Aktionsplan: EU lockt Türkei mit Visa-Erleichterung

-Recep Tayyip Erdoğan und Donald Tusk.
-Recep Tayyip Erdoğan und Donald Tusk.(c) AFP (EMMANUEL DUNAND)
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Brüssel hofft, dass Präsident Erdoğan die Vorhaben zur Eindämmung der Migrationsströme umsetzt. Tusk warnt vor weiteren drei Millionen Flüchtlingen.

Straßburg/Brüssel. Wer im neuen Aktionsplan der EU-Kommission zur Bewältigung der Flüchtlingskrise nach dem Schlüsselsatz Ausschau hielt, musste am Dienstag nicht lang suchen: Die zügige Umsetzung des Plans durch die Türkei sei ein positiver Beitrag zu den von Ankara gewünschten Visa-Erleichterungen für türkische Staatsbürger, hieß es in der Einleitung des veröffentlichten Vorschlags. Soll heißen: Brüssel wird sich erkenntlich zeigen, wenn die Türkei die Europäer unterstützt.

Der Aktionsplan, den Kommisionspräsident Jean-Claude Juncker seinem türkischen Kollegen, Recep Tayyip Erdoğan, während seines Besuchs in Brüssel am Montag übergeben hatte, hat zwei Ziele: Zum einen geht es darum, den Flüchtlingen aus Syrien zu helfen, die derzeit in der Türkei Unterschlupf gefunden haben, zum anderen um die Unterbindung sogenannter „irregulärer Migrationsströme“ in die EU – was darauf hinauslaufen dürfte, mindestens einen Teil der Flüchtlinge an der Weiterreise Richtung Westen zu hindern. Die Größenordnungen sind in der Tat besorgniserregend.

Donald Tusk sprach am Dienstag bei seinem Auftritt im Plenum des EU-Parlaments von bis zu drei Millionen, die sich bei einer Eskalation des Bürgerkriegs aus der Metropole Aleppo auf den Weg nach Europa machen könnten – davor habe ihn Staatschef Erdoğan gewarnt. Am wichtigsten sei nun die Wiederherstellung der Kontrolle an den EU-Außengrenzen, so Tusk.

Erdoğan hat bessere Karten

Dass Erdoğan im Poker um die Flüchtlinge den Einsatz erhöht, kommt nicht überraschend – schließlich will sich die Türkei ihre Kooperation möglichst teuer abkaufen lassen. In Kommissionskreisen bringt man die Visa-Liberalisierung mit dem Argument ins Spiel, Reisefreiheit für türkische Bürger sei nur bei gleichzeitiger Sicherung der Grenzen – also der einvernehmlichen Lösung der Flüchtlingsfrage – möglich. Ob dies ausreicht, muss sich noch weisen.

Angesichts der Tatsache, dass die Staats- und Regierungschefs der EU wegen der Flüchtlinge innenpolitisch mehr unter Druck sind als Erdoğan, scheint der türkische Präsident die besseren Karten zu haben. Der erste Teil des EU-Aktionsplans umfasst etwa die angekündigte Milliarde Euro für die Unterbringung von syrischen Flüchtlingen in der Türkei bis 2016 – derzeit sind es geschätzte 2,2 Mio. Personen. In Aussicht gestellt wurde auch der Zugang zu weiteren EU-Geldtöpfen, sofern die Türkei im Gegenzug die eigenen Asylverfahren beschleunigt, alle Neuankömmlinge systematisch registriert und Asylwerber besser integriert – etwa durch legalen Zugang zum türkischen Arbeitsmarkt. (la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2015)

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