Es ist ein Wahnsinn . . . So kann es nicht weitergehen

(c) Clemens Fabry
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Für manche Sätze erntet man immer Kopfnicken, ohne sich wirklich etwas überlegen zu müssen.

So kann es wirklich nicht weitergehen. Dass man nämlich sein gesamtes argumentatives Unterfutter nur aus Phrasen zusammenstückelt, die doch nichts anders sind als zu scheinbaren Aphorismen aneinandergereihte Laute des Lamentierens. Es reicht, möchte man am liebsten ausrufen, würde man damit nicht nur noch weiter in den Chor der Beschwerer einstimmen, deren einzige Denkleistung aus dem lautstarken Beklagen des derzeitigen Zustands besteht. Da muss sich etwas ändern. Und schon wieder setzt der Kopf zum gewohnten Nicken an. Ja, so gut kann es gar nicht sein, dass das Rückenmark nicht sofort den Impuls aussendet, dass es schlecht sein und sich natürlich etwas ändern muss. Da wird man sich etwas überlegen müssen. Natürlich nicht, ohne vorher inhaltsscheinschwanger zu betonen, dass man sich den Sachverhalt ganz genau anschauen wird.

Die korrekte Antwort auf jede derartige Hiobsbotschaft lautet übrigens: „Es ist ein Wahnsinn.“ Wobei diese Worte ohnehin Allgemeingültigkeit haben, so wie ein „tja“ in jedem Gespräch als rhetorische Allzweckwaffe eingesetzt werden kann. Ob Zustimmung, Ablehnung, Verwunderung, Begeisterung oder auch einfach nur um dem Gegenüber zu signalisieren, dass man noch da ist – es ist ein Wahnsinn, in wie vielen Situationen es passt, etwas einen Wahnsinn sein zu lassen. Was dann auch schnell wieder zur Einsicht führt, dass es so nicht weitergehen kann, sich etwas ändern muss, man es sich aber vorher noch ganz genau anschauen wird. Einfach dahingesagt und eigentlich unwiderlegbar, so wie die weinselig angeheiterte Feststellung unter Freunden, dass man so jung nicht mehr zusammenkommen werde. Natürlich nicht, würde man am liebsten ausrufen, wenn die Begründung nicht auch schon im Restmüll des Floskelwahnsinns vor sich hin blubbern würde, wir werden ja alle nicht jünger. Es ist ein Wahnsinn.

E-Mails an:erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2015)

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