Gefälschte Zitate: Das habe ich nie gesagt!

Abraham Lincoln (1809–1865) wird gern zitiert, wenn es um gefälschte Zitate im Internet geht.
Abraham Lincoln (1809–1865) wird gern zitiert, wenn es um gefälschte Zitate im Internet geht.(c) EPA (MICHAEL REYNOLDS)
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»Sollen sie Kuchen essen« – »Wer Visionen hat, braucht einen Arzt« – »Das Boot ist voll«. Man kennt die Urheber dieser Zitate - nur haben sie es nie gesagt.

Es sind starke Worte: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“

Der Spruch ist das Mantra der Umweltbewegung. Greenpeace verwendet ihn gern auf Bannern; er klebt, vor allem in den USA, auf hunderten Autos, oft eingerahmt von Symbolen der Indigenen und illustriert mit einem Bild eines ernst schauenden Sitting Bull.

Die Experten lächeln angesichts dieses Aufklebers milde, weil sie wissen, dass es nicht Sitting Bull war, der Sioux-Häuptling, von dem dieser visionäre Spruch stammte. Sondern Chief Seattle, Häuptling der Suquamish. War es natürlich auch nicht, weil es, wie andere wissen, eine alte Weissagung der Creek-Indianer ist.

Man muss sie alle enttäuschen. Das Zitat stammt aus dem Jahr 1972 von der kanadischen Autorin und Filmemacherin Alanis Obomsawin. Sie hat es in einem Beitrag in dem Buch „Who is the Chairman of This Meeting?“ verwendet. Aber es macht sich als alte Mahnung der Indigenen einfach besser.

»Das Boot ist voll.«

Dieser Satz macht sich dagegen gar nicht so gut. Vor allem nicht, wenn er von einem Sozialdemokraten stammt und den Zuzug von Ausländern nach Österreich betrifft.
Josef Cap, dem ehemaligen SPÖ-Klubobmann, wird diese Aussage stets zugeschrieben und jetzt im Zuge der Flüchtlingsdiskussion immer wieder zitiert. Cap soll sie in seiner Zeit als Zentralsekretär der SPÖ (1988–1995) gemacht haben. Hat er aber nicht.

„Ich sag doch so etwas nicht! Mit dieser Aussage hat die Schweiz damals die Aufnahme von jüdischen Flüchtlingen aus Nazi-Deutschland verweigert“, sagt Cap heute. Tatsächlich stammt der Satz vom damaligen zweiten SPÖ-Zentralsekretär, Peter Marizzi. Er hat ihn ohne große Hintergedanken gesagt.

Warum er immer Cap unterstellt wird? „Man wollte und will mir damit schaden.“ Er habe in der Vergangenheit alles getan, um die Urheberschaft loszuwerden. Im Parlament habe er es zu Protokoll gegeben, FPÖ-Chef Strache hat er persönlich versichert, dass er es nie gesagt hat. Eine Hoffnung bleibt Cap: „Mit der Zeit wird er immer weniger verwendet.“

»Dann sollen sie eben Kuchen essen.«

Auch in diesem Satz liegt die Absicht, der Urheberin zu schaden. Er wird Marie Antoinette in den Mund gelegt, Ehefrau des französischen Königs Ludwig XVI. und Tochter von Kaiser Franz I. und Maria Theresia. Sie soll ihn gesagt haben, als man ihr erzählte, dass sich die Armen nicht einmal mehr Brot leisten können.

Tatsächlich ist er ein schöner Beweis für die Arroganz des Hochadels vor der Französischen Revolution. Der Satz aber stammt aus Jean-Jacques Rousseaus Autobiografie „Confessions“ („Die Bekenntnisse“). Geschrieben hat er ihn vermutlich 1766 – zu einer Zeit, als Marie Antoinette noch als elfjährige Prinzessin am Hof in Wien spielte. Es wird darüber spekuliert, dass Rousseau mit der unbestimmten „großen Prinzessin“ Maria Theresia von Spanien gemeint hat. Aber der Satz passte eben so gut zur verschwenderischen Marie Antoinette.

»Wer Visionen hat, braucht einen Arzt.«

Genau wie dieser Satz. Passt irgendwie zu Franz Vranitzky, der von 1988 bis 1997 Parteivorsitzender der SPÖ und Bundeskanzler war. Ein pragmatischer, nüchterner Politiker, der „Sozialist im Nadelstreif“, der Wortschöpfungen wie „Handlungsbedarf“ hervorgebracht hat, sagt auch so einen Satz.

Natürlich nicht. „Ich erinnere mich genau“, erzählt Vranitzky, der wirklich noch jedes Detail der Entstehungsgeschichte kennt. „Im ,Profil‘ haben sie nach dem Parteitag 1988 jemanden zitiert, der gesagt haben soll: Der Vranitzky ist einer, von dem könnte der Satz stammen: ,Wer Visionen hat, braucht einen Arzt.‘“ Und schon war ihm dieser Satz als Aussage unterstellt.

Für viele Genossen sei seine Ernennung zum Parteichef damals schwer zu verdauen gewesen. „Ein ehemaliger Bankenchef, der Nadelstreifanzüge trägt“, sagt Vranitzky fast verständnisvoll. Am Anfang, als man begann, ihm den Satz zu unterstellen, habe er sich noch gewehrt. Irgendwann gab er auf, weil es sinnlos gewesen sei. „Manche Parteimitglieder haben sich gegenseitig zugeflüstert, das Wort Visionen nur nicht in meiner Gegenwart zu verwenden.“ Rehabilitiert hat ihn mehr oder weniger „Die Presse“. „Ich habe Jahre später in einer Glosse gelesen: Was fällt dem Vranitzky ein, diesen Satz von Helmut Schmidt einfach zu verwenden.“

Tatsächlich hat ihn der deutsche Bundeskanzler und SPD-Chef Schmidt in einem Interview getan. In der „Zeit“ bestätigte er 2010, er habe die Aussage von den Visionen und dem Arzt „vor 35, 40 Jahren“ gemacht.

»Ich hasse, was du sagst, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass du es sagen darfst.«

Immer, wenn es um Meinungsfreiheit geht, kommt dieser Ausspruch des französischen Philosophen Voltaire. Schade nur, dass er ihn nicht gesagt hat. Evelyn Beatrice Hall verwendet ihn in ihrer Biografie über den Philosophen aus dem Jahr 1906, 128 Jahre nach dessen Tod. Sie wollte damit Voltaires Einstellung zur Meinungsfreiheit zeigen.

»Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.«

Mahatma Gandhi war ein großer Mann, und dieser Satz passt zu seiner ganzen Biografie. Aber auch er hat das nie gesagt. Nicht einmal etwas Ähnliches findet sich in seinen Reden und Schriften. Allerdings dürfte diese Aussage auf einen Satz von jemand ganz anderem zurückgehen – keinem Pazifisten, der die Welt verändert hat, sondern einem Gewerkschafter. Nicholas Klein sagte 1918 bei einer Ansprache vor den Mitgliedern der Textilgewerkschaft in Baltimore: „Zuerst ignorieren sie dich. Dann machen sie dich lächerlich. Dann greifen sie dich an und wollen dich verbrennen. Und dann errichten sie dir Denkmäler. Und genau das wird mit der Textilgewerkschaft passieren.“ Relativiert sich in dem Zusammenhang doch sehr.

»Beam me up, Scotty.«

Nein, liebe Raumschiff-Enterprise-Fans, Captain Kirk hat diesen Satz so nie gesagt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2015)

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