Die Diagnose haben wir, jetzt sollten wir mit der Behandlung beginnen

Finanzminister Schelling hat in seiner gestrigen Budgetrede eine präzise Diagnose zu den Problemen in Österreich gestellt. Und jetzt?

Es vergeht kaum eine Woche ohne eine neue Wertung, eine neue Statistik, eine neue Prognose, die Österreich ein schlechtes Zeugnis ausstellt: Im Ranking des World Economic Forum verloren wir zwei Plätze, im Ranking des Schweizer Instituts IMD rutschte Österreich ins Mittelfeld (Platz 26 von 61), den Platz unter den Top 25 der beliebtesten Investitionsziele beim Confidence Index von A. T. Kearney schaffen wir schon lang nicht mehr, und der Beratungskonzern EY hat erst gestern die Wachstumsprognose für Österreich nach unten revidiert. Nein, es geht uns nicht gut.

Finanzminister Hans Jörg Schelling hat am Mittwoch in seiner Budgetrede recht treffend diagnostiziert, woran der Patient Österreich leidet: Das Finanzierungsumfeld für Unternehmen sei schwierig; Klein- und Mittelbetriebe fänden schlechtere Bedingungen vor als in anderen europäischen Ländern; internationale und nationale Institute kritisierten die mangelnden Anstrengungen bei der Sicherung der Pensionen, bei den Reformen des Arbeitsmarktes und in der Verwaltung; die hohe Steuer- und Abgabenlast schade dem Standort und behindere die Wettbewerbsfähigkeit; die überbordende Bürokratie nehme unseren Betrieben die Luft.

Stimmt schon, Schelling ist kein Oppositionspolitiker. Er sitzt seit mehr als einem Jahr in dieser Regierung. Nur sitzen er und seine Partei dort nicht allein. Es gibt einen Koalitionspartner, der von all diesen Problemen nichts wissen will; einen Bundeskanzler in Person von Werner Faymann, der wie einst Helmut Kohl Politik offenbar als die Kunst des Aussitzens versteht; und es gibt Sozialpartner, die sich seit Monaten nicht und nicht auf Reformen einigen können (Stichworte Arbeitsmarkt, Bonus-Malus für ältere Arbeitnehmer) und deshalbzunehmend Teil des Problems und nicht Teil der Lösung sind.

Die überraschende Ankündigung des Finanzministers, die unter den hohen Steuern stöhnenden Unternehmen durch eine Senkung der Lohnnebenkosten um mehr als eine Milliarde Euro entlasten zu wollen – eine Wiedergutmachung dafür, dass die Wirtschaft im Steuerreformpaket kaum etwas bekommen hat –, musste sich die ÖVP erst vom Koalitionspartner erkaufen (angeblich kommt man der SPÖ beim Bonus-Malus-System entgegen). Von so einem Partner ist nicht zu erwarten, dass er die Diagnose eines ungeduldigen Oberarztes zum dramatischen Zustand des Patienten Österreich versteht. Ist ja nur eine Lungenentzündung, das wird schon nicht schlimmer – maximal ein bisschen Hustensaft nehmen.

Das ist das grundlegende Problem dieser Regierungskonstellation. Da kann es einem Parteichef Reinhold Mitterlehner noch so oft reichen, da kann er noch so oft das „Wurschteln“ in der Regierung kritisieren – man wird für den Stillstand mitverantwortlich gemacht, auch wenn man die besten Vorsätze hat. Daran würde auch eine Neuwahl nichts ändern, von der am Ende nur die Partei von Heinz-Christian Strache profitierte, die außer kritisieren wenig kann (und auch noch längere Zeit wenig können muss).

Eine Regierungskoalition aus einer rechten und einer linken Volkspartei bedeutet immer den schlechtestmöglichen Kompromiss. Eine solche Zusammenarbeit mag funktionieren, solange es dem Land gut geht. Dann erträgt es sogar diese Konstellation. Sie funktioniert aber nicht mehr, wenn das Land vor Problemen und Herausforderungen steht und ein Partei- und Regierungschef meint, man könne diese allein durch freundliches Lächeln lösen. Jetzt ist die Zeit, um Reformen – vom Arbeitsmarkt bis zu den Pensionen – anzugehen. Es stehen keine wichtigen Wahlen vor der Tür, man hat mit den Zugewinnen der FPÖ in Oberösterreich und Wien (auch wenn die SPÖ sie in eine Niederlage umdeuten will) eine deutliche Warnung bekommen – was braucht man noch?

Wenn es nicht geht, dann kann man die Zeit bis 2018 vielleicht zumindest für eine andere grundlegende Reform nützen – nämlich die des Wahlrechts. Ein Mehrheitswahlrecht, so problematisch es in Teilen sein mag, scheint die einzige andere Möglichkeit, diesen Stillstand zu beenden.

E-Mails an: norbert.rief@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2015)

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