Ein Aktionstag für Flüchtlinge

Toten Hosen-Sänger Campino.
Toten Hosen-Sänger Campino.APA (HERBERT P. OCZERET)
  • Drucken

Zigtausend Menschen haben für Solidarität mit Flüchtlingen demonstriert. Die Toten Hosen verstanden ihren Auftritt auch als Unterstützung für die Helfer.

Genau vier Wochen nach jenem Samstag, an dem zum ersten Mal tausende Flüchtlinge am Wiener Westbahnhof angekommen sind, wurde der Westbahnhof am gestrigen Samstag wieder zum Zentrum des Geschehens in Sachen Flüchtlinge: Mehrere tausend Menschen haben sich dort am frühen Nachmittag zur Auftaktkundgebung der Demonstration Flüchtlinge willkommen! versammelt. Zu Beginn der Veranstaltung zeigten Flüchtlinge aus Traiskirchen Auszüge aus Elfriede Jelineks „Schutzbefohlenen“. Vertreter der Veranstalter, der Plattform für eine menschliche Asylpolitik, betonten in ihren Reden: „Wir heißen alle Flüchtlinge willkommen, egal, ob sie durch Krieg, Verfolgung oder aus anderen Gründen zur Flucht gezwungen wurden.“ Gefordert werde die menschenwürdige Behandlung von Flüchtlingen, Qualitätsstandards in der Betreuung und die Öffnung der Grenzen. Zu Wort kamen außerdem Flüchtlinge, die über ihre Situation berichteten.

Die Route der Demonstration führt über die Mariahilfer Straße, die am Abend zuvor mit 2100 Plakaten, die Flüchtlinge zeigen, beklebt worden war. Über diesen „Walk of Fame der Menschlichkeit“ zogen am Samstag zehntausende Menschen – die Polizei sprach von „etwas mehr als 20.000“, die Veranstalter von bis zu 70.000 Teilnehmern, die sich zur Schlusskundgebung vor dem Parlament einfanden. Gleich im Anschluss daran startete am frühen Abend am Heldenplatz ein Solidaritätskonzert für Flüchtlinge mit einem hochkarätigen Line-up: Unter anderem mit den Toten Hosen, Bilderbuch, Conchita Wurst und Zucchero.

Campino: „Rückhaltlos hinter Merkel.“ Die Toten Hosen hatte „keine 30 Sekunden über eine Zusage nachgedacht“, sagte Sänger Campino vor dem Konzert zur „Presse am Sonntag“. Dabei zu sein sei „selbstverständlich“. „Es ist für uns als Band aus dem Nachbarland auch ein Zeichen, dass es nicht sein kann, dass die Österreicher mit ihren Problemen allein gelassen werden. Wir müssen zusammenstehen. Wenn wir die Probleme bewerkstelligt haben, dann ist es auch ein guter Grund, sich in den Armen zu liegen und zu sagen, wir haben das gepackt.“
Während in Deutschland am Samstag 25 Jahre Deutsche Einheit gefeiert wurde, steht das Land wegen der Flüchtlingskrise vor einer Zerreißprobe. „Natürlich ist ein großer Streit im Gange“, sagte Campino. Er hätte nie gedacht, dass er „in einem Punkt rückhaltlos hinter meiner Kanzlerin stehen“ könne. Aber gerade jetzt, wo sie auch „starken Gegenwind aus der eigenen Partei bekommt, halte ich es für wichtig, sich öffentlich zu bekennen. Merkel hat bemerkenswerte Dinge gesagt, sie hat eine richtige Entscheidung getroffen.“ Ob sie das politisch überleben werde? Campino: „Ich hoffe es.“
Dass der Flüchtlingskrise vor allem vor der Wien-Wahl am kommenden Sonntag große Bedeutung zukomme, sei ihm mehr als bewusst. „Deshalb brennt es hier heute auch ganz anders. Die Verunsicherten, die Leute mit den Sorgen, die müssen sehen, dass es eine Riesenmehrheit gibt, die hinter der Politik steht, die gemacht wird. Etwa, dass die Grenzen aufgemacht wurden.“

Auch Bundespräsident Heinz Fischer sprach die Verunsicherten bei seiner Rede am Heldenplatz an: „Ich wende mich nicht von jenen ab, die Angst und Sorgen haben. Wo ich mich abwende sind jene, die aus der Not von Flüchtlingen ein politisches Geschäft machen wollen“, so Fischer, der sich am Heldenplatz von den Massen „überwältigt“ zeigte. Nach zunächst 30.000 Menschen wurden am späten Abend bis zu 120.000 Besucher gezählt, wie die Polizei bekannt gab. Die Veranstalter sprachen von rund 100.000 Menschen. „Die Zivilgesellschaft hat in den letzten Wochen etwas bewirkt, das im Ausland registriert wird“, so Fischer. Es seien zwar Probleme da, aber sie seien lösbar. Er sei, so Fischer, „stolz auf Österreich“.

Gratis-Festival versus Lichtermeer. Im Vorfeld wurde die angekündigte Großdemonstration und das Konzert am Heldenplatz schon mit dem Lichtermeer verglichen. An die historischen Dimensionen der Veranstaltung vom 23. Jänner 1993, als nach Schätzungen bis zu 300.000 Menschen mit Kerzen und Fackeln durch die Innenstadt gezogen sind, um gegen das „Österreich zuerst“-Volksbegehren zu demonstrieren, reichen die Demonstration und das Konzert aber nicht heran. Auch abgesehen davon sind die Veranstaltungen schwer zu vergleichen: Am Samstag waren nicht nur die politische Botschaft, sondern auch die Bands ein Magnet für die Massen, um zum Konzert zu kommen. Das, wie die Online-Debatten im Vorfeld zeigten, oft mehr als Gratis-Festival denn als politische Kundgebung wahrgenommen wurde.

Anmerkung der Redaktion: Wegen massiver Verstöße gegen die Foren-Regeln musste die Posting-Funktion bei diesem Artikel deaktiviert werden. Wir bitten um Verständnis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Kommentare

Vereinnahmter Protest

Ein Lichtermeer gibt es nicht mehr. Keine 300.000 Menschen die wie damals, 1993, gegen Fremdenhass und für Solidarität auf die Straße gehen.
Demonstranten auf der Mariahilferstraße.
Wien

Zehntausende bei Flüchtlings-Demo in Wien

Mehr als 20.000 haben sich der Demonstration "Flüchtlinge willkommen" vom Westbahnhof zum Parlament angeschlossen. Am Abend findet am Heldenplatz ein Solidaritätskonzert statt.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.