Schließt Ungarn seine Grenze zu Kroatien?

Der Zaun kann innerhalb einer Stunde abgeriegelt werden.
Der Zaun kann innerhalb einer Stunde abgeriegelt werden.AFP
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Am Nachmittag wird Ungarn über die Schließung des Grenzzauns zu Kroatien entscheiden.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hat für Freitagnachmittag das Kabinett für Nationale Sicherheit einberufen, auf der Tagesordnung steht die mögliche Schließung der Grenzen zu Kroatien angesichts des Flüchtlingsstroms auf der Westbalkan-Route. Kroatien und Slowenien zeigten sich bezüglich einer Abriegelung kritisch, wenn auch "vorbereitet".

Orban kündigte die Sitzung nach dem EU-Gipfel in Brüssel in der Nacht auf Freitag vor Journalisten an. Ungarn hat bereits an der Grenze zu Serbien einen Zaun gebaut und auch die Grenze zu Kroatien befestigt. Orban hatte am Donnerstag gesagt, man könne die Grenze zu Kroatien bei Bedarf innerhalb einer Stunde abriegeln.

Der Gipfel habe in Sachen Flüchtlinge nur "halbe Erfolge" gebracht, zitierte ihn die amtliche Ungarische Nachrichtenagentur (MTI). Ziel Ungarns ist es, den Flüchtlingsstrom einzudämmen. Die EU-Staats- und Regierungschefs hätten in Brüssel zwar wichtige Schritte in Richtung einer Vereinbarung mit Ankara gesetzt, um Flüchtlinge daran zu hindern, die Türkei zu verlassen, jedoch keine Entscheidung zu einer Schließung der griechisch-türkischen Grenze getroffen.

Voraussetzungen für Grenzschließung gegeben

Orban erinnerte an seinen Vorschlag, "gemeinsam in Richtung Süden zu gehen, damit dort der Grenzschutz entsteht, der Mazedonien, Serbien, Kroatien und auch Ungarn entlastet". Es fehle nach wie vor die "notwendige Kraft, Entschlossenheit und der politische Wille Griechenlands, das unfähig ist, seine eigenen Grenzen zu schützen", beklagte Orban.

Laut dem Premier sind alle Voraussetzungen für die Schließung der ungarisch-kroatischen Grenze gegeben, so wie er an der ungarisch-serbischen Grenze funktioniere. Am gestrigen Donnerstag war offiziell mitgeteilt worden, dass der Zaun an der Grenze zu Kroatien fertiggestellt sei. Von Jänner bis September haben ungarischen Behördenangaben zufolge 204.000 Menschen ohne geeigneten Pass oder Visa die ungarische Grenze überquert, das war ein Anstieg um das 13-fache zum Vorjahreszeitraum. Aufgrund des Zauns zu Serbien sei der Strom von Flüchtlingen von dort her stark zurückgegangen.

Visegrad-Staaten helfen bei Grenzschutz

Was die Grenze zu Kroatien betrifft, gibt es laut Orban die deklarierte "ernsthafte Hilfe und Verantwortung" der Visegrad-Partner Polen, Slowakei und Tschechien für den Grenzschutz Ungarns. Die Slowakei und Tschechien haben bereits Soldaten und technisches Gerät nach Ungarn entsandt. Polen sagte am Donnerstag konkrete Hilfe zu. Rund 70 polnische Beamte sollen bei der Absicherung der ungarischen Grenze zu Serbien unterstützen, wie Ministerpräsidentin Ewa Kopacz am Freitag ankündigte. Zudem würden fünf Spezialfahrzeuge mit Nachtsichtgeräten und Ausrüstung sowie weitere Fahrzeuge nach Ungarn geschickt, sagte Kopacz der amtlichen Nachrichtenagentur PAP zufolge. In einer gemeinsamen Erklärung hatte es am Rande des Gipfels geheißen, dass Polen, Tschechien und die Slowakei jeweils rund 50 Grenzschutzbeamte nach Ungarn schicken wollten.

Kroatien habe in der Flüchtlingskrise eine Lösung ungeachtet der künftigen Handlungen Ungarns an der Hand. Das sagte Premier Zoran Milanovic vor der Entscheidung in Ungarn: "Kroatien hat eine Lösung. Ungarn ist dabei nicht wichtig, es kann machen, was es will. Wir haben einen Plan, wonach Kroatien sicher bleibt und die Bürger keine Probleme haben", sagte der Regierungschef laut Nachrichtenagentur Hina in Brüssel, wo er am Rande des EU-Gipfels auch mit Orban zusammentraf. Die EU hat laut Milanovic kein Verständnis für die ungarische Flüchtlingspolitik. "Es besteht immer die Möglichkeit, dass Kroatien einen Zaun baut. Das wäre die letzte Möglichkeit. Das wünschen wir nicht", betonte er. Gegen einen Zaun an der Grenze zu Serbien, dessen Bau Kroatiens Staatspräsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic nicht mehr ausgeschlossen hat, hatten sich am Donnerstag sowohl die Außenministerin Vesna Pusic als auch Innenminister Ranko Ostojic ausgesprochen.

Ausweichroute nach Slowenien erwartet

Im Fall einer Grenzschließung durch Ungarn stellten die kroatischen Behörden bisher immer wieder die Möglichkeit in Aussicht, die Flüchtlinge nach Slowenien umzuleiten. Seit Kroatien vor einem Monat zu einem Transitland wurde, kamen dort mehr als 183.500 Flüchtlinge an. Fast alle wurden nach Ungarn weitergeleitet, nur rund 3.500 reisten in den ersten Tagen nach Slowenien weiter.

Auch Slowenien rechnet im Fall einer Grenzschließung durch Ungarn mit einer Umleitung des Flüchtlingsstroms, intensive Vorbereitungen auf dieses Szenario laufen bereits. "Wir sind vorbereitet, wünschen uns aber solche einseitigen Handlungen nicht", sagte Regierungschef Miro Cerar laut slowenischer Nachrichtenagentur STA in Brüssel. Cerar warnte vor einem Domino-Effekt. Eine totale Grenzschließung könnte zur Folge haben, dass andere betroffene Länder zu ähnlichen Maßnahmen gezwungen wären. "Wenn sich nördlich von uns die Grenzen schließen würden oder die Grenzkontrollen deutlich verstärkt würden, dann werden wir in Slowenien auf verhältnismäßig gleiche Weise handeln. Wir können nicht zulassen, dass Slowenien von einer unkontrollierten Zahl von Flüchtlingen und Migranten überschwemmt wird."

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(APA)

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