Abgasskandal: Fahrlässigkeit wäre "Idealfall" für VW

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Nicht nur auf VW kommen horrende Kosten zu. Auch Versicherungen müssen wohl einen Teil des Schadens zahlen - je nachdem, wie viel Schuld das VW-Management trifft.

Wien. Der Abgasskandal (siehe auch Seite 17) beschert VW die „größte Bewährungsprobe“ in der Geschichte des Konzerns. Das sagte kürzlich der neue VW-Chef Matthias Müller vor seinen Mitarbeitern. Wie hoch der Schaden für den größten deutschen Autobauer sein wird, lässt sich noch nicht einmal ansatzweise seriös beziffern. Sicher ist, es werden Milliarden Euro sein.

Welchen Teil davon die Versicherungen von Volkswagen werden tragen müssen, beschäftigt nicht nur diese intensiv. Konkret geht es dabei um jene Versicherungen, bei denen VW eine Manager-Haftpflicht (auch „Directors & Officers“-Polizze, kurz D&O) abgeschlossen hat. Eine solche schützt die Manager eines Unternehmens – Geschäftsführung, Vorstand, Aufsichtsrat – vor Zugriff auf ihr Privatvermögen, wenn sie durch Fehler bei ihrer Berufsausübung schadenersatzpflichtig geworden sind.

Im Normalfall geht es dabei um Regressansprüche, die das Unternehmen an sie stellt. Dieses muss nämlich zunächst selbst für alle Schäden geradestehen – im konkreten Fall für Reparaturkosten, Schadenersatzansprüche Dritter, Imageschäden, die Umsatzeinbußen zur Folge haben, und Bußgeldzahlungen. Erst im zweiten Schritt kann es versuchen, sich von „Schuldigen“ aus den Reihen des eigenen Managements auf dem Regressweg Geld zurückzuholen.

Deckungslücken häufig

Insoweit kann es dann auch dem Unternehmen zugutekommen, wenn es eine D&O-Versicherung für seine Manager abgeschlossen hat – denn normalerweise ist die Deckungssumme der Versicherung höher als das, was ein Einzelner an Regress leisten könnte. Einen Milliardenschaden – wie er bei VW ins Haus steht – wird aber auch die Versicherung nicht decken. „Nach meiner Erfahrung enthalten viele Versicherungsprodukte mehr oder weniger gewichtige Deckungslücken, zum Beispiel, wenn auch der Vorwurf eines strafbaren Verhaltens im Raum steht“, sagt Martin Schauer, Professor für Zivilrecht an der Uni Wien. Oft treten auch Zweifelsfragen auf, ob in zeitlicher Hinsicht überhaupt Deckung besteht. Und schließlich, so Schauer, „reichen die Deckungssummen, selbst wenn sie einen dreistelligen Millionenbetrag ausmachen, zumindest bei Großunternehmen häufig nicht aus, um den Schaden zur Gänze abzudecken“.

Auf rund 500 Millionen Euro schätzen Insider die D&O-Versicherung von VW. Daran beteiligt sind höchstwahrscheinlich mindestens zehn Versicherer, denn üblich ist, dass ein einzelner Versicherer eine Deckungssumme von 20 bis 50 Millionen Euro übernimmt. Müssten die Mitglieder dieses Konsortiums 500 Millionen zahlen, träfe sie das hart: Der Betrag entspreche etwa dem gesamten jährlichen Prämienaufkommen aller D&O-Versicherer in Deutschland, sagt Georg Aichinger, Geschäftsführer bei Koban Soldora, einem auf D&O und rechtsberatende Berufe spezialisierten Versicherungsmakler.

Bei Vorsatz keine Deckung

Aber wann muss eine D&O-Versicherung überhaupt zahlen? Das hängt von den konkreten Versicherungsbedingungen ab. Wie diese bei VW aussehen, ist nicht bekannt. Geht man aber von marktüblichen Klauseln aus, steht eines fest: Damit eine Versicherungsdeckung besteht, muss die Manager zwar ein Verschulden an dem Schaden treffen, sie dürfen aber nicht vorsätzlich gehandelt haben. „Vorsätzliche Pflichtverletzungen sind vom Versicherungsschutz immer ausgenommen“, sagt Jurist Aichinger.

Sollte sich etwa herausstellen, dass ein Vorstandsmitglied von den Manipulationen wusste und sie billigte, würde für diese Person der Versicherungsschutz nicht mehr greifen. Ebenfalls nicht zahlen muss die Versicherung, sollte die Topmanager und Aufsichtsräte gar keine Schuld an dem Desaster treffen. So gesehen, wäre ein Nachweis von Fahrlässigkeit aus der Sicht von VW der „Idealfall“, denn nur dann ist der Versicherungsschutz gegeben. „Also etwa, wenn sich herausstellt, dass der Vorstand kein ausreichendes Kontrollsystem installiert hat oder es nicht entsprechend überwacht hat“, sagt Aichinger.

Im konkreten Fall wird wohl zuerst abzuwarten sein, wie allfällige Strafverfahren ausgehen. Dann wird auf dem Zivilrechtsweg weitergestritten – mit wechselnden Interessenlagen und Konstellationen. So hat die Versicherung zwar das Unternehmen als Kunden und Prämienzahler, muss aber im Rechtsstreit eine Gegenposition zu diesem einnehmen. Wahrscheinlich wird sie zunächst eine Übernahme des Schadens überhaupt ablehnen und sich auf Deckung klagen lassen.

Verbündete werden Gegner

Den Managern muss die Versicherung Rechtsschutz geben und sie bei der Abwehr von an sie gestellten Ansprüchen unterstützen – auch in ihrem eigenen Interesse, denn ist das Management schuldlos, gibt es keine Zahlung von Schadenersatz. Andernfalls werden aus Verbündeten plötzlich Gegner: Denn sobald feststeht, dass einen Manager ein Verschulden trifft, wird die Versicherung Interesse daran haben, dass ihm Vorsatz nachgewiesen wird und nicht bloß Fahrlässigkeit. Zur Erinnerung: Bei Fahrlässigkeit müsste sie zahlen, bei Vorsatz nicht.

Eben das könnte zugleich auch den neuen Vorstand und den Aufsichtsrat in ein Dilemma bringen, wenn es um die lückenlose Aufklärung der Vorfälle geht: Denn kommt ans Licht, dass tatsächlich jemand aus der alten Führungsriege vorsätzlich gehandelt hat, fällt das Unternehmen um die Versicherungsleistung für diese Person um.

Im Fall VW wird es bestimmt Jahre dauern, bis alles geklärt und ausprozessiert ist. Oder bis es mit den Versicherungen zu einem Vergleich kommt, der darauf hinauslaufen könnte, dass sie einen Teil der Deckungssumme zahlen.

So ende es in der Praxis oft, sagt Aichinger. Alle sitzen dann an einem Tisch: Unternehmensvertreter und beschuldigte (Ex-)Manager (die in dieser Phase plötzlich wieder im selben Boot sind), Leute von der Versicherung, Anwälte. Und vielleicht auch noch spezielle Berater für Versicherungsrecht. Solche beizuziehen lohne sich für Unternehmen und Manager, sagt der Jurist: „Man weiß nie, wie so etwas ausgeht. Und man kann viel falsch machen.“ Eine einzige ungeschickte Aussage könne genügen, um sich um die Deckung zu bringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2015)

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