Österreich - ein Land im Stillstand braucht neue Impulse

Sozialpartner und Reformverweigerer halten das Land in Geiselhaft.

Österreich ist derzeit ein Land im Stillstand: Nach einem wirtschaftspolitisch verlorenen Jahrzehnt und arbeitsmarktpolitisch verlorenen Monaten ist die Zeit für neue Koalitionsformen abseits von Sozial-„partnerschaft“ und Föderalismusbewahrern gekommen.

Die sozialpartnerschaftliche Lehmschicht – beziehungsweise „Lähmschicht“ – einigt sich monatelang nicht einmal auf ein Datum für einen Gipfel zur Rekordarbeitslosigkeit – ein verheerendes Signal. Fehlende Investitionen, verlorene Arbeitsplätze und aufgrund von Abwanderungen und Restrukturierungen nie realisierte Forschungsprojekte lassen Österreich in international relevanten Standortrankings abwärts taumeln.

Da helfen auch die gute Lebensqualität und gleichgeschlechtliche Ampelpärchen in Wien nicht weiter. Währenddessen hält das Bewahrerkartell aus Sozialpartnern und Föderalismusreformverweigerern das Land in Geiselhaft.

Vor zehn Jahren hatten internationale Medien Österreich als das „bessere Deutschland“ oder die „bessere Schweiz“ bezeichnet. Den Ruf haben wir längst verspielt. Positive Initiativen wie der Österreich-Konvent sind sofort versandet. Die Regierung hat die Krise keineswegs „gemeistert“, wie wiederholt von Spitzenpolitikern verkündet wurde, sondern Reformen vernachlässigt und gleichzeitig teure Pensionsprivilegien fortgesetzt oder sogar noch verstärkt.

Wir alle zahlen den Preis

Das aktuelle Regierungsteam der ÖVP hat sich zwar einiges vorgenommen, wird aber vom Koalitionspartner und den eigenen Landesparteien zurückgehalten. Das ist bedauerlich. Denn den Preis dafür zahlen wir alle: heute durch hohe Steuern und Sozialabgaben, morgen durch geringere Zukunftschancen und die Belastung durch noch höhere Staatsschulden.

Darüber kann auch eine Steuertarifreform nicht hinwegtäuschen, die für überfällige Wachstumsimpulse, Strukturreformen oder höhere Energieeffizienz ungenutzt geblieben ist. Maßnahmen zur Konjunkturbelebung werden selbst dann nicht weiter diskutiert, wenn sie sich durch höhere Steuereinnahmen (als Folge von Wachstum) oder geringere Sozialausgaben selbst tragen würden.

Vertrauen verspielt

Mittlerweile entsteht nicht nur in Wirtschaftskreisen der Eindruck, dass die wahre Entlastung der Bürgerinnen und Bürger und der Wirtschaft nur durch Entlastung von dieser Regierungskoalition erreicht werden kann. Denn diese Koalition hat das Vertrauen verspielt.

Es wird künftig darum gehen, in Sachfragen weitere Parteien einzubinden, auch durch neue Koalitionsformen nach allenfalls vorgezogenen Neuwahlen. Eine Einbindung der reformwilligen Kräfte könnte – ein klares und messbares Programm vorausgesetzt – das Diktat des kleinsten gemeinsamen Nenners brechen. Die ÖVP/FPÖ-Koalition hatte (abseits von spektakulären Einzelentgleisungen) grundsätzlich bewiesen, dass Reformen möglich sind. Jetzt wäre die Chance für einen Neuanfang da.

Neben einer spürbaren finanziellen Entlastung braucht es deutliche Impulse für Beschäftigung und leistbares Wohnen sowie Zukunftsperspektiven für Bildung, Gesundheit und Demografie.

Eventuell findet man auch alternative Formen der Zusammenarbeit. Entgegen der österreichischen Tradition würde das von den Parteien erfordern, sich schon vor einer Neuwahl inhaltlich klar zu positionieren und in der Form der Zusammenarbeit zu öffnen.

Nach dem verlorenen Jahrzehnt bleibt nicht viel Zeit für eine gestaltende Standortpolitik, die landesweit eine Aufbruchsstimmung auslösen und uns auf Wachstumskurs bringen würde.

Dr. Martin Hagleitne, MBA, ist Vorstand eines österreichischen Industrieunternehmens:


E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2015)

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