Wie man Selbstorganisation organisiert

Es klingt paradox, doch Führungskräfte können – ja müssen – organisatorisch und inhaltlich Rahmenbedingungen schaffen, damit sich die Mitarbeiter selbst organisieren können: Ermöglichen ist das neue Managen.

Eines wird in der Arbeitswelt immer deutlicher: Die Systeme werden komplexer, sie funktionieren nicht mehr nach simplen Ursache-Wirkung-Prinzipien und schon gar nicht nach den Vorgaben patriarchisch agierender Manager.

Eine der möglichen Antworten darauf, sagen die Organisationsentwicklerinnen Birgit Feldhusen und Karin Weigl, die im November auch den ersten Wiener Leadership-Kongress auf die Beine stellen, ist die Selbstorganisation. Das sei zwar kein neues Konzept, sondern etwas, was die Menschen schon immer gemacht haben. Doch nur wenige Unternehmen wagen es, dieses Konzept auch in ihrer Organisation einzusetzen.

Denn die Aufforderung „Macht mal!“ in Richtung der Teams funktioniert nicht ohne Rahmenbedingungen durch die Führung eines Unternehmens. Auch Selbstorganisation muss – so paradox das auch klingt – organisiert werden:

  • In erster Linie, sagt Feldhusen, verlangt es eine bestimmte Haltung und ein bestimmtes Menschenbild, den Mitarbeitern Selbstorganisation zuzutrauen.
  • Obsolet erscheint damit das Mittelmanagement. Es sei, sagen die beiden Organisationsentwicklerinnen, zu einem großen Teil für Kontrolle zuständig. Das sei unökonomisch: „Vertrauen provoziert zwar eine gewisse Verletzlichkeit, ist aber ökonomischer als Kontrolle.“ Außerdem, sagt Weigl, reduziere Vertrauen Komplexität.
  • Zudem braucht es strukturelle und prozessuale Voraussetzungen: etwa, dass die Teams eigenverantwortlich arbeiten können und Hoheit über Budget und Ressourcen haben. Konflikt- und Gesprächsmanagement sowie Weiterbildung sind nicht den Führungskräften vorbehalten, sondern werden allen Teammitgliedern angeboten. Auch die Leistungsmessung erfolgt auf Teamebene. Entscheidungen werden nach dem Konsent- statt nach dem Konsensprinzip getroffen: Entscheidungen müssen nicht einstimmig fallen, doch haben alle Beteiligten die Möglichkeit, ihre Argumente vorzutragen. Und es darf kein schwerwiegender und begründeter Einwand offenbleiben.

Alternativ wenden viele selbst organisierte Einheiten das Prinzip des konsultativen Einzelentscheids an. Das heißt, vor jeder Entscheidung müssen immer ein Experte und eine von der Entscheidung betroffene Person konsultiert werden.

Hierarchien? Ja, aber

  • Wenn selbst organisierte Teams das Unternehmen bilden und es keine formale Hierarchie gibt, heißt das nicht, dass alle gleich sind. Hierarchien strukturieren sich nach anderen Dimensionen als nach Macht: etwa nach unterschiedlicher Erfahrung, die Menschen gemacht haben.
  • Wichtig ist Weigl und Feldhusen die Unterscheidung zwischen Rollen und Funktionen. Nicht auf die Funktion, sondern auf die Rollen komme es an, also welche Aufgaben jemand mit seinen Fähigkeiten übernehmen kann.
  • Es müsse die Reflexionsfähigkeit gefördert werden. Jeder im selbst organisierten Team müsse sein Verhalten hinterfragen: Wo geht es um die Sache, wo geht es um Befindlichkeiten?

All das aber brauche eine zentrale Klammer: den Sinn und Zweck. Diese Klammer könne nicht verordnet werden. Doch es empfehle sich, sagen Weigl und Feldhusen, ein „Kulturbuch“ zu etablieren: mit einigen, wenigen Regeln, in dem die wichtigsten Werte und Prinzipien zusammengefasst sind. Im Idealfall decken sich die individuellen Sinn- und Wertvorstellungen der Mitarbeiter mit jenen der Organisation.

Bedingung für die Menschen in der Organisation sei, dass sie bereit sind, sich zu entwickeln. Doch in aller Regel, sagen Weigl und Feldhusen, „lassen sich Menschen auf diese Art der Organisation ein, wenn für sie die Chance besteht, dass etwas besser wird“.


1. Wiener Leadership-Kongress, 4. und 5. November, Schottenfeldcenter (www.schottenfeldcenter.at). Begrüßung: Erhard Busek, Keynote: Hans A. Wüthrich. Infos und Tickets unter www.wienerleadershipkongress.at.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2015)

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