USA und Türkei stellen neue Miliz für Kampf gegen IS auf

(c) REUTERS (BASSAM KHABIEH)
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Nach dem Flop ihres 500-Millionen-Dollar-Ausbildungsprogramms für syrische Rebellen starten die USA einen neuen Versuch. Die Überprüfung der Kämpfer übernehmen diesmal die Türken. Eine Recherche an der Grenze zu Syrien.

Für Ahmed schien es ein gutes Projekt. Es gab genug Waffen, Dollars, Training und Luftunterstützung der Amerikaner im Kampf gegen die Terrormiliz IS. Doch Ahmed und seine 53 Kameraden, die im Juli als erster Trupp der 30. Division nach Syrien geschickt wurden, erreichten nie die Front. Ein Teil der Soldaten desertierte, den Rest verfolgte der al-Qaida-Ableger al-Nusra-Front. Wer nicht gefangen wurde, floh, wie Ahmed, zurück in die Türkei. Im September schickten die USA ein zweites Kontingent von 75 Mann über die Grenze. Sie fuhren direkt ins Gebiet der al-Nusra, übergaben die Waffen und sollen zu den Jihadisten übergelaufen sein. Schlimmer konnte das 500 Millionen teure Projekt des Pentagons nicht enden. Aber Washington gibt nicht auf: Unter strengster Geheimhaltung wird bereits ein neues Trainingsprogramm für syrische Rebellen vorbereitet, die gegen den IS kämpfen sollen.

„Alles wird schneller und effizienter gemacht“, meint Abu Hassan, ein syrischer Rebellenkommandant und einer der Mitorganisatoren des Projekts. Die USA seien wieder dabei, aber diesmal übernehme die Türkei die führende Rolle. „Die alten Fehler sollen vermieden werden“, fügt Abu Hassan an. „Diesmal wird es gelingen.“ Er schlürft an einem Teeglas im Salon seiner Wohnung in der türkischen Grenzstadt Kilis.

Ahmed ist wieder dabei. Anfang dieses Jahres hatte er vor dem ersten Versuch drei Monate warten müssen, bis es endlich losging. Dann folgten sechs Wochen Ausbildung in Jordanien und noch einmal 30 Tage in der Türkei. „Das ist viel zu lang“, befindet Abu Hassan. „Alle, die sich melden, haben bereits ausgiebige Kampferfahrung, schließlich dauert der Bürgerkrieg schon über vier Jahre.“ Nun würde es nach einer Woche Training sofort losgehen. Die Soldaten müssten nur den Umgang mit den neuen amerikanischen Waffen lernen. Und das sei für sie wirklich nicht schwer. Die Bewaffnung erfolge unmittelbar nach dem Ende des Kurses, so Abu Hassan weiter. „Was macht es denn für einen Sinn, wenn die Leute auf ihre Ausrüstung auch noch wochenlang warten müssten? Sie brennen auf ihren Einsatz.“

Abu Hassan dürfte das alles nicht erzählen, aber er ist so aufgebracht über den Dilettantismus der USA – er kann nicht anders. „Die 30. Division, das war ein glatter Witz“, schimpft er. 54 und 75 Mann über die Grenze zu schicken, sei völlig verantwortungslos, ein Wahnsinn. „Wie sollen sie sich gegen Hunderte von al-Qaida-Kämpfern wehren?“, sagt Abu Hassan. Diesmal sollen es wesentlich mehr Kämpfer sein.

Das Problem bei den Amerikanern, so Abu Hassan, sei das Auswahlverfahren für die Teilnahme am Training gewesen. Dabei seien nicht so sehr die Sicherheitsauflagen ein Hindernis gewesen. „Alle mussten kerngesund sein, und wer nur schlechte Zähne hatte, wurde nicht genommen.“ Völlig absurd sei das. „Die Leute leben im Krieg, es gibt kaum Wasser, Elektrizität, und die Ernährung ist schlecht“, so der Kommandant. „Da kann man doch nicht erwarten, dass alle so fit wie Piloten sind.“

Ahmed, der Soldat, berichtet, dass mit ihm rund 1000 Leute getestet wurden. „Am Ende blieben nur 150 übrig, 90 davon sprangen nach dem Training in Jordanien ab.“ Als sie hörten, dass sie anschließend in der Türkei noch einen Monat trainieren sollten, hätten sie keine Lust mehr gehabt. Viele seien auch verärgert gewesen, dass man ihnen nicht erlaubte, gegen das Assad-Regime zu kämpfen, sondern nur gegen die IS-Miliz.

Von al-Nusra unterwandert

Auch Ahmed findet kein anderes Wort als „Witz“ für das US-Projekt. In seinem eng anliegenden, grün-brauen Camouflage-T-Shirt sieht er wie ein amerikanischer GI aus. „Das musste scheitern, wenn ich nur an die Lücken im Sicherheitscheck denke“, meint Ahmed. „Die Überprüfung unserer Personalien dauerte eine Ewigkeit, aber am Ende stellte sich heraus, das ganze Programm war unterwandert.“ Nach der Hälfte des Trainings mitten in der heißen jordanischen Wüste in der Nähe von Akaba, zogen ihn drei seiner Kameraden ins Vertrauen. Sie offenbarten ihm, dass sie bei der al-Nusra-Front gekämpft hatten und es noch sieben weitere Mitglieder der al-Qaida-Gruppe im Kurs gab. „Sie haben sogar auf die Tafel im Klassenraum geschrieben „Lang lebe die al-Nusra-Front“, erinnert sich Ahmed. Er habe die Vorgesetzten gewarnt und sei sogar befragt worden. „Aber Konsequenzen gab es nicht.“ Für Ahmed war es dann kein Wunder, dass die al-Nusra-Kämpfer zu den Ersten gehörten, die in Syrien davonliefen und all ihre Waffen mitnahmen. „Sie haben uns danach verpfiffen“, meint der 21-Jährige. Er und die 21 anderen verbliebenen Mitglieder der 30. Division mussten damals aus Syrien flüchten. Sonst wären sie heute wahrscheinlich nicht mehr am Leben.

Beim neuen Trainingsprogramm soll die Türkei die Überprüfung übernehmen. „Die können das besser“, glaubt Abu Hassan. „Aber wir werden selbst die Kämpfer auswählen, damit eine Unterwanderung nicht mehr möglich ist.“ Radikale Islamisten hätten hier nichts zu suchen. Alle neuen Teilnehmer sollen aus moderaten Rebellengruppen stammen und möglichst mit einer Empfehlung kommen. Eine zahlenmäßige Vorgabe gebe es bisher nicht. Die USA hatten jedes Jahr 5000 Rebellen für den Kampf gegen IS trainieren wollen. Am Ende waren es nur 129. „Das wird uns nicht passieren“, sagt Abu Hassan.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2015)

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