Eine Studie warnt vor Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen im Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich.
Wien/Brüssel. Nach den Massenprotesten gegen das geplante transatlantische Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) am vergangenen Wochenende sorgt seit gestern eine Studie für neuen Zündstoff zwischen Gegnern und Befürwortern des Pakts: Unter dem Titel „Der Angriff auf öffentliche Dienstleistungen“ veröffentlichten die Arbeiterkammer Wien (AK) und mehrere Kooperationspartner wie der Europäische Gewerkschaftsverband eine Hintergrundanalyse, die ein dramatisches Bild zeichnet: Öffentliche Dienstleistungen in der EU würden durch internationale Handels- und Investitionsschutzabkommen bedroht, heißt es da. Diese „gefährden die demokratische Regulierungshoheit von Staaten und Kommunen über Dienstleistungen der Daseinsvorsorge wie Wasser, Gesundheit und Energie im Interesse privater Gewinne“.
Die Wirtschaftslobby, kritisiert Studienautor Thomas Fritz, habe zu großen Einfluss auf die Kommission, die TTIP im Auftrag der Mitgliedstaaten mit Washington verhandelt. Deshalb folge das bereits akkordierte Abkommen mit Kanada (CETA) – dieses gilt als Blaupause für den EU-US-Pakt – als erstes Handelsabkommen der EU einer „Negativliste“: Alle Dienstleistungen müssen demnach liberalisiert werden, so es keine „ausdrückliche Ausnahme“ gibt. „Diese umfassende Technik könnte auch bei TTIP zum Zug kommen“, fürchtet Fritz. Die Kommission bestätigte auf Anfrage der „Presse“, dass Negativlisten verwendet werden; und zwar für die Bereiche öffentliches Gesundheits- und Sozialwesen, Bildung und Wasserversorgung.
Charmeoffensive geplant
Eigentlich war nach den neu aufflammenden Bürgerprotesten eine Charmeoffensive in Sachen TTIP geplant: So wollte etwa die deutsche Regierung – in Berlin protestierten am vergangenen Wochenende 150.000 Menschen gegen den Freihandelspakt – ihr Werben verstärken. Vorbehalte seien „unbegründet“, meinte Regierungssprecher Steffen Seibert. Die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) berichtete, Europa wolle in den Verhandlungen hohe Umwelt- und Sozialstandards in einem eigenen Kapitel mit dem Titel „Handel und nachhaltige Entwicklung“ vereinbaren. Die deutsche Regierung bestätigte das nicht ausdrücklich, bekräftigte aber, die europäischen Schutzregeln würden nicht gefährdet. (aga)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2015)