Caritas warnt nun auch vor Flüchtlingswelle aus Ukraine

APA/EPA/ROMAN PILIPEY
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Die Hilfe aus dem Westen reiche nicht aus. Alle würden auf den Syrien-Exodus blicken, sagt der Caritas-Präsident. Viele der 1,4 Mio. Binnenflüchtlinge könnten gen Westen ziehen.

Vor einem Flüchtlingsstrom aus der Ukraine in den EU-Raum hat der ukrainische Caritas-Präsident Andrij Waskowycz gewarnt. Wenn die Welt die Hilfe für die Opfer der größten humanitären Katastrophe Europas seit dem 2. Weltkrieg nicht aufstocke, würden viele der 1,4 Millionen Binnenflüchtlinge gegen Westen ziehen.

316 Millionen US-Dollar wären für das laufende Jahr 2015 erforderlich gewesen; nur 33 Prozent davon habe die internationale Gemeinschaft geleistet, zog der Caritas-Chef vor österreichischen Journalisten eine düstere Bilanz. Es habe große Hilfsbereitschaft in der ukrainischen Zivilgesellschaft gegeben, "eine unglaubliche Welle der Solidarität". Die meisten Menschen seien im Zentrum und im Westen des Landes irgendwie untergekommen. "Man sieht die Not nicht auf der Straße." Doch auch hier sei man an die Grenzen gelangt.

"Diese Krise ist still", warnt der Caritas-Chef. "Die Ersparnisse der Flüchtlinge sind aufgebraucht." Ein schlimmer Winter stehe bevor: "Wenn wir das nicht schaffen, werden die Menschen nach Westen weiterziehen, in die Länder der EU." Erst dann werde Europa auf diese Katastrophe aufmerksam werden, so Waskowycz mit Blick auf den Syrien-Exodus. In den Balkan-Kriegen der 80er-Jahre habe das Flüchtlingsdrama nicht so große Ausmaße erreicht.

"Wir brauchen auch Hilfe"

Sergej aus der Ostukraine, dessen Enkel von der Caritas betreut wird, äußert seine Ängste, dass die Hilfsprogramme vor Ort im Schatten der Syrien-Dauerkrise nicht fortgesetzt werden. Für die Syrien-Flüchtlinge gehe viel Geld auf. "Wir brauchen auch Hilfsprogramme." Die Aufmerksamkeit der Welt konzentriere sich auf die Nahost-Krisenherde, die Ukraine liege nicht im Blickpunkt. Wie die meisten aus seinem Umfeld sieht der Unternehmer "keinen Sinn in einer Rückkehr". Seine Firma wurde ausgeplündert, sein Fahrer wechselte die Seiten und arbeite "für die russischen Besatzer".

Anastasija aus Donezk sieht auch "keine Perspektive. Wir rechnen mit einer langen Krise". Die Binnenflüchtlinge hätten für die Kiewer Regierung "keine Priorität". Juliya floh mit ihren Kindern von Luhansk zunächst nach Moskau; die russische Propaganda brachte Gerüchte in Umlauf, dass in Kiew Faschisten am Ruder seien, "Monster". Doch dann kam die Familie nach Kiew; dort wurde ihr "sehr viel Hilfe von Einheimischen" zuteil.

In der Ostukraine ist die Lage dramatisch. 2,5 Millionen Menschen, vor allem Alte und Behinderte, blieben dort zurück. Der Zugang der Hilfsorganisationen sei nicht gewährleistet, seit 21. Juni gab es laut Caritas Ukraine keine Hilfstransporte mehr. Viel medizinisches Personal sei geflüchtet. 1,3 Millionen Menschen hätten keinen Zugang zu Wasser und Medikamenten. Sollte ein Hilfskorridor geöffnet werden, befürchte man, Tote in Wohnungen und Häusern zu finden.

Die Zahl der Menschen, die Opfer des russisch-ukrainischen Konflikts wurden, ist besorgniserregend. 1,4 Millionen Binnenflüchtlinge sind registriert, die UNO spricht von 1,5 Millionen, nach NGO-Schätzungen könnten es doppelt so viele sein. Rund 1,1 Millionen Ukrainer verließen bisher ihr Land Richtung Russland oder anderswohin. Unter den Flüchtlingen sind nach Caritas-Angaben 500.000 Kinder. Die Bilanz der Toten der Konflikts: seit April 2014 rund 7.000, unter ihnen mehrere tausend Zivilisten.

Die Flüchtlingskinder stehen im Fokus von Caritas-Programmen, an denen die Caritas Österreich führend beteiligt ist. Viele Kinder haben in ihren Heimatdörfern Bombardements und andere Kriegsgräuel mitgemacht und leiden unter posttraumatischem Stress. Mit Gruppentherapien, Spielen und kreativer Beschäftigung wird im Projekt "Childfriendly Spaces" versucht, den Kleinen Halt zu geben. 240 Kinder von Binnenflüchtlingen werden so je drei Monate psychologisch betreut, wie Projektleiterin Nataliya schildert.

Caritas Österreich hat zusammen mit lokalen Partnerorganisationen mehr als 15.000 Personen in Nothilfeprojekten für Vertriebene unterstützt. 1,8 Millionen Euro wurden dafür zur Verfügung gestellt. Geholfen wurde u.a. in den Oblasten Donezk, Luhansk, Charkiw, Dnjeprpetrowsk, Kiew und Odessa. Die Caritas Ukraine (geführt von der griechisch-katholischen Kirche) implementierte landesweit Programme in Höhe von circa 6 Mio. Euro.

(APA)

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