Budgetrede: Ein Finanz-Teamchef mit langer Reform-„Puste“

„Nicht aufs eigene Tor spielen.“ Finanzminister Schelling (stehend) nahm bei der Rede seine Regierungskollegen Kurz, Heinisch-Hosek und Mitterlehner (v. l.) bei Reformen in die Pflicht.
„Nicht aufs eigene Tor spielen.“ Finanzminister Schelling (stehend) nahm bei der Rede seine Regierungskollegen Kurz, Heinisch-Hosek und Mitterlehner (v. l.) bei Reformen in die Pflicht.(c) REUTERS (LEONHARD FOEGER)
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Finanzminister Schelling gab im Nationalrat die Taktik für Österreichs Weg von der „Regionalliga“ retour zur Wirtschaftsspitze aus. Mit Seitenhieb auf die Sozialpartner und Warnung vor Solos in der Regierung.

Wien. Die ranghöchsten Politiker in der Republik mussten zurückstehen. Finanzminister Hans Jörg Schelling entschuldigte sich bei Bundespräsident Heinz Fischer oben in der Loge des Plenarsaals und Nationalratspräsidentin Doris Bures, die den Vorsitz in der Nationalratssitzung führte, dass er bei seiner ersten Budgetrede zuerst die Österreicherinnen und Österreicher begrüßt hatte. Aber die Bürger, die am Mittwoch nach zehn Uhr via TV-Liveübertragung Schellings Premiere mitverfolgten, seien „die Quelle allen Geldes“.

Die 26-seitige schriftliche Version der Rede war bloß eine bessere, stichwortartige Handlungsanleitung. Seine Lesebrille in den Händen drehend, formulierte der ÖVP-Minister gemäß dem mit Zahlen gespickten Grundgerüst oft frei. Er folgte dabei immer dem Motto, das er gegen Ende seiner 55-minütigen Rede auf folgenden Punkt brachte: „Wir haben festzuhalten, dass jeder Tag ohne Reform ein verlorener Tag ist.“ Sein persönlicher Beitrag zum gestrigen 13. Oktober war dabei die überraschende Ankündigung einer Senkung der Lohnnebenkosten um 1,3 Milliarden Euro (siehe Bericht Seite 1) schon ab 2017.

Schon zuvor hatte Schelling Regierungs- und Koalitionsvertretern ins Gewissen geredet. Mit dem Budgetvoranschlag für 2016 schaffe man zwar zum dritten Mal in Folge ein „strukturelles Nulldefizit“, also ohne Sonder- und Einmaleffekte, von 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Aber für die Budgets 2017 bis 2019 sei das ohne Reformen von der Bildung bis zu Pensionen und Verwaltung nicht zu schaffen. „Hier darf uns die Puste nicht ausgehen“, schmetterte er ins Plenum.

„Außer Programm“ flocht der Finanzminister gezielt einen kräftigen Seitenhieb auf die Interessenvertretungen ein: „Seien Sie nicht mit wehleidigen Klagen Teil des Problems, seien Sie Teil der Lösung.“ Es hätte nicht eines Zwischenrufers, der „Leitl“ einwarf, bedurft, um an den Sager des Wirtschaftskammerchefs über das „Absandeln“ des Wirtschaftsstandortes 2013 und seine jüngsten Drohungen mit einem Aufstand wegen der Registrierkassenpflicht, aber auch an die Abwehrfront der Gewerkschafter gegen weitere Pensionsreformen zu denken. Den pikierten Gesichtern bei SPÖ-Politikern nach zu schließen, bezogen diese die Schelte aber auch auf sich.

Dabei setzte der Finanzminister für die roten Dauerforderungen, mit mehr Investitionen und Wirtschaftswachtstum allein statt Einsparungen lasse sich das Budget konsolidieren, einen viel subtileren Nachstich. Um die Staatsverschuldung von derzeit 85 Prozent in Österreich auf die EU-Vorgabe von maximal 60 Prozent zu drücken, wären dann zehn Jahre mit einem Wirtschaftswachstum von satten 3,6 Prozent notwendig. Unrealistisch also.

„Menschen reinen Wein einschenken“

Er bemühte nicht nur das oft strapazierte Ingeborg-Bachmann-Zitat, wonach bei Reformnotwendigkeiten den Menschen die Wahrheit zumutbar sei. Schelling, nicht nur Ex-Möbelhaus-Manager, sondern mit einem Weingut seit einigen Jahren Winzer, setzte noch eins drauf: „Es ist unsere Pflicht, den Menschen reinen Wein einzuschenken.“

Es war noch aus einem zweiten Grund eine Premiere. Denn Bundeskanzler Werner Faymann fehlte krankheitsbedingt wegen eines grippalen Infekts. Auf der Regierungsbank war allerdings nicht nur deswegen noch Platz, sondern ebenso wegen der ebenfalls krankheitsbedingten Absenz von Kanzleramts-Staatssekretärin Sonja Steßl (SPÖ). Sie konnte sich daheim immerhin freuen, dass sie trotz des von Schelling ausgerufenen Sparkurses in der Verwaltung im Bundesdienst laut Stellenplan 535 Posten mehr zur Verfügung haben wird.

In Abwesenheit des Regierungschefs schwamm Schelling ganz auf der Erfolgswelle des Fußballnationalteams mit, das binnen kurzer Zeit vom Mittelmaß unter die besten zehn in der Europa-Wertung aufgestiegen ist. Österreich müsse „von der Regionalliga in die Champions League“, gab der Marcel Koller der Staatsfinanzen als Taktik für die Regierungsmannschaft in seiner Kabinenpredigt im Hohen Haus vor. Soloauftritte sollen sich Regierungspolitiker künftig abschminken, „weil jeder Teamspieler auf ein Tor spielt“.

Das intensive Gemurmel in den Abgeordnetenreihen unterband Schelling mit dem Einwurf: „Wenn man ganz kurz noch die Debatte der 8,3 Millionen Fußballteamchefs unterbrechen könnte . . .“ Bevor die politischen Spieler zurück aufs Spielfeld kehrten, gab ihnen der Marcel Koller in Gestalt des gebürtigen Vorarlbergers Schelling mit, er werde auf dem Reformweg nicht lockerlassen: „Ich bin dabei, wenn wir Österreich wieder an die Spitze bringen. Nehmen Sie mich beim Wort!“ Keine demonstrativen Standing Ovations, aber anerkennender Applaus der ÖVP-Mandatare. Beim Koalitionspartner SPÖ raffte sich Klubchef Andreas Schieder dazu auf.

Spielbeginn zum Voranschlag für das Budget ist schon heute, Donnerstag. Anpfiff um neun Uhr mit der sogenannten Ersten Lesung.

Heuer 500 Millionen mehr

Nachträglich bekam Österreichs Politiknationalteam eine Punkteveränderung auf dem grünen Tisch. Grund ist, dass Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) eine Budgetlücke von 340 Millionen Euro mitgeschleppt hat. Mit einem Nachtragsbudget von 500 Millionen Euro für 2015 wird das Loch gefüllt: 300 Millionen davon gehen ins Schulbudget, 200 Millionen Euro in das Innenministerium für höhere Kosten für Flüchtlinge. Schellings „Quellen allen Geldes“ haben allein bis Jahresmitte 18,8 Milliarden mehr an Einkommen- und Vermögensteuern abgeliefert als im Vergleichszeitraum 2014 (plus 6,9 Prozent), die Lohnsteuerzahler um 13 Milliarden mehr (plus 4,8 Prozent).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2015)

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