Wien: Die Stadt ohne bürgerliche Partei

Die Presse
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Leitartikel. Am 11. Oktober geht es nur um SPÖ oder FPÖ. Im Minimundus-Duell stehen die Grünen links, die Neos knapp daneben, die Rest-ÖVP ist im Nirgendwo. Das bürgerliche Wien hat abgedankt.

Nirgendwo sonst manifestiert sich die Selbstaufgabe, die Kapitulation, des bürgerlichen Wien deutlicher als im ersten Bezirk. Dort, wo einst in Bernhard'scher Dörflichkeit die ÖVP regierte, als wäre es eine Marktgemeinde mit Hofburg, ist die lokale Politik aus den Fugen geraten. Da tritt Ursula Stenzel, Queen-Mum-Darstellerin mit politisch exzellentem Lebenslauf, für den charmant lächelnden Märchenwolf Heinz-Christian Strache an. Sie, die einst auch Unterstützung von aufgeklärten Städtern erhalten hatte, wurde von den jungen ÖVP-Yuppies schlecht behandelt. Einer von ihnen, der freundlich grüßende Mann mit dem klingenden Namen Markus Figl, will Bezirksvorsteher werden. Der Großneffe! Und noch ein Name drängt auf Plakate und ins Alte Rathaus, wo die schlecht bezahlten Bezirksräte streiten: Gregor Raidl, Sohn des stimmgewaltigen und in jedem Thema meinungsstarken Claus Raidl, tritt für die Neos an. Um die Verwirrung perfekt zu machen, setzt der Spitzenkandidat einer im Bezirksparlament aktiven Bürgerliste, Karl Newole, der mehr rote denn schwarze Freunde zählt, auf das, was Stenzel stark gemacht hat. Weniger Tingeltangel, weniger Venedig-Tourismus, mehr Lebensraum für die Bewohner! Das Ganze ließ er elegant ins Englische übersetzen, um neue Innenstadtbewohner mit EU-Pass zu erreichen. Und großstädtisch zu wirken.

Das Dramolett zeigt: Die Wiener ÖVP, die einst ernsthaft um den Führungsanspruch in der Stadt gekämpft hatte, hat Haus und Hof verspielt, muss ein weiteres trauriges Rückzugsgefecht liefern. In Umfragen liegt sie im einstelligen Bereich, ihre richtige Kritik an der absurden Verkehrspolitik dieser Stadt verpufft angesichts des Themas Flüchtlinge. Obwohl die Partei mit Johanna Mikl-Leitner die Innenministerin stellt, gelingt es Stadt-Mohikaner Manfred Juraczka nicht, das Feld zu besetzen.

Stimmen werden ihn die Neos kosten. Die Partei von Matthias Strolz setzt im Wahlkampf auf scharfe Kritik am roten Filz und scheut inhaltliche Festlegungen in wirtschaftsliberalen Themen wie ihr schlauer Mandatar Niko Alm das Weihwasser. Sonntagsöffnung? Nur für nette Nahversorger! Privatisierungen? Vielleicht irgendwann, wenn es sein muss, aber nicht jetzt und im Wahlkampf. Beate Meinl-Reisinger wandelt auf den Spuren des Liberalen Forums. Die Wiener Grünen, die mit den Stimmen der Töchter Döblings und Hietzings ins Stadtparlament gewählt wurden, standen politisch immer weiter links als ihre Schwesterparteien in den Bundesländern. In der Koalition mit der SPÖ konnte man das Programm umsetzen und Individualverkehr bekämpfen. Wahlfreiheit ist die Sache der Grünen nicht.

Die Freiheitlichen beanspruchen die Führerschaft rechts der Mitte, die Hoheit im bürgerlichen Wien. Mag sein, dass sie dort erfolgreich sind. Es heißt aber nicht, dass die FPÖ bürgerlich ist. Auch wenn der Eindruck vorherrscht, es gäbe nur noch das Thema Flüchtlinge. Bei zentralen Themen wie Sozialstaat, Pensionen, Einfluss des Staates auf Wirtschaft und Gesellschaft sowie Steuerpolitik vertritt Heinz-Christian Strache linke Positionen – selbst wenn es im Parteiprogramm anders steht. Er verneint das nicht einmal.

Geht es nach der Taktik der Wiener SPÖ, sollen am 11. Oktober bürgerliche Wähler Michael Häupl wählen, um ein blaues Wien zu verhindern. Das könnte zum Teil funktionieren. Und anders: Bürgerliche Häupl-Hasser könnten Blau wählen, um ihn zu stürzen.

Es sagt sehr viel über den Zustand des bürgerlichen, sprich: des liberal-konservativen Lagers in der Bald-zwei-Millionen-Stadt aus: Es ist Geschichte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 3. Oktober 2015)

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