Krystufek in Venedig: Das Unmenschliche an der Nacktheit

Eine Ansicht der Installation
Eine Ansicht der Installation "TABOU TABOO", 2009 der Kuenstlein Elke Krystufek. Die Malereien "One Day" (links im Bild) und "Hescape" sind auf der 53. Kunstbiennale in Venedig zu sehen. (Courtesy Galerie Barbara Thumm, Berlin)(c) APA (HERTHA HURNAUS)
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Elke Krystufek bespielt den österreichischen Pavillon bei der diesjährigen 53. Biennale in Venedig. Im "Presse"-Interview spricht sie über Männerakte, Missbrauch und letzte Tabus.

Die Presse: Sie kommen gerade von einer reinen Künstlerinnenausstellung im Pariser Centre Pompidou. Bekommen Künstlerinnen so nicht wieder eine Sonderstellung, in der scheinbar nicht in erster Linie Qualität zählt?

Elke Krystufek: Ich finde solche Ausstellungen gerade deshalb toll, weil man sieht, dass die Qualität sehr wohl stimmt.

Warum stellen dann die vielen Kuratorinnen nicht mehr Künstlerinnen aus?

Krystufek: Weil die Gesellschaft durchhierarchisiert ist. Das verhindert, dass Frauen zeigen, was sie wirklich interessiert – weil man sich stark anpassen muss, weil ständig im Hinterkopf ist, welche Angriffe sonst kommen würden. Insofern finde ich es immer noch mutig, ein starkes Statement, dass Valie Export im Österreich-Pavillon deutlich mehr Künstlerinnen zeigt, nur einen Mann.


Eine Position hätte eigentlich gereicht, wäre ein noch stärkeres Statement gewesen.

Krystufek: Die Auswahl spiegelt immer noch eine gewisse Unsicherheit wider. Ursprünglich wurde nur Export eingeladen. Ich verstehe, dass sie sich als Künstler nicht mit der Organisation beschäftigen möchte. Aber sie hätte auch jemanden einladen können, der nur das Organisatorische für sie macht, einen Sekretär, nicht eine zweite Kuratorin. Auf diesem hohen Level ist man ziemlich exponiert – was traue ich mich jetzt wirklich in der Öffentlichkeit zu sagen?

Womit wir wieder bei dieser unsichtbaren Schere im Kopf wären. Tabus gibt es anscheinend auch in der Kunst immer noch. Sie haben den „Austria“-Schriftzug am Pavillon durch „Tabu“ ersetzt. Sie beziehen sich auch auf Freuds „Totem und Tabu“. Spielen Sie auch auf den Inzestfall in St. Pölten an?

Krystufek: Es hat mich immer schon interessiert, das Thema sexueller Missbrauch in einer größeren Institution zu behandeln. Ich fand „Totem und Tabu“ extrem spannend zu lesen, erstens sehr schriftstellerisch, aber auch, weil absurde Regeln beschrieben werden, etwa interfamiliäre Tabus, dass die Schwiegermutter den Schwiegersohn nicht nackt sehen darf.

Im Pavillon zeigen Sie keine nackten Frauen, keine Selbstporträts, mit denen Sie bekannt wurden, sondern vor allem Männerakte.

Krystufek: Darunter sind zwei Männer, die sich umgebracht haben, ein schwules Künstlerpärchen, Pavillon-Architekt Josef Hoffmann mit einer Peniskrawatte und Murnau, über dessen Film ich überhaupt auf „Tabu“ gekommen bin. Ich habe mich immer schon stark mit Körperbildern beschäftigt, mit Männer- und Frauenbildern. So ist es etwa schwierig, in der Kunstgeschichte einen männlichen Akt zu finden, in dem der Dargestellte nicht schwul ist. Eine heterosexuelle Frau, die einen heterosexuellen Mann malt – dafür gibt es fast keine Vorbilder in der Kunstgeschichte. Herlinde Kölbl hat, glaube ich, in den 80er-Jahren ein Buch mit Männerakten gemacht, aber eigentlich ist das Thema eine Art Fehlstelle.

Warum ist das so? Gibt es vielleicht auch von Betrachterinnenseite einfach kein Bedürfnis?

Krystufek: Das glaube ich nicht. Es gibt dafür einfach keine Vorbilder, und es funktioniert auch ökonomisch noch nicht. Der Markt ist vor allem männlich dominiert.

Sie haben einen Ihnen nicht näher bekannten Modedesigner gebeten, Ihnen Modell zu stehen. Was hat Sie daran interessiert?

Krystufek: Ich habe das Modell nur im Atelier gesehen und werde ihn auch erst wiedersehen, wenn er in Venedig die fertigen Bilder sieht. Mich hat interessiert, wie es ist, mit einem Modell im Atelier zu sein, wie es ihm vorher und nachher geht. Er konnte sich offensichtlich nicht total nüchtern in so eine Situation begeben. Auch ich weiß nicht, ob ich diese Situation noch einmal haben will.

Ist der weibliche Blick auf einen männlichen Körper anders als der männliche Blick auf einen weiblichen Körper?

Krystufek: Er ist von einer anderen Hierarchie geprägt – weniger aggressiv und nicht damit verbunden, dass das Modell automatisch zum erotischen Objekt wird. Es gab oft eine reale erotische Verbindung zwischen weiblichem Modell und Maler.

Warum haben Sie Hoffmann eine Peniskrawatte verpasst? War er ein besonderer Macho?

Krystufek: Das weiß ich nicht, aber am Biennale-Gelände sind alle Pavillons von Männern gebaut worden. Es ist einem überhaupt nicht bewusst, dass fast alle Räume, in denen Frauen sich bewegen, von Männern gebaut wurden, nach männlichen Bedürfnissen. Im Pavillon mit seinen hohen Räumen kommt man sich etwa als kleine Frau sehr klein vor.

Bekannt geworden sind Sie mit teils schockierenden Untersuchungen und Entblößungen Ihres eigenen Körpers. Zuletzt haben Sie sich davon zurückgezogen, sich in Ihrer Arbeit mehr mit einer Reflexion des Kunstbetriebs beschäftigt. Wollten Sie Ihren Körper und sich selbst bewusst wieder herausnehmen?

Krystufek: Der Diskurs war mit der Zeit nicht mehr spannend, es kommen ja auch von der Betrachterseite keine neuen Definitionen zurück, es wird nicht mehr neu nachgedacht. Aber es ist interessant, wie sehr die Öffentlichkeit sich trotzdem nach Nacktheit sehnt. Woher kommt dieses Bedürfnis nach meinem Körper? Warum werden diese Bilder so nachgefragt?

Vielleicht aus einer Sehnsucht nach einer gewissen Wahrhaftigkeit heraus, die in der Kunst durch Schutzlosigkeit, eben durch Nacktheit, ausgedrückt wird?

Krystufek: Dann gibt es aber ein ziemliches Wahrheitsdefizit, denn jeder Mensch hat doch einen eigenen Körper. Wenn ich mein nacktes männliches Modell ansehe, sehe ich keine Wahrheit. Ich sehe, dass es keine positiv besetzte Nacktheit gibt, sie hat immer mit einer gewissen Gewalt zu tun. Es gibt keinen menschlichen Blick auf Nacktheit, nur einen unmenschlichen.

Haben Sie schon einmal einem Sammler deshalb ein Bild von sich nicht verkauft?

Krystufek: Doch. Wenn ein Sammler ins Atelier kommt und da andere Sehnsüchte, andere Begehrlichkeiten dahinterstecken.

BIENNALE IN VENEDIG

Elke Krystufek (*1970) bespielt in diesem Jahr neben den Künstlern Dorit Margreiter sowie Franziska & Lois Weinberger den österreichischen Pavillon in Venedig.

Die 53. Biennale ist ab 7. Juni bis 22. November für das Publikum zugänglich. 77 Nationen sind präsent, 26 Pavillons stehen auf dem Giardini-Gelände.

www.biennale09.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2009)

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