieren und sie danach zum Krebsessen einladen – bewirken?“ Apropos: Die Krebspest sollte dem geneigten Esser kein Unbehagen bereiten. Für den Menschen ist sie ungefährlich. Mehr noch: Laut Haas dringt der Pilz bei Signalkrebsen gar nicht bis ins Fleisch vor.

Wer jetzt auf die Idee kommt, sich in die Gummistiefel zu werfen, sei allerdings gewarnt: Die Krebse einfach so sammeln zu gehen, geht nicht: Erstens braucht man eine Fischerkarte oder die Erlaubnis des Besitzers – für Krebse gelten dieselben Regeln wie für Fische. Und dann sind da die Pilzsporen: Alles gehört gründlichst gesäubert, am besten einen Tag lang in die Sonne gestellt. Wenn man beim nächsten Mal in einen Bach steigt, der noch nicht infiziert ist, rottet man sonst womöglich Edel- und Steinkrebse aus.

Wenig Mitleid mit Krebsen

Bestimmt ein Dutzend Krebse hat Anna-Sophie Pirtscher inzwischen herausgefischt. „Man muss langsam hinfahren und sie im letzten Moment mit Daumen und Zeigefinger schnappen. Wenn man dabei von oben kommt, merken sie es meistens nicht.“ „Du Luder“, schimpft währenddessen weiter drüben ihr Kollege mit einem Krebs. Der lässt zwar seine Scheren blitzen – er hat sich aber zwischen ein paar Steine zurückgezogen, an denen Haas jetzt zerrt. „Nur ein toter Krebs ist ein guter Krebs“ – seine Worte bei der Abreise aus Wien waren eindeutig nur halb im Scherz.

Wenn man irgendwann doch Mitleid äußert mit den Tieren, die da mit etwas Wasser in den Kübeln herumkrabbeln, sagt er denn auch: „Du hast noch nie einen Edelkrebs gesehen, der die Krebspest hat. Der schwimmt tagsüber apathisch im Wasser, das wächst ihm bei den Gelenken heraus und bei den Augen. Und nach ein paar Tagen sind ganze Populationen eliminiert.“ Also weiter den Graben entlang stapfen, Gummistiefel aus dem Gatsch ziehen, mit der Taschenlampe ins Wasser leuchten: Ist da einer?

152 Krebse gefangen. „Fertig für heute!“ Gegen halb zwölf Uhr – die Kälteempfindlichen der Truppe spekulieren schon seit einer Stunde über abgefrorene Zehen in den Stiefeln, die Finger sind bald zu klamm, um Krebse zu packen – verkündet Pirtscher das Ende der Sammelaktion. In der Fischerei der Bundesforste, ein paar Kilometer entfernt, zählt Alexander Scheck, angehender Biologe und Fischer, die Ausbeute: 152 Krebse, 30 bis 40, schätzt er, sind in essbarer Größe. Die Kleinsten sind gerade einmal zwei Zentimeter groß – nichts zum Essen, aber genauso gefährlich. Das Wasser ist schon aufgestellt.

Den zappelnden Krebs eigenhändig Kopf voran ins kochende Wasser zu schmeißen, ist dann doch ein Moment, über den man noch eine Weile später sinniert. Tiere essen, Tiere töten: dass das eine ohne das andere nicht geht, ist selten so direkt, so sichtbar und spürbar wie in diesem Fall. Nun, wer Krebse essen will – sogar ganz simpel mit Baguette, Butter und einem Glas Wein eine spätnächtliche Delikatesse –, muss das aushalten. Und Anna-Sophie Pirtscher macht es mit ihrer Interpretation ein bisschen leichter: „Aktiver Naturschutz ist das. Denkt's an die ganzen Steinkrebse, die überleben.“

Compliance-Hinweis: Die Kosten für Anreise und Unterkunft wurden von den Bundesforsten übernommen.

Naturschutz

Das EU-geförderte Projekt Life+
im Ausseerland ist das größte Naturschutzprojekt der Bundesforste. Einer der Schwerpunkte ist Gewässer: Dabei werden in der Gegend von Bad Mitterndorf u.a. Lebensräume für geschützte Arten erhalten und erweitert – etwa für den Steinkrebs.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2015)

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