Afghanistan: Nato stürzt sich in Kunduz-Schlacht

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Spezialkräfte der Nato stoppten offenbar einen Taliban-Vorstoß auf den Flughafen von Kunduz. Abgeordnete fordern den Rücktritt des Präsidenten.

Kabul. Wegen der prekären Lage in der nordafghanischen Provinzhauptstadt Kunduz hat die Nato nun Elitesoldaten in das Kampfgebiet verlegt. Ein US-Militärsprecher berichtete, dass Angehörige von Nato-Spezialkräften in der Nacht auf Mittwoch in Gefechte mit der Extremistenorganisation Taliban verwickelt worden seien. Die Auseinandersetzung fand in der Nähe des Flughafens von Kunduz statt. Die Taliban hatten in der Nacht versucht, den Flughafen einzunehmen. Der Angriff konnte aber zunächst abgewehrt werden. Aus afghanischen Sicherheitskreisen verlautete, etwa 100 schwer bewaffnete und mit Nachtsichtgeräten ausgerüstete US-Soldaten hätten einen drohenden Durchbruch der Taliban gestoppt. Auch die US-Luftwaffe griff in die Schlacht um den Flughafen ein.

Die Taliban hatten die Stadt Kunduz bereits am Montag eingenommen. Am Dienstag starteten die afghanischen Regierungstruppen eine Gegenoffensive. Zwar konnten die Sicherheitskräfte nach eigenen Angaben das Polizeihauptquartier und andere wichtige Gebäude der Stadt wieder in Besitz nehmen. Ein großer Teil von Kunduz blieb jedoch in der Hand der Aufständischen.

Schwere Kritik an Präsident Ghani

„Hunderte Taliban wurden getötet. Ihre Leichen liegen in den Straßen“, sagte ein Sprecher der Polizei von Kunduz nach der Rückeroberung des Polizeihauptquartiers. „In der Stadt toben heftige Kämpfe.“ Eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums erklärte über Twitter, bei den Kämpfen seien bisher 30 Menschen getötet worden, die Opfer seien fast alle Zivilisten.

Der Einmarsch in Kunduz ist der größte Erfolg der Taliban in ihrem fast 14 Jahre andauernden Aufstand gegen die afghanische Regierung und die internationalen Truppen. Afghanistans Präsident, Ashraf Ghani, wird deshalb nun massiv kritisiert: Aufgebrachte Abgeordnete forderten am Mittwoch im afghanischen Parlament seinen Rücktritt. „Es ist beschämend, wie die Regierung mit der Lage in Kunduz umgegangen ist“, erklärte ein Abgeordneter während einer turbulenten Sitzung, die im Fernsehen übertragen wurde.

„Es fehlt der Wille zum Kampf“

Auf dem Gelände des Flughafens von Kunduz haben sich etwa 5000 afghanische Soldaten verschanzt. Der Bürgermeister des Bezirks Khardara, Mohammed Sahir Niasi, warf ihnen mangelnde Kampfbereitschaft vor. „Wir hätten genug Soldaten, um die Taliban anzugreifen, aber leider fehlt der Wille zum Kampf“, sagte er. „Wir verteidigen uns nur.“

Hunderte afghanische Soldaten, die zur Verstärkung kommen sollten, konnten Kunduz vorerst nicht erreichen. Sie steckten in der Nachbarprovinz Baghlan fest, weil die Taliban Straßen mit Steinen und Sandsäcken blockiert hatten.

Kunduz und die Umgebung der Provinzhauptstadt waren viele Jahre lang vom deutschen Kontingent der internationalen Afghanistan-Schutztruppe gesichert worden. Im Oktober 2013 übergab die Bundeswehr die Stadt an die afghanischen Sicherheitskräfte. Die Nato beendete ihren Kampfeinsatz in Afghanistan im vergangenen Jahr. Etwa 13.000 ausländische Soldaten sind in dem Land am Hindukusch geblieben, um vor allem bei der Ausbildung der afghanischen Truppen zu helfen. Bis Ende 2016 sollen dann auch diese letzten internationalen Soldaten aus Afghanistan abziehen. Wegen des jüngsten Vormarsches der Taliban könnten diese Planungen nun aber geändert werden.

Die Taliban hatten von 1996 bis 2001 Afghanistans Hauptstadt Kabul und den Großteil des Landes beherrscht. Im Jahr 2001 wurden sie durch eine US-geführte Koalition von der Macht verdrängt. Die Extremisten hatten nämlich al-Qaida-Chef Osama bin Laden Unterschlupf gewährt und waren dadurch ins Visier der Regierung von George W. Bush geraten. (Reuters/APA/red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2015)

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