Hitlers Worte in der Strandbar

Mein Kampf
Mein Kampf(c) Candy Welz/Steirischer Herbst
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Steirischer Herbst: Intelligentes, kühles dokumentarisches Theater: Rimini Protokoll mit „Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2“ im Grazer Schauspielhaus.

Wie der Witz in Monty Pythons Sketch „Der tödlichste Witz der Welt“, so wurde Adolf Hitlers „Mein Kampf“ lange Zeit behandelt: Als ob die schiere Lektüre dieses Buches einen Menschen in einen Nationalsozialisten verwandeln würde. Als ob man es mit Schutzhandschuhen angreifen müsste, weil es so wirksames Gift enthält. Das tut es nicht, erklären manche, die es gelesen haben – und wundern sich laut, wie plump und schlecht es geschrieben sei.

Auch das ist übertrieben. Gemessen an der völkischen Literatur der Zwanzigerjahre sei „Mein Kampf“ stilistisch durchschnittlich, nur weil wir dieses literarische Umfeld nicht mehr kennen, wirke Hitlers Stil auf uns so schrullig, erklärt der an diesem Theaterabend zitierte Historiker Othmar Plöckinger. Tatsächlich, ein „Volkskörper, der immer und ewig kämpfen muss“, mutet uns heute – zu Recht – bizarr an. Aber Rimini Protokoll machen es uns nicht so leicht, nur solche Stellen zu bringen. Nein, sie lesen z. B. auch Hitlers abschätzige Urteile über politische Parteien, die ganz ähnlich klingen wie Sprüche, die man heute oft hört, und zwar nicht nur an rechtsextremen Stammtischen. Da hat man dann nichts zum Lachen.

Das dokumentarische Theater von Rimini Protokoll lebt von der Authentizität der auftretenden Personen, die sich selbst spielen. Etwa Alon Kraus, ein israelischer Anwalt mit einer Obsession für Deutschland und den Nationalsozialismus, er ist auf seltsame Weise von der Sprache von „Mein Kampf“ fasziniert, spricht in der Strandbar von Tel Aviv deutsche Studentinnen darauf an, nicht immer zu deren Wohlgefallen.

Oder, vielleicht am merkwürdigsten, der deutsch-türkische Rapper Volkan Terror: Er zerquetschte Erdäpfel in einem Videoclip namens „100 % deutsche Kartoffeln“, seine Stücke trugen Titel wie „Sprich Deutsch oder stirb“, er wurde wegen Volksverhetzung angezeigt. Seine Attitüde – „Kanaken-Deutsche“ sind die besseren Deutschen – entbehrte natürlich nie der Selbstironie, doch wenigstens einem Kollegen, der mit ihm rappte, ging diese verloren: Er nannte sich Deso Dogg, heute ist er unter seinem bürgerlichen Namen Denis Cuspert beim IS. Der gemütlich und sympathisch wirkende Volkan Terror erzählt das im selben lakonischen Tonfall, mit dem er referiert, dass „Mein Kampf“ in arabischen Ländern sehr wohl gedruckt wird und in der Türkei sogar auf Bestsellerlisten stehe. Da schaudert's einen, und man überlegt, ob dieses Gift nicht doch noch einmal wirksam sein könne.

In Keller verschimmelt

Harmloser ist die Geschichte von Sibylla Flügge: Sie habe als Kind 1965 „Mein Kampf“ exzerpiert und das Heft ihren Eltern zu Weihnachten geschenkt. Ja, durfte sie denn das? In Kellern, erfährt man, sind viele Exemplare verschimmelt, auf Dachböden finde man gut erhaltene. Ob es in Österreich verboten sei, „Mein Kampf“ zu verteilen, darüber wird auf der – als verstaubtes Altwarengeschäft hergerichteten – Bühne debattiert, dann bekommt eine Frau im Publikum ein Exemplar mit Leselampe: „Nicht weiterreichen!“

Solche Passagen sind die schwächsten des Abends, sie wirken sinnlos kokett, als wären Rimini Protokoll nur von der Lust an der Provokation, am Brechen von Tabus getrieben. Das sind sie nicht, eher von der Lust am Recherchieren, am Auffinden unerwarteter Zusammenhänge. Dass das Buch, das vor dem Mai 1945 in deutschen Haushalten nicht fehlen durfte, danach oft als Klopapier Verwendung fand, ist nicht so überraschend, und die skurrile Geschichte von Hitlers Geburtshaus in der Zweiten Republik ist bekannt, ebenso wie Hitlers Liebe zu Karl Mays Romanen, derentwegen nun im Grazer Schauspielhaus leise die Old-Shatterhand-Melodie erklang. Aber die Debatte in der Knesseth, ob „Mein Kampf“ in Israel gedruckt werden dürfe, ist ein interessantes Dokument. Und dass in „Auf, auf, zum Kampf“, heute eher bekannt als linkes Lied („Dem Karl Liebknecht, dem haben wir's geschworen“), zuerst Kaiser Wilhelm und von 1930 bis 1945 Adolf Hitler geschworen wurde, ist wohl nicht Allgemeingut.

Rimini Protokoll bringen dergleichen nicht mit Zeigefinger, sie widerstehen der Versuchung, links und rechts naiv gleichzusetzen. Auch wenn die Juristin Anna Gilsbach über ihre Schwester erzählt, die linke Terroristin war und ihren Eltern einen erschütternd fanatischen, durchaus an Hitlers Diktion gemahnenden Abschiedsbrief hinterlassen hat. Gilsbach gehörten auch – zumindest am ersten Abend, bei Rimini Protokoll kann sich das ändern – die Schlussworte: „Ich würde den Wert eines Menschenlebens niemals gewichten wollen. Das lehne ich ab.“

Für eine Premiere erstaunlich kurzer Applaus. Aber viele lange Debatten danach.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2015)

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