Mit dem Tausendfüßler durch Namibia

Universum: Namibia
Universum: Namibia (c) ORF
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Zugsafari. In einem 80 Jahre alten britischen Luxuszug schaukelt es sich gemütlich durch das ehemalige Deutsch-Südwestafrika, seine Wüsten, Savannen und Berge bis zum Etosha-Wildschutzgebiet.

Shongololo heißt in der Sprache der Zulu Tausendfüßler. Ein schöner Name für einen Zug – lautmalerisch gibt er den Rhythmus der Räder wieder, wenn sie über die Gleise rattern. Tschsch-tuk-tuk, Tschsch-tuk-tuk,... Wie der Refrain eines Liedes, das akustisch das gemächliche Schaukeln der Waggons begleitet.

Hintergrundmusik für eine Fahrt durchs südliche Afrika. Von Kapstadt bis Windhoek, quer durch Namibia, das Land, das einst Deutsch-Südwestafrika war, dann unter der Apartheidherrschaft des südlichen Nachbarn gestanden ist und seit 1990 demokratisch regiert wird. Der Shongololo hat in seiner 80-jährigen Geschichte viel gesehen. Zunächst einmal das Werk im Norden Großbritanniens, woher er stammt. Die auf Hochglanz polierte Holztäfelung, die mattschimmernden Messingarmaturen, die abgewetzten Ledersessel im Rauchsalon verbreiten – als wär's Parfum – noch immer einen Hauch von British Empire.

Bei der Errichtung der Bahnstrecke im Süden des Kontinents erlangten jene Männer, die in irgendeiner Weise damit zu tun hatten, über Nacht Ruhm und Reichtum. Der Schotte James Douglas Logan etwa kam 1876 ins Land und verdingte sich zunächst als Gepäckträger, stieg zum Stationsvorsteher auf, kaufte mit seinen Ersparnissen 1883 ein Grundstück an der Strecke und versorgte die Zugpassagiere mit Speis und Trank. Nach und nach entstand ein blühendes Ferienresort. Heute macht der Shongololo Express in Matjiesfontein halt. Die Fremden klettern aus ihren Abteilen und staunen über das Lord Milner Hotel mit seinem viktorianischen Pomp und über das Museum samt den vielen Exponaten – sogar ein Zahnarztequipment ist dabei.

Eisenbahnersohn findet Diamanten

Ein paar Kilometer nördlich davon liegt Kolmannskoppe. Die Sonne sticht erbarmungslos vom Himmel. Immer wieder wirbelt der Wind den Sand auf und bedeckt die Gleise. Dass innerhalb des Städtchens einst ein Zug verkehrte, erfahren die Besucher durch den Guide. Zu sehen ist davon nichts mehr, doch über den Namen August Stauch bleibt der Wüstenort für immer mit der Bahn verbunden. Der Sohn eines Eisenbahners kam 1907 in die deutsche Kolonie, weil er sich in der trockenen Luft Heilung von seinem Asthma erhoffte. Er arbeitete als Bahnmeister. Seine Aufgabe bestand darin, dafür zu sorgen, dass ein neun Kilometer langer Gleisabschnitt frei, das heißt, befahrbar, blieb. An einem denkwürdigen Tag im April 1908 kommt sein Gehilfe am Feierabend zum Rapport, öffnet seine Hand und lässt im Licht der Abendsonne etwas funkeln. Stauch, der sich ein bisschen mit Mineralien auskannte, ritzte mit dem Fund an seinem Uhrglas, stellte die Härte des Steines fest und wusste: Das war ein Diamant! Wenige Jahre später war Kolmannskoppe die reichste Stadt Afrikas. Ungefähr 300 deutsche Familien lebten hier ganz wie zu Hause mit Kegelbahn, Karneval und Kaffeekränzchen. 1920 war es mit Deutsch-Südwestafrika vorbei. Die kurze Kolonialzeit stellt zwar nur eine kurze Episode in der Geschichte des Landes dar, doch hat sie sich so stark in das äußere Erscheinungsbild wie in die Lebensgewohnheiten eingeprägt.

Anmutige Kellnerinnen

Die Namib-Naukluft-Lodge im gleichnamigen Nationalpark: ein paar sandfarbene Flachdachbungalows schmiegen sich an den Fels, Vegetation ist kaum vorhanden, der Horizont unbegrenzt, die Stille vollkommen. Das Abendlicht taucht alles in tiefes Rot, unter dem schützenden Dach des Haupthauses ist eine lange Tafel gedeckt. Gazellenhaft anmutige Kellnerinnen servieren mit ernster Miene das Abendessen. Sie sprechen keine der gängigen Fremdsprachen und wirken scheu. Vertraut sind lediglich die Speisen: Gulasch und zum Dessert Apfelkuchen mit Schlag.

Nach der Unabhängigkeit Namibias legte man wenig Wert darauf, die Spuren der Kolonialherrschaft zu beseitigen. Nur selten wurden Straßen, Städte oder Orte umbenannt. Lüderitz heißt immer noch Lüderitz – nach einem Kaufmann aus Bremen, der sich das Gebiet 1883 durch einen Trick angeeignet hat. Die im Kaufvertrag angeführten englischen Meilen legte er als deutsche Maßeinheit aus, was seinen künftigen Besitz vervierfachte.

Bei Usakos hält der Zug, und die Fahrt geht weiter im Bus. Rundherum eine einzige Gesteinswüste. Neben der Straße hin und wieder ein Unterstand, der vor der sengenden Hitze schützen soll. Hier werden Mineralien zum Verkauf angeboten. Mit dem Sammeln der mitunter sehr schönen Exemplare verdienen die Damara heute ihren Lebensunterhalt. Das Volk, das zu den ältesten Namibias zählt, wurde in den 1960er-Jahren im Rahmen der Homeland-Politik der südafrikanischen Verwaltung in diese Gegend verbannt, wo Landwirtschaft ein Ding der Unmöglichkeit ist.

Fachwerkbauten unter Palmen

„Das Matterhorn Namibias“ sagt der Guide und zeigt auf einen schroff aufragenden Felsen: die Spitzkoppe, mit 1700 Metern zwar nicht der höchste Berg des Landes, aber eine Attraktion. In Umfeld weniger Kilometer finden sich Felszeichnungen der Ureinwohner, die ganze Gegend gilt als Open-Air-Galerie. Seit jeher streiften Nomaden hier durch die Savanne und meißelten die Umrisse von Tieren in den Granit: Ein Löwe, ein Nashorn, eine Raubkatze sind darunter. Die erstaunlich präzisen Darstellungen zeigten wahrscheinlich an, wo die nächste Wasserstelle zu finden war, oder dienten rituellen Zwecken.

Die San, Buschleute, von denen die Relikte der Felszeichnungen stammen, sind die ältesten Einwohner Namibias, charakteristisch für sie ist ihre mit Klicklauten durchsetzte Sprache. Die kulturellen Unterschiede zwischen den Ethnien zu erfassen gelingt den durchreisenden Europäern nur schlecht. Man beschränkt sich auf optische Merkmale: die weiten langen Gewänder der Hererofrauen, die an Trachten aus dem 19.Jahrhundert erinnern, die rötliche Hautfarbe der Himba, die durch das Auftragen einer Mixtur aus Fett, Kräutern und Roteisenstein entsteht.

Man trifft die Roten Frauen der Wüste, wie sie genannt werden, umringt von einer Schar Kinder in Swakopmund, der Stadt am Meer, die bis heute ihr deutsches Gepräge am augenfälligsten bewahrt hat. Fachwerkbauten stehen unter Palmen. Die Straßen heißen Bismarck Street oder Lüderitz Avenue. Der nostalgische Bahnhof aus dem Jahr 1901 beherbergt heute ein Hotel, das so nobel ist, dass es wohl die meiste Zeit leer steht. Regierungsbeamte würden hier absteigen, erklärt der Kellner und stellt nach zehnminütiger Wartezeit der Fremden ein Glas Cola voll klirrender Eiswürfel auf den Tisch.

Schutzgebiet so groß wie die Schweiz

Das neue Namibia gilt anderen Staaten als Vorbild. Es ist das Land der Superlative: mit dem größten Pro-Kopf-Einkommen auf dem Kontinent (nach Südafrika), mit Sossusvlei, der weltweit höchsten Düne – seit 2013 Unesco-Weltnaturerbe –, und mit dem Etosha-Nationalpark, einem der größten Wildschutzgebiete Afrikas. Eine weite, weiße sandige Ebene, die sich über fast 5000 Quadratkilometer ausbreitet, ein „Land“ so groß wie die Schweiz und nur von Tieren bevölkert.

Am Himmel hängen Wolkenfetzen wie helle Fahnen vor zartblauem Hintergrund. Termitenhügel und Schirmakazien prägen das Bild. Wenn Menschen sich hier blicken lassen, dann sitzen sie ganz brav im Allradfahrzeug und bewegen sich auf den für sie vorgesehenen Pisten. Aussteigen ist nicht erlaubt. Während die Männer und Frauen im Safari-Outfit ihre Kameras überprüfen oder noch schnell einen Schluck aus der Wasserflasche nehmen, sind die sie begleitenden Ranger höchst angespannt. Dass sie auf Deutsch, Englisch, Portugiesisch oder Französisch erzählen können, wie viele Elefanten hier leben, wie es um die bedrohte Art der Spitzmaulnashörner bestellt ist, wie viele Antilopenarten es gibt und wer King Nehale war, nach dem ein Eingangstor in den Park benannt ist – das geht ja noch.

Aber dass sie auch noch die Verantwortung dafür tragen, ob ihre Gäste einen Löwen zu Gesicht bekommen oder nicht – das erzeugt Stress. Davon bekommen die Besucher nichts mit: Die Ranger informieren in ihrer Sprache per Funk die anderen, was sich bei den Wasserlöchern Klein Okevi oder Klein Namutoni so alles tut. Und es ist tatsächlich faszinierend zuzuschauen, wie sich die Tierherden nach und nach einfinden. Die einen warten, bis die anderen sich gelabt haben, und ziehen dann in geordneten Reihen wieder ab. Majestätisch. Würdevoll. Ohne Hast.

Man sieht „die Schönen und die Biester“: Springböcke, Oryxantilopen, Zebras und Giraffen gehören zur ersten Kategorie, Schakale, Hyänen und Gnus zur zweiten. Und dann gibt's noch die hübschen gefiederten Gesellen, die Gabelracke zum Beispiel, die so schön bunt ist. Auch wenn von den Big Five meistens einer fehlt, heute ist es der Leopard, sind am Ende des Tages alle zufrieden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2015)

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