Flüchtlingskrise: Merkel macht Druck auf Wien

German Chancellor Merkel arrives for the weekly cabinet meeting at the chancellery in Berlin
German Chancellor Merkel arrives for the weekly cabinet meeting at the chancellery in Berlin(c) REUTERS (HANNIBAL HANSCHKE)
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Vereinbarung über Sonderzüge nach Deutschland nur „um einige Tage“ verlängert. Laut Berliner Kreisen sagte Faymann der Kanzlerin zu, keine zusätzlichen Flüchtlinge in Grenznähe zu bringen.

Wien/Berlin. Deutschland kommt an seine Grenzen. Allein seit Anfang September sind laut Schätzungen des Wiener Kanzleramts 160.000 Migranten aus österreichischer Richtung über die Grenze geströmt, 133.000 davon per Bahn. Einige davon sind nach Skandinavien weitergereist, die meisten aber blieben. Bundespräsident Joachim Gauck warnt bereits vor einer Überlastung Deutschlands. „Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich“, sagte der ehemalige Pastor neulich bei einer Rede in Mainz.

Der Druck auf die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, wächst, und sie gibt diesen Druck an Österreich weiter. Seit Längerem schon drohen die deutschen Behörden, keine Flüchtlingszüge mehr durchzulassen. Wie „Die Presse“ erfuhr, telefonierte Merkel in der Angelegenheit sowohl am Samstag als auch am Sonntag mit Kanzler Werner Faymann. Ein Stopp der Sonderzüge sei derzeit vom Tisch, hieß es in Faymanns Kabinett.

Es ist allerdings offenbar nur eine Frage der Zeit, bis Deutschland die Bahnsignale für Flüchtlinge auf Rot stellt oder zumindest die Frequenz der Züge reduziert. Maximal vier bis fünf Sondertransporte rattern derzeit jeden Tag über die deutsch-österreichische Grenze. Das haben Deutschland und Österreich vereinbart. Doch diese Abmachung galt ursprünglich lediglich bis Ende vergangener Woche. Sie sei nur „für einige Tage verlängert worden“, sagte ein Sprecher des deutschen Innenministeriums zur „Presse“. Danach werde weiterverhandelt.

Konrad mietet Lagerhallen an

(C) DiePresse

Das ist offenbar auch auf ein Zugeständnis Faymanns zurückzuführen. In deutschen Regierungskreisen erfuhr „Die Presse“, dass Österreichs Kanzler seiner Amtskollegin in Berlin zugesagt habe, keine Flüchtlinge mehr zusätzlich in Bussen zu Unterkünfte in Grenznähe zu bringen. Von dort versuchen es Tausende, die keinen Zug nach Deutschland erwischen, zu Fuß. Das Kanzleramt in Wien wollte den Deal so nicht bestätigen. Merkel und Faymann hätten sich lediglich darauf verständigt, dass der Flüchtlingsverkehr per Zug noch am besten zu kontrollieren sei.Die Regierung in Berlin versucht verzweifelt, die Flüchtlingsströme aus Österreich einzudämmen. „Deutschland ist an seiner Belastungsgrenze angekommen“, sagte der Sprecher des deutschen Innenministeriums, der sich sonst ebenso wie sein österreichischer Kollege zugeknöpft gab. Die Innen- und Verkehrsministerien beider Länder sind ständig in Kontakt. Sie ringen um eine partnerschaftliche Lösung, um Verständnis für die jeweils eigene Situation. Wenn Deutschland den Rollladen herunterließe, entstünde binnen kürzester Zeit ein gewaltiger Rückstau in Österreich. Und was dann? Behörden suchen fieberhaft neue Unterkünfte. Flüchtlingskoordinator Christian Konrad lässt bereits Lagerhallen anmieten, wie er gegenüber der „Presse“ erklärte. Es könnte schnell eng werden, sobald die Migranten nicht mehr so leicht nach Deutschland weiterreisen können. 11.000 Menschen sind derzeit in Notquartieren untergebracht. Doch im Burgenland treffen jeden Tag etwa 8000 neue Flüchtlinge ein.

Camp für 8000 nahe Spielberg geplant

Wenn Deutschland dichtmacht, dann müsste vielleicht auch Österreich die Grenzen schließen oder zumindest stärker kontrollieren. Doch so einfach ist das nicht. In österreichischen Regierungskreisen ist derzeit auch von einem anderen Szenario zu hören: Die Behörden überlegen, große Flüchtlingslager an der Grenze zu Deutschland zu errichten. So ähnlich machen es schon Österreichs Nachbarn, sie bringen die Flüchtlinge an die Grenze. Ungarn macht das bereits seit Wochen. Nach Informationen der „Presse“ bauen derzeit auch die Slowenen in Sentilj nahe Spielfeld ein Camp für 8000 Personen.

Das Bundeskanzleramt versucht zu beruhigen. Es gebe noch Puffer bei den Notquartieren, heißt es. Kanzlersprecherin Susanne Enk verweist auf die stabile Zahl der Asylanträge. Demnach haben im August etwa 8500 Personen und im September bisher 8000 Personen um Asyl angesucht, weniger als fünf Prozent der einreisenden Flüchtlinge. Die meisten zogen eben nach Deutschland weiter. Doch ein genauerer Blick auf die Statistiken zeigt, dass sich der Ansturm auf das österreichische Asylamt schlagartig erhöhen könnte: Nach Einführung der Grenzkontrollen in Deutschland und vorübergehender Unterbrechung des Zugverkehrs am 14. September verdoppelten sich die Asylanträge anfangs auf mehr als 500 pro Tag.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2015)

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