Wifo und IHS prognostizieren für 2016 ein leichtes BIP-Wachstum, das aber weiter unter dem europäischen Schnitt bleibt. Größte Wachstumsbremse ist mangelnder Reformwille.
Wien. Nach drei Jahren der Quasi-Stagnation könnte im kommenden Jahr so etwas wie ein kleiner Konjunkturaufschwung zustande kommen. Die beiden Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS gehen bei ihrer Herbstprognose jedenfalls davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt im kommenden Jahr real zwischen 1,4 und 1,6 Prozent (siehe nebenstehende Grafik) wachsen könnte. Also annähernd doppelt so stark wie heuer. Das reicht aber bei Weitem nicht aus, um den Anstieg der Arbeitslosenrate auch nur zu stoppen.
Wifo-Chef Karl Aiginger will die leichte Wachstumsbeschleunigung freilich nicht schönreden: „Der EU-Schnitt liegt bei 1,8 Prozent, wir bleiben also auf der Kriechspur“, sagte Aiginger bei der Prognosepräsentation. Um sich dann in Rage zu reden: „Ich habe nicht das Gefühl, dass wir sagen können, im kommenden Jahr ist alles normal. Es muss sehr viel geschehen, dass wir wieder auf den Wachstumspfad zurückkommen.“
Zum Beispiel: „Wir sind auch ohne die Probleme, die jetzt durch die Flüchtlingswelle auf uns zukommen, nicht in der Nähe der Budgetziele.“ Zudem habe die öffentliche Hand höhere Kosten zuletzt immer über Gebühren abgefangen statt über Einsparungen. Das, so Aiginger, sei „nicht normal“.
Mehr Druck auf Reformen
Normal wäre es eher, wenn die Regierung mehr Druck für Reformen machen würde. Ein guter Einstieg in Reformen wären die erwarteten budgetären Mehrkosten durch die Flüchtlingswelle. Diese sollten durch Einsparungen aufgebracht werden, was bei den derzeit vorliegenden Annahmen kein so großes Problem sein sollte.
Wie berichtet geht das Finanzministerium für heuer von Mehrkosten von 400 Mio. Euro aus. Allerdings nur für die Grundsicherung. Die übrigen Kosten (etwa AMS) sind hier nicht enthalten. Im kommenden Jahr dürften diese Aufwendungen laut Wifo-Schätzungen noch einmal um 200 bis 300 Mio. Euro steigen.
Diese Zahlen dürften aber schon überholt sein. Sie gehen von den bisherigen Annahmen aus, dass es heuer zu 70.000 bis 100.000 Asylanträgen kommt, von denen rund 30.000 positiv abgeschlossen werden. Diese 30.000 seien bei entsprechender Qualifikation auch im Arbeitsmarkt unterbringbar.Beide Zahlen dürften aber wohl nicht zu halten sein, und auch Aiginger konzediert im Gespräch mit der „Presse“: „Wenn Deutschland die Grenzen zumacht, dann haben wir hier natürlich die Katastrophe.“
Was bedeuten die hohen Flüchtlingszahlen konkret für die auch ohne Migrationswelle immer noch steigenden Arbeitslosenzahlen? IHS-Experte Helmut Hofer schätzt auf Basis der Erfahrungen aus früheren Immigrationswellen, dass rund ein Drittel der Personen, die aus dem Asyl in den Arbeitsmarkt kommen, in die Arbeitslosenrate fallen werden. Aiginger glaubt dagegen, dass die Arbeitslosenrate nicht wesentlich ansteigen würde – „wenn man es klug macht“. Wenn man es „ungeschickt“ angehe, drohe allerdings ein Zusammenbruch des Sozialsystems.
Die Arbeitsmarktprognosen beruhen wie gesagt auf der Annahme, dass heuer nur 30.000 Zuwanderer Asyl bekommen. Diese seien im Arbeitsmarkt integrierbar. „Wenn es deutlich mehr werden, müssen wir uns etwas einfallen lassen“, relativiert Aiginger.
Heuer wird die Migrationswelle noch keinen Einfluss auf die Arbeitslosenrate haben, weil der Arbeitsmarkt erst nach Abschluss der Asylverfahren offensteht. Im kommenden Jahr dürfte die Rate „leicht“ steigen. IHS-Mann Hofer kann sich zum Beispiel vorstellen, dass die Arbeitslosenrate dann 9,5 Prozent beträgt. In der aktuellen Prognose geht das IHS noch von 9,3 Prozent aus, das Wifo ist mit 9,7 Prozent deutlich pessimistischer.
Obwohl der Zuzug sehr stark ist, dürfte sich die Migrationswelle nur sehr gering auf das BIP-Wachstum auswirken. Zwar erhöhen die Ausgaben der Flüchtlinge das Bruttoinlandsprodukt, die Kaufkraft von Asylwerbern sei im Allgemeinen aber sehr gering. „Selbst der aktuelle Zustrom dürfte zu klein sein, um die BIP-Prognose für 2015 und 2016 zu beeinflussen“, sagte Aiginger.
Insgesamt sei selbst die moderate Wachstumsprognose durch starke Abwärtsrisken gekennzeichnet, meinen die beiden Wirtschaftsforschungsinstitute. Das größte Risiko liege in der immer stärkeren Abwärtsspirale, in der sich wichtige Schwellenländer wie China, Russland und Brasilien befinden. Brasilien und Russland stecken derzeit in einer Rezession, das chinesische Wachstum schwächt sich immer stärker ab.
Unternehmen im Invest-Streik
Im Inland wird die Konjunktur durch eine ausgesprochen schlechte Stimmung in der Wirtschaft gebremst. Es werde viel zu wenig investiert, obwohl Geld zur Verfügung stehe. Die Beobachtungen der Wirtschaftsforscher ergeben keinerlei Hinweise auf eine Kreditklemme. Dass trotzdem nicht investiert werde, habe mit mangelndem Vertrauen der Wirtschaftsakteure in die Zukunft zu tun. (ju)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2015)