Der Kopilot, derzeit ein untätiger Passagier

MINISTERRAT: PRESSEFOYER
MINISTERRAT: PRESSEFOYER(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
  • Drucken

Vizekanzler Reinhold Mitterlehner stellt der SPÖ die Rute ins Fenster – und das nicht zum ersten Mal. Doch abseits dieses Wahlkampfgetöses: An Werner Faymann droht gerade ein weiterer ÖVP-Obmann zu verzweifeln.

Er sei nicht mehr bereit, „ein untätiger Passagier auf einem schicksalshaften Weg“ zu sein, sagte Reinhold Mitterlehner den „Oberösterreichischen Nachrichten“. Und ja, er stelle dem Koalitionspartner die Rute ins Fenster. „Wenn wir nicht in nächster Zeit – und damit meine ich die nächsten Monate – deutlich beweisen, dass wir regieren wollen und können, dann hat es keinen Sinn, auf Dauer weiterzuwurschteln. Dafür stehe ich nicht zur Verfügung.“

Ballyhoo nennt sich das im Boxsport. Doch hinter dieser Kraftmeierei zur Einschüchterung des Gegners (hier ja eigentlich ein Partner) steckt ein wahrer Kern. Die ÖVP und ihr Vizekanzler leiden unter der Trägheit der SPÖ in der Regierung und haben Sorge, vom Negativsog mit hinabgezogen zu werden. Mitterlehner will einen Arbeitsmarktgipfel – Hundstorfer hält ihn hin. Mitterlehner will das Frauenpensionsalter anheben – Hundstorfer blockt das ab.

Vor allem aber in der Flüchtlingsfrage werden die Gräben größer. Erst bekniete die SPÖ Mitterlehner, nach außen hin ja nicht die gemeinsame Linie zu verlassen, und beschwor die humanitäre Tradition. Mitterlehner dämmerte allerdings irgendwann, dass diese weiche Linie beim eigenen Publikum nicht unbedingt gut ankommt.

Nachdem Deutschland die Grenzen pro forma dichtgemacht hatte, wollte auch die ÖVP sogleich nachziehen, doch Faymann wollte zunächst nicht. Erst tags darauf schwenkte dann auch er ein. Wobei sich da gleich das nächste Konfliktfeld auftat: Faymann wollte nur punktuelle Grenzkontrollen, die ÖVP rigorosere. Und während das Bundesheer nach SPÖ-Vorstellungen im Assistenzeinsatz nicht viel mehr tun soll als Essen zu verteilen, drängt die ÖVP auf einen wirkungsvolleren Einsatz. Und einen Plan B – für den Fall, dass Deutschland wirklich keine Flüchtlinge mehr aufnimmt – habe die SPÖ auch nicht, klagen ÖVP-Minister.

In der SPÖ nimmt man dies alles gelassen. Es sei nicht das erste Mal, dass Mitterlehner mit einem Koalitionsbruch drohe. Er hatte das schon im November des Vorjahres getan, für den Fall, dass aus der Steuerreform nichts werde. Mitterlehner werde sich also auch jetzt wieder einkriegen, schließlich habe er keine Alternative, und außerdem sei das jetzt eben Wahlkampfgetöse.

Der Zusammenhang mit dem Wahlkampf ist offensichtlich: Kurz vor der Wahl in Oberösterreich redete Mitterlehner auf einmal der „Festung Europa“ das Wort und verlangte Asyl auf Zeit. Nun, nach den Verlusten in seiner Heimat, schärft er weiter nach, zeigt sich restriktiv beim Familiennachzug und droht der SPÖ mit Konsequenzen.

Gerade beim Thema Asyl auf Zeit glauben die Bürgerlichen, die mangelnde Paktfähigkeit der SPÖ zu erkennen: Erst signalisierte Kanzleramtsminister Josef Ostermayer, die Nummer zwei in der Faymann-SPÖ, Zustimmung. Am Montag, in einem „Presse“-Interview, stellte SPÖ-Klubchef Andreas Schieder, die Nummer drei in der Nomenklatura der Faymann-SPÖ, dies dann wieder infrage. Der hier mitschwingende Vorwurf: Die SPÖ wolle als die Partei des Guten dastehen. Der ÖVP, die sich Gedanken über den Tag hinaus mache, bliebe der Schwarze Peter.

Auf der anderen Seite, nämlich rechts der Mitte, wird der Kurs der ÖVP aber weiterhin als zu nachgiebig wahrgenommen. Das war das Problem bei der Oberösterreich-Wahl, so könnte es auch in Wien sein. Rechts könnte die ÖVP an die FPÖ verlieren. Möglicherweise mehr als in der Mitte an Neos, Grüne und SPÖ. Mitterlehner versucht hier, mit seinem Schwenk das Ruder noch einmal herumzureißen. Ob das – in Wien – gelingt, ist allerdings fraglich.

Überlebenskünstler Faymann

Am Überlebenskünstler Werner Faymann droht gerade ein weiterer ÖVP-Obmann zu verzweifeln. Mit besten Absichten gestartet, jetzt aber wirklich neu zu regieren, muss auch Reinhold Mitterlehner erkennen, dass die beharrenden Kräfte zu stark sind. Nicht nur im Kanzleramt freilich. Sondern auch darüber hinaus – in den Ländern und in der Sozialpartnerschaft, aus der er selbst kommt. Dort geht seit Längerem nichts mehr weiter. Und der Kanzler lässt die Dinge schleifen, anstatt hier Druck zu machen. Denn auch ihm ist lieber, es passiert nichts als etwas für die SPÖ und deren Klientel möglicherweise Unangenehmes. Höchstens, wenn es um die sechste Urlaubswoche geht, werden SPÖ-Chef und Gewerkschaft aktiv.

Und bezeichnend ist eben die Flüchtlingsfrage: Der Kanzler setzt auf Abwarten, das Managen des Status quo – und wenn es nicht mehr anders geht, wird nachvollzogen, was die Deutschen tun. Die ÖVP würde gern proaktiver handeln, kann allerdings nicht. Und so bleibt auch Mitterlehner nicht viel anderes übrig, als sich an Berlin zu halten: Führen die Deutschen Asylschnellverfahren an der Grenze ein, führen auch wir Asylschnellverfahren an der Grenze ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Mitterlehner, Faymann, Strache
Politik

Politologen: "Koalition kann sich keine Neuwahlen leisten"

ÖVP und SPÖ versuchen zu beruhigen: Die Regierung stehe nicht auf der Kippe. Laut Experten würde die FPÖ Neuwahlen gewinnen.
Mitterlehner droht mit dem Koalitionsende
Politik

Kein "Weiterwurschteln": Mitterlehner droht mit Koalitionsende

Der Vizekanzler fordert "in den nächsten Monaten" ein Regierungsprogramm, mit dem unter anderem die Asylpolitik nachgeschärft wird.
Leitartikel

Rechts von der ÖVP dürfte eigentlich gar kein Platz sein

Die ÖVP schärft nach, wie Parteichef Mitterlehner das nennt. Das könnte die Lehre aus Oberösterreich sein. Wenn es nicht so nach Taktik für Wien klänge.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.