Vier Frauen und ein Egomane

„Flucht vor der Nacht“: Dine Petriks kantiges Porträt eines schillernden Malers nebst Streiflichtern über die Wiener Künstlerszene zu Zeiten des Millenniums.

Ben Bogathy ist ein anerkannter Maler, ein wenig übers angeblich beste Alter hinaus. Er trinkt exzessiv, pflegt die Wiener Raunzerei, wenn er seine Meinung über Kollegen kundtun soll, ist ein getriebener Egomane. Edith, der er verdankt, dass „die Tage nichts Verheerendes“ mehr ausstrahlen, brüskiert er nicht nur auf Festen. Sie ist eine der Frauen, die er liebt, und der er das nicht sagen kann.

Mitten in dieser Oktobernacht, in der die Geschichte einsetzt, verlässt Ben die Gesellschaft und fährt zum Geburtstagsfest seines ältesten Freundes und Kollegen, Bruno Salcher. Mit wunderbar gesetzten Hinweisen flicht die 1942 im Burgenland geborene Dine Petrik Puzzleteile aus Bens Vergangenheit in den rasenden inneren Monolog des Malers.

Es sind karg bemessene Streiflichter, die Bens private Tragödien kurz erhellen. Der Unfalltod seiner studierenden Tochter Olivia, der Suizid seiner ersten Frau Catherine quälen ihn, der sich keiner Schuld bewusst sein will: Das flutende Glück der Arbeit. Und nagende Verlustgefühle. Und andere. Gefühle der Rache. Sie waren da, waren abzuarbeiten. Fast obsessiv: Frauen, sie provozieren das ja.

In Bens Furor mischen sich Vorurteile, die er als notwendiges Geländer nutzt, um sein Ego herausstreichen zu können. Die Frau aus der Provinz, Mag, die so verzweifelt versuchte, seine Einsamkeit zu erleichtern, hat für ihn keinen Wert. Dafür wird er einmal zahlen müssen. Edith schafft es allerdings, sich besser zu schützen und einen eigenen Weg zu finden.

Ben, von seinem Kunstanspruch zerfressen, drängt sich uns auf, weil Dine Petrik die richtige Stimme für ihn gefunden hat. Ihr von einigen Büchern bereits bekannter abgehackter Stil, die oft atemlos vorwärts stürmenden Rumpfsätze passen perfekt zu Ben. Seine Beobachtungen sind boshaft, ein wenig schief und oft unbarmherzig („Ihr Gesicht glühte, eine vom Alkohol aufgequollene Ampel, die abwechselnd die Brauen hob“). Notting (Hill), wohin Catherine mit Olivia zieht, nennt er abschätzig und verletzt „Nothing“. Nothing hat ihm die Tochter gestohlen, Nothing hat ihn amputiert.

Leider hat die seit 1959 in Wien lebende Autorin, deren Erzählen immer von starker Visualität geprägt ist, für Olivia, Mag und Edith keine eigenen Stimmen gefunden. Sie lesen sich wie weibliche Pendants zu Ben und sind doch ganz anders geplante Charaktere. Gerade die Stilelemente des inneren Monologs hätten für die Eigenständigkeit Möglichkeiten geboten.

Sowohl Olivia, die zum Vater für kurze Zeit zurückkehrt und irritiert ist von seinen Übergriffen, Mag, die Ben als Chance begreift, ihr Dorfleben beenden zu können, Edith, deren Rechnung erst nach Verlusten aufgeht, kreisen um Ben – leider in seinem Sprachduktus, was die Unterscheidung sehr erschwert. Ähnlich stilistisch angelegt sind Petriks Stadtbeschreibungen, die sich in Auflistungen erschöpfen, die zwar in manchen Details bös wahrhaftig sind, aber doch zu sehr an ein Baedeker-Verzeichnis für Wien erinnern, das es abzuarbeiten gilt. Das ist schade.

Dine Petriks Buch hätte nämlich das Zeug gehabt, ein spannender Roman über Künstler in Wien und die Szene zu Zeiten des Millenniums zu werden: Frauen rund um einen Egomanen, in einem modern angelegten Expressionismus mit sorgsam eingeflochtenen Austriazismen. Nun ist es das kantige Porträt eines Schillernden, das sich auf einer Leinwand voll wildem Farbgemenge hervorhebt. ■

Dine Petrik

Flucht vor der Nacht

Roman. 192 S., brosch., € 20 (Verlag Bibliothek der Provinz, Großwolfgers)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2015)

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