Pařízek hat Thomas Bernhards späten Roman kunstvoll dramatisiert: Er konzentriert das Geschehen auf die zwei Protagonisten, die souverän zornigen Weltschmerz, leichten Slapstick und absurdes Theater bieten.
Seit geraumer Zeit sind die Stücke des vor fast 27 Jahren verstorbenen Schriftstellers Thomas Bernhard, die zu Lebzeiten kontroversiell aufgenommen wurden und so wie manche seiner Prosawerke oder sogar seine Preisreden zu politischen Skandalen führten, selbst in Wien verklärte Klassiker. Zur Erhöhung trägt neuerdings auch bei, dass selbst einige seiner Romane in dramatisierter Form aufgeführt werden. Im Wiener Volkstheater, das seit dieser Saison von Anna Badora geführt wird, ist dies eben mit dem Spätwerk „Alte Meister“ geschehen, einer kunstvollen und schwermütigen Tirade, die als „Komödie“ firmiert. Dušan David Pařízek hat eine Bühnenfassung erstellt, die das Geschehen auf zwei Protagonisten reduziert.
Am Sonntag gab es die Premiere seiner Inszenierung. Die eineinhalbstündige Vorstellung war großartig. Sie wurde lang und laut bejubelt. Lukas Holzhausen reüssierte als nervös-fragiles Alter Ego Bernhards, als kunstsinniger Musikkritiker Reger. Rainer Galke spielte ebenbürtig den dienstbeflissenen, unterwürfigen und dennoch Macht ausstrahlenden Museumswärter Irrsigler. Ist es eine Komödie. Ist es eine Tragödie? Pařízek beginnt sein Stück als Spaß, als aberwitzige Haupt- und Staatsaktion, entwickelt das Geschehen zur Clownerie, die jedes absurde Theater zieren würde, und endet in der Tiefe.
„Bildnis eines weißbärtigen Mannes“
Im Finale erfährt der Zuseher, dass Regers Gattin gestorben ist, mit der er 30 Jahre lang zusammen war (so wie Bernhard mit seinem „Lebensmenschen“ Hedwig Stavianicek). Reger und seine künftige Frau waren sich auf der Bank im (fiktiven) Bordone-Saal des Kunsthistorischen Museums nähergekommen, Irrsigler war dort auch schon vor 30 Jahren Aufseher und hat das Verhältnis begünstigt. Nun sind nur noch der Wärter und der räsonierende Kunstkenner im Saal. Seit 30 Jahren besucht Reger ihn jeden zweiten Tag, setzt sich auf die Bank und betrachtet Tintorettos „Bildnis eines weißbärtigen Mannes“, in der Absicht, einen Fehler zu entdecken. Denn jede Kunst, auch die höchste, hat für ihn einen Makel. Irrsigler hält für dieses Verweilen die Bank frei und andere Besucher fern, er hat in der Zwischenzeit die Belehrungen Regers, seine Hassreden gegen Österreich, insbesondere die Politik, völlig internalisiert. Der einfache Mann aus dem Burgenland, der allein deshalb den Posten im Museum ersehnte, weil er eine Gratisuniform mit sich bringt, ist der Verstärker des räsonierenden Musik-Philosophen, dessen letzter Halt vor absoluter Einsamkeit, vor dem ersehnten Suizid. (Im Roman gibt es zudem einen Freund, den Erzähler Atzbacher.)
Reduktion suggeriert auch das Bühnenbild: im Zentrum die Bank, links der Sessel des Wärters, eine Tasche, ein Geigenkasten, große Leinwände hinten und an den Seiten. Mittels zweier Overheadprojektoren werden dort von den Protagonisten wechselnde Bilder gezeigt: Haut mit Haar, Augen, Nasen, schließlich auch – wie bei einer Fahndung – drei Ansichten von Reger. Dazwischen gibt es kurz, zur Erheiterung des Publikums, inzwischen berühmte Aufnahmen aus der Uraufführung von Bernhards „Heldenplatz“ im Burgtheater zu sehen. Eine zeigt den Dramatiker, wie er nach der Premiere die Hand hebt, eine zweite den damals jugendlichen FPÖ-Chef Strache bei derselben Aufführung in der Galerie, wie er den rechten Arm hochstreckt, die Faust ballt. Dazu hört man Tiraden Regers gegen die Habsburger, das Katholische und den Faschismus. Die Kunst Pařízeks besteht darin, dass er diese (hier exzellent artikulierten) Wortkaskaden nicht bis zur Ermüdung niederprasseln lässt, sondern komponiert. Immer wieder übernimmt Irrsigler den Erzählfaden, kurz wird sogar der Souffleur eingebaut. Der Deutsche Galke lässt sich von ihm mehrfach laut einsagen, wie man das Burgenländische oder das Wienerische korrekt ausspricht. Wer braucht da noch die vierte Wand?
Ein sehr langes Seil für den alten Reger
Als schließlich doch fast alles besprochen ist, Dürer, Stifter, Heidegger, Beethoven et cetera als letztklassig abgeurteilt wurden, pflegen die beiden Protagonisten den Slapstick. Jetzt werden Schnitzel gegessen, jetzt hält der bullige Wärter Reger nur mit Mühe davon ab, mit einer Schere Alte Meister zu attackieren, er verhindert auch, dass der Kunstmensch allzu lang am mächtigen Strick hängt, durch den er sich ums Leben bringen will. Manche Bilder passen, manche sind weit hergeholt oder ergeben wenig Sinn: Warum etwa müssen die Herren plötzlich Stöckelschuhe tragen, muss Irrsigler ein Kleid anziehen?
Am Schluss aber kommt die Regie ohne Mätzchen aus, da dürfen die Darsteller noch einmal minimalistisch beweisen, eine tolle Besetzung für dieses ungleiche Paar zu sein. Nebenbei hat Irrsigler den Saal aufgeräumt, die Projektoren abgeschaltet, durch die Reger eben noch in seiner Trauerarbeit als dreifacher Schattenriss zu sehen war. Warum ist er nicht nachgestorben? Er legt sich auf die Bank, als wäre sie sein Grab. Der Rest ist fast schon Schweigen. Langsam wird es dunkel bei den Meistern in Bernhards Museum.
BERNHARDS ALTERSWERK
Der Roman „Alte Meister“ wurde von Thomas Bernhard Anfang 1985 geschrieben (kurze Zeit nach dem Skandal um „Holzfällen“ 1984) und Mitte des Jahres veröffentlicht. Er verarbeitet darin auch den Tod seines Lebensmenschen: Hedwig Stavianicek, seit Anfang der Fünfzigerjahre mit ihm befreundet, starb 1984 im Alter von 89 Jahren. Der Autor teilt mit ihr das Grab auf dem Grinzinger Friedhof. Bernhard starb am 12. Februar 1989 mit 58 Jahren.
Termine im Volkstheater: 20., 21., 24. 10. (jeweils 19.30 h), 25. 10. (15 h) sowie 5./6. 11. (19.30 h).
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2015)