Zurückhalten unmöglich: Wie Flüchtlinge Deutschland erreichen

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Mit dem Bus von der Grenze, ins Notquartier, zum Bahnhof, weiter zu Fuß oder mit dem Zug. Die Durchreise nach Deutschland verläuft in Etappen.

Wien. Mehr als 160.000 Flüchtlinge sind seit Anfang September (seit Deutschland kurzfristig seine Grenzen geöffnet hat) hauptsächlich über Ungarn nach Österreich eingereist. Einmal da, wollen die meisten nur eines: weiter nach Deutschland. Österreich hat dafür eine Art „humanitären Korridor“ (O-Ton eines Polizeisprechers im Burgenland) errichtet. 85 bis 90 Prozent aller Flüchtlinge kommen am burgenländischen Grenzübergang Nickelsdorf an.

Ihre Weiterfahrt nach Deutschland gleicht mittlerweile einem gut organisierten Staffellauf für den ÖBB, Polizei, Heer, Ministerien und NGOs im Schichtbetrieb arbeiten. Von Nickelsdorf werden die Flüchtlinge in Bussen (ganz selten Zügen) weiter in Notquartiere im Burgenland oder in andere Bundesländer gebracht. Der Großteil mit circa 5000 bis 5500 Menschen pro Nacht landet in Wien. Von diesen Quartieren (in Wien bleiben die meisten gerade einmal eine Nacht zum Schlafen) geht es mit eigens organisierten Bussen oder ganz normalen Zügen (die ÖBB melden dafür täglich Kontingente an die Notquartiere) in Richtung Westen – heißt, in weitere Notquartiere in Salzburg oder Oberösterreich oder direkt auf Bahnhöfe.

Salzburg und Oberösterreich sind mit den Grenzübergängen in Freilassing (Salzburg) und rund um Passau (Oberösterreich) die Hauptausreise-Adern nach Deutschland. Rund 100.000 Menschen erreichten Schätzungen zufolge allein über Salzburg im September das Nachbarland. Andere Grenzübergänge in Salzburg wie etwa Großgmain sind laut Johannes Greifenender, dem Sprecher der Stadt Salzburg, kaum betroffen. Um die Grenze in Freilassing zu passieren, gibt es für die Flüchtlinge zwei Möglichkeiten: Rund 800 Menschen werden derzeit pro Tag mit Sonderzügen direkt nach Deutschland gebracht. Der Rest der rund 2000 bis 2500 Menschen, die Salzburg täglich erreichen, muss zu Fuß zur Grenze marschieren. Vom Salzburger Bahnhof sind es fünf bis sieben Kilometer bis dorthin. Vom Notquartier in der alten Autobahnmeisterei ein bis zwei Kilometer. Lang aufhalten tut sich gerade in diesem Notquartier niemand. „Sie gehen vorn bei der Türe rein und hinten wieder raus“, beschreibt Greifeneder die Situation vor Ort. So kurz vor dem Ziel Deutschland würden alle ihre letzten Kraftreserven sammeln. „Die kannst du nicht mehr zurückhalten“, fügt er hinzu.

Vor der Grenze müssen die Flüchtlinge anstehen. Manchmal würden zehn in der Stunde von den Deutschen abgefertigt, manchmal fünfzig, man habe da keinen Überblick, sagt Greifeneder. Die Situation vor Ort sei regelmäßig angespannt. Freiwillige Helfer würden versuchen, die Schlange stehenden Flüchtlinge vor Ort zu kontrollieren. Mit normalen Zügen kommen die Flüchtlinge nicht von Salzburg nach Deutschland. Der Zugverkehr zwischen Salzburg und München wurde vorerst bis 4. Oktober eingestellt.

Mit dem Zug nach Deutschland

Anders ist die Situation in Oberösterreich. Hier erreichen die Flüchtlinge zum Großteil noch mit dem Zug über Passau Deutschland. Auch hier melden die ÖBB freie Kontingente für Flüchtlinge in normalen Zügen an die Notquartiere. Dann werden die Flüchtlinge auf den Bahnhof gebracht, kaufen sich eine Karte und steigen in den Zug. Die andere Möglichkeit ist auch hier, die Grenze zu Fuß zu erreichen. Fünf Notquartiere in Oberösterreich, mit einer Gesamtkapazität von circa 1200 Menschen, befinden sich nahe der deutschen Grenze: In Esternberg (Bezirk Schärding), in der Grenzstadt Schärding selbst, in der Grenzstadt Braunau, in Julbach (Bezirk Rohrbach) und in Mühlheim am Inn – von dort sind es wenige Kilometer bis zum Nachbarland.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2015)

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