Merkel: "Ein Aufnahmestopp kann nicht klappen"

Merkel in der ARD-Talkshow Anne Will.
Merkel in der ARD-Talkshow Anne Will.APA/EPA/MICHAEL KAPPELER
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Die deutsche Kanzlerin bekräftigt im ARD-Fernsehinterview einmal mehr ihre "Wir schaffen das"-Politik und wehrt sich gegen Ruf nach einer Abschottung Deutschlands.

Eine Stunde lang stand Angela Merkel am Mittwoch in der ARD-Talkshow "Anne Will" zur Flüchtlingskrise Rede und Antwort. Von ihrer "Willkommenspolitik" rückte sie, wie viele Kritiker der Flüchtlingspolitik der deutschen Kanzlerin es sich wünschen, aber nicht ab. Ob sie für ihre ungewöhnlich liberale Haltung im Umgang mit dem Flüchtlingsstrom den Friedensnobelpreis bekommen wird, damit wolle sie sich aber nicht beschäftigen, sagte sie - wenig begeistert von dem Medien-Hype. "Die Diskussion bedrückt mich fast", sagte die Regierungschefin. Sie sei derzeit mit anderen Dingen beschäftigt. Sie habe mit dem Zustrom der Asylbewerber eine schwere Aufgabe zu bewältigen.

Die deutsche Kanzlerin wandte sich in der Sendung erneut gegen die Forderung, Deutschland gegen Flüchtlinge abzuschotten. "Ich möchte mich nicht an einem Wettbewerb beteiligen, wer ist am unfreundlichsten zu Flüchtlingen, dann werden sie schon nicht kommen", sagte Merkel. "Deutschland ist ein Land, das die Flüchtlinge freundlich empfängt. Darauf bin ich stolz." Eine Schließung der Grenzen oder ein Aufnahmestopp kämen nicht in Frage: "Das wird nicht klappen." Deutschland könne nicht seine 3.000 Kilometer Landgrenze mit Zäunen versehen. Entscheidend sei vielmehr, in vielen Gesprächen und Vereinbarungen die Fluchtursachen zu bekämpfen.

"Gewissheit, dass Aufgabe lösbar ist"

Die Kanzlerin dämpfte Hoffnungen auf ein absehbares Ende der Flüchtlingskrise. "Jetzt will ich deutlich machen: Es liegt nicht in meiner Macht, wie viele Menschen nach Deutschland kommen", sagte sie. "Es sind viele, sehr sehr viele Menschen." Den Vorwurf, dass sie selbst Schuld an dem Flüchtlingszustrom sei, wies sie als absurd zurück. „Glauben Sie denn, dass wirklich 100.000 Menschen ihre Heimat verlassen, weil es ein solches Selfie gibt?“, sagte sie mit Blick auf ein Foto von ihr mit einem syrischen Flüchtling. Kritiker in ihrer eigenen Partei erinnerte Merkel daran, dass ihre CDU eine "christliche Partei" sei. Dies gebiete es, Flüchtlinge mit einem "freundlichen Gesicht" zu empfangen.

Sie sehe ihre derzeitige Aufgabe darin, "aus dieser angespannten Situation wieder eine Situation zu machen, die kontrollierter ist", sagte Merkel. Dazu sei auch eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge in Europa nötig, für die sie weiter kämpfen wolle. "Zugegebenermaßen, das dauert", fügte die Kanzlerin hinzu. Merkel zeigte sich optimistisch, dass Deutschland die Herausforderung bewältigen werde. Sie habe "die innere Gewissheit, dass diese Aufgabe lösbar ist", sagte sie und riet zu Optimismus: "Stellen Sie sich vor, wir würden jetzt erklären, wir schaffen es nicht - und dann?"

"Bestimmte Wünsche der Türkei erfüllen"

Um den Flüchtlingsstrom nach Europa einzudämmen, sei es auch nötig mit der Türkei Vereinbarungen zu treffen. Nur dann könne man die EU-Außengrenzen besser schützen. Dazu ist sie auch bereit, über Visa-Erleichterungen für Türkein zu reden. Dies bedeute, dass man sich mit der Regierung in Ankara verständigen müsse, wie man sich die Aufgaben bei der Flüchtlingsbetreuung teile - etwa auch durch Zahlungen für die bessere Unterbringung der Menschen in der Türkei, die mehr als zwei Millionen Flüchtlinge aufgenommen habe. "Dann wird es bedeuten, dass wir vielleicht auch bestimmte Wünsche der Türkei erfüllen müssen, wenn es um Visa-Erleichterungen geht", fügte Merkel hinzu.

Die deutsche Kanzlerin wies den Vorwurf zurück, die EU verrate ihre Prinzipien, wenn sie nun mit dem NATO-Land verhandle. "Es ist meine verdammte Pflicht darüber zu sprechen in der Situation, in der wir derzeit sind", sagte sie und verwies darauf, dass aus der oder über die Türkei die meisten Flüchtlinge kämen. Im übrigen würden keine Prinzipien geopfert: Die Türkei habe als EU-Beitrittskandidat die Kopenhagener Kriterien zur Rechtsstaatlichkeit anerkannt. Deshalb schlage die EU-Kommission die Einstufung als sicheres Herkunftsland vor. Bei allen anderen EU-Beitrittskandidaten sei dies ebenso. "Deshalb wäre das nicht etwas, was ganz außergewöhnlich wäre", sagte sie. "Wir haben noch nicht entschieden", fügte sie hinzu.

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(APA/dpa)

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