Merkels Beitrag zu Häupls Strategie

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WAHLKAMPFAUFTAKT DER SP� WIEN: H�UPL(c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
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Ähnliche Ausgangslage, anderes Rezept. Dass Josefs Pühringers Strategie in der Asylfrage am Wahltag scheiterte, heißt noch lange nicht, dass Michael Häupl mit dem Gegenteil Erfolg hat.

Man weiß ja, dass der Wiener Bürgermeister gern scherzt. Aber gestern, Montag, waren wohl auch seine Parteikollegen baff. Spätestens seit dem (erwarteten) blauen Wahlerfolg in Oberösterreich ist die Wiener SPÖ ein einziges Ausrufezeichen: Rot gegen Blau! Das Duell um Wien, nein, um ganz Österreich! Jetzt gilt's! Und dann kommt Michael Häupl daher und sagt nonchalant: „Natürlich rechne ich nicht mit Verlusten, gar keine Frage.“

Das ist schon witzig, auch wenn die Haltbarkeit von solchen Scherzen mit dem 11.10. endet. Denn sehr wahrscheinlich wird die SPÖ am Wahltag schmerzhaft verlieren – möglicherweise sogar Platz eins. Bis dahin lebt allerdings die Chance, dass Häupl in einem laufenden Experiment zur Asylpolitik am besten abschneidet. Denn Österreich ist derzeit so etwas wie ein Echtzeit-Labor für eine Studie mit dem Titel: „Welches Rezept hilft – am ehesten – gegen Heinz-Christian Strache?

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Das von Josef Pühringer war es ja offensichtlich nicht. Häupl hat zumindest ein anderes. Und weil sich die Ausgangslage in Oberösterreich und Wien ähnelt, lassen sich beide gut vergleichen: Da wie dort gibt es allzu lang gediente Landeschefs, eine grüne Regierungsbeteiligung, und beide sind von der Flüchtlingskrise stärker betroffen als andere Bundesländer. Während Pühringer aber in der Flüchtlingsfrage bei der Verteilung defensiv war (wie die meisten Landeshauptleute) und erst nach Zick-Zack-Kurs auf „Law and Order“ umschwenkte, wählte Häupl den diametralen Weg.

Im Wissen, dass Wien seine Flüchtlingsquote übererfüllt, war er einer der Ersten, die nach Sanktionen gegen säumige Länder riefen. Im Wahlkampf lautete dann zunächst zwar die Strategie, das Thema Asyl tunlichst zu vermeiden, weil – so die These – das nur der FPÖ in die Hände spiele.

Doch angesichts der Ereignisse (Traiskirchen, die Toten auf der A4, die Szenen an der Grenze) ließ sich das nicht durchhalten. Häupl begann immer deutlicher Stellung zu beziehen und gab schließlich als Motto „Helfen, ohne Wenn und Aber“ aus.

Ob sich die SPÖ damit auch selbst helfen kann? Die Wiener Partei mag sich mit ihrem „Wir sind die Guten“-Plan moralisch so wohl fühlen wie sonst nur die Grünen. Aber sie fährt eine riskante Strategie. Diese funktioniert nämlich nur, wenn eine grundlegende Prämisse erfüllt ist, nämlich: Deutschland lässt – was nicht ausgemacht ist (siehe Bericht) – weiter Flüchtlinge über seine Grenzen.

Zumindest bis zur Wahl. Solange die Mehrheit durchreist, kann Wien den Zustrom bewältigen, ohne dass er ins Auge sticht. Nicht umsonst wiederholt Häupl den Satz: „Die Flüchtlinge bemerkt man in Wien derzeit de facto nicht.“ Übersetzt lautet das: Wir arbeiten – jedenfalls bis zum 11. Oktober – hart an der Unsichtbarkeit, denn sollte das nicht gelingen, gibt es ein Problem. Für die SPÖ. Denn die Wiener sind ein sensibles Publikum. Das weiß keiner besser als die SPÖ, immerhin ist sie dafür verantwortlich: Wir kümmern uns um alles, lautet das zentrale rote Versprechen. Nun ist aber – Versprechen hin oder her – das Klima in der Stadt rauer geworden: Die Arbeitslosigkeit ist hoch, der Wohnungsmarkt angespannt. Die Verteilungsfragen, die in dem Asylthema stecken, wirken in diesem Setting als Sorgen-Katalysator.

Auch wenn man die Folgen noch nicht so recht abschätzen kann, klar ist: Von jenen, die bleiben, wird – auf der Suche nach Communities und Jobs – ein Großteil in Wien landen. Das wird viel kosten und den Wohnungs- und Arbeitsmarkt belasten. Darüber redet die SPÖ bei allem Fokus auf Asyl weniger gern. Auch nicht mit ihren eigenen Funktionären. Ein Drittel der Wiener Bevölkerung, das weiß die SPÖ aus internen Umfragen, ist mit der „Ausländer-Politik“ generell unzufrieden. Wer mit den Genossen in den Flächenbezirken redet, hört dazu Interessantes.

Und trotzdem: Es spricht einiges dafür, dass Häupls Rezept im Landeswahlen-Vergleich noch das beste ist. In Zeiten, wo auf Bundesebene ein derartiges Vakuum herrscht, dass der Chef einer Oppositionspartei es mit einer Video-Ansprache im Bundespräsidentenstil füllen kann, hat der Wiener Bürgermeister nötig klare Worte gefunden.

Nicht nur unbequem

Nicht unschlau hat er sich auch einen „Packen wir es an“-Gestus angeeignet: Wenn das Innenministerium etwa bei der Übergabe des Flüchtlingsheims in Erdberg zögert, sagt Häupl: Ist egal, wir machen es trotzdem. Ähnlich unkompliziert argumentiert er, wenn es darum geht, was man mit Flüchtlingen macht, die straffällig werden: einfach rauswerfen. Dass das nicht geht, weil man z. B. niemand nach Syrien zurückschicken kann, verschweigt er dabei so geläufig, wie das sonst nur Strache tut.

Und zuletzt ist die Asylfrage für die SPÖ nicht nur unbequem. Sie verdrängt so einiges, was der SPÖ unangenehm wäre: rote Wohnbauaffären, drängende Finanzfragen. Darüber zu debattieren, erscheint in hektischen Zeiten der globalen Krise vielen kleinlich.

Der Ernst der Lage hilft auch gegen die lästige Konkurrenz in Grün, die der SPÖ ihre Bollwerk-Rolle gegen die FPÖ streitig machen wollte: Wer gegen Blau wählen will, stimmt diesmal lieber für Rot, kalkuliert die SPÖ. Stimmt vielleicht. Nur ob das überhaupt genug wollen, das bleibt die spannende Frage.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2015)

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