Wien: Der lange Weg zu Rot-Grün II

Die Presse (Clemens Fabry)
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Dienstagabend gab Michael Häupl bekannt, dass er Koalitionsverhandlungen mit den Grünen führt. Die Verhandlungen werden schwierig – und die To-do-Liste für die Stadt ist lang.

Rot-grün also wieder. Zumindest kündigte Wiens Bürgermeister Michael Häupl am Dienstagabend an, dass er erneut mit den Grünen in Koalitionsverhandlungen treten wird: „Es war im Landesparteivorstand ein einstimmiges Ergebnis für Koalitionsverhandlungen mit offenen Ausgang.“ Die Entscheidung fiel, nachdem Häupl laut „Presse“-Informationen intern erklärte, warum die ÖVP nicht als Koalitionspartner in Frage komme: Nämlich wegen der knappen Mehrheit von 51 Mandaten und der Unberechenbarkeit zweier ÖVP-Mandatarinnen – der Abtreibungsgegnerin Gudrun Kugler und der Veteranin Ingrid Korosec, die schon einmal gegen die Parteilinie stimmte. Nachdem die Verhandlungen mit den Grünen sehr konfliktbeladen sind (Stichwort: neues Wahlrecht und Lobau-Tunnel), hatte sich Häupl laut SPÖ-Kreisen gleichzeitig absegnen lassen: Falls er es für notwendig erachtet, darf er (ohne Konsultation der Gremien) sofort Verhandlungen mit der ÖVP beginnen und die Grünen vor die Türe setzen – womit sich die SPÖ alles offen hält, auch um Druck auf die Grünen auszuüben: „Ich sehe nicht wirklich unüberwindbare Hindernisse“, meinte Häupl, der allerdings beim Thema Wahlrecht darauf bestand: Um Konflikte zu vermeiden, werde man dieses Mal die Causa genauer in den Koalitionspakt schreiben, „und nicht nur, dass wir eine Arbeitsgruppe bilden.“
In dieser Woche wird der Zeitfahrplan ausgearbeitet, Mitte November muss das Stadtbudget beschlossen werden – die Koalition muss also bis dorthin stehen. Dem Verhandlungsteam gehören neben Häupl auch Landesparteisekretär Georg Niedermühlbichler, Klubobmann Rudolf Schicker, Finanzstadträtin Renate Brauner und (je nach Fachgebiet) auch der jeweilige Stadtrat an. Apropos Brauner: Wer Vizebürgermeisterin wird, ist laut Häupl noch offen. Dieser Titel gehört zur Verhandlungsmasse.
Apropos Personalia. Die würden erst am Ende, wenn das Koalitionsprogramm feststehe, fixiert, meinte Häupl. Er betonte aber, dass die SPÖ laut Stadtverfassung ein Ressort verlieren werde. Wen es trifft, wollte Häupl naturgemäß nicht sagen. Aus SPÖ-Kreisen ist aber zu hören, dass der Job von Klubchef Rudi Schicker benötigt werde. Um jenen Stadtrat zu versorgen, der gehen muss. Diese Methode hatte die SPÖ bereits 1996 und 2010 gewählt. Und nun fällt immer wieder der Name Christian Oxonitsch. Der Bildungsstadtrat war bereits SPÖ-Klubobmann. Und hatte seinen Job zur vollen Zufriedenheit von Häupl erledigt – womit er zum Stadtrat befördert wurde.
Von allen Stadträten, deren Ressort zur Disposition steht, wird parteiintern nur Oxonitsch zugetraut, den roten Klub zu managen. Wobei das im Notfall auch Umweltstadträtin Ulli Sima machen könnte, ist von manchen zu hören – diese Variante ist allerdings äußerst unwahrscheinlich.
Fix gesetzt sind derzeit (neben Parteimanager Georg Niedermühlbichler, der sich um die Neuaufstellung der Wiener SPÖ kümmert): Renate Brauner (Finanzen), Sonja Wehsely (Gesundheit/Soziales) und Michael Ludwig (Wohnbau). Ludwigs Ressort könnte zusätzlich mit der Stadtplanung aufgewertet werden – das hängt aber noch von den Verhandlungen ab.
Angesichts des rot-grünen Konfliktpotenzials hofft die ÖVP trotzdem noch auf ihre Chance. Die Entscheidung komme nicht unerwartet, kommentierte Neo-Obmann Gernot Blümel den rot-grünen Verhandlungsstart. Aber man sei weiter gesprächsbereit, man werde sich auf alle Fälle vorbereiten.
Die nächsten Wochen werden zeigen, ob Häupl mit Maria Vassilakou auf einen grünen Zweig kommt – gibt es für Rot-Grün doch genug Konfliktpotenzial.

1 Wahlrecht

Rot-Grün ist an einem neuen Wahlrecht für Wien fünf Jahre lang gescheitert. Und das hat für hässliche Szenen gesorgt: Die Grünen wollten es gegen den Willen des Koalitionspartners durchboxen, die SPÖ hatte dafür einen grünen Abgeordneten abgeworben, mit dem sie ein neues Wahlrecht verhindern konnte. Wobei auch die Einbindung der Opposition, die versprochen worden war, nicht stattgefunden hat.
Nun ist alles noch komplizierter. Nach den Verlusten am 11. Oktober kann die SPÖ nicht mehr ein neues Wahlrecht gegen ihren Willen verhindern. Aber: Die FPÖ hat nun eine Sperrminorität erreicht – die Stadtverfassung (also das Wahlrecht) kann nicht ohne ihre Zustimmung geändert werden. Damit muss sich nicht nur die Koalition bei diesem konfliktreichen Thema einigen, sondern die Koalition zusätzlich mit der FPÖ. Und wie die reagiert, ist offen.
Das bisherige Wahlrecht bevorzugt große Parteien – in der Vergangenheit war das ausschließlich die SPÖ. Mit der Wien-Wahl hat allerdings auch die FPÖ eine Größe erreicht, mit der sie von dem stark mehrheitsfördernden Wahlrecht überproportional profitiert.

2 Integration

Der Flüchtlingsansturm, der voraussichtlich nicht so schnell abreißt, stellt die Stadtregierung vor eine enorme Herausforderung. Selbst wenn der überwiegende Großteil der Flüchtlinge weiter nach Deutschland reist, bleiben nicht wenige in Österreich, konkret in Wien. Denn Flüchtlinge siedeln sich erfahrungsgemäß in der Hauptstadt an – in der Hoffnung, dort Arbeit zu finden. Damit ist die Stadtregierung gefordert, diese Menschen gut zu integrieren, ansonst drohen entsprechende Probleme.
Die Aufgabe klingt einfacher, als sie ist, da Integration alle Bereiche des Lebens betrifft. Das fängt an beim Spracherwerb, geht vom Kindergarten über die (Pflicht-)Schule bis zu Aus- und Weiterbildung, ohne die ein Bewohner der Bundeshauptstadt auf dem Arbeitsmarkt nicht bestehen kann. Immerhin sind billige Jobs für niedrig Qualifizierte gerade in Wien mit seinen spezialisierten Branchen (Biotechnologie, Dienstleistungen wie Consulting etc.) fast ausgestorben. Dazu spielt in den Bereich der Integration (der für Flüchtlinge schwer leistbare) Wohnungsmarkt hinein, da Wien wächst und Mieten stark steigen.

3 Wachsende Stadt

Verschärft werden die Herausforderungen, die nicht nur im Bereich der Integration liegen, durch ein Faktum: Wien ist eine stark wachsende Stadt – mit allen Folgen für den Wohnungsmarkt, Arbeitsmarkt und die Infrastruktur. Insgesamt wandern jährlich bis zu 30.000 Menschen aus den Bundesländern, der EU oder Drittstaaten zu. Vor allem im Bereich des Verkehrs stehen hier Weichenstellungen an. Denn in die Amtszeit der nächsten Stadtregierung fällt die Entscheidung, ob der Autobahnring um Wien geschlossen wird. Also der Lobautunnel gebaut wird, was Häupl Dienstagabend als Konfliktpunkt genannt hatte.

4 Schulden

Da die Stadt offiziell rund fünf Milliarden Euro Schulden hat (inoffiziell sind es wegen der ausgelagerten Betriebe deutlich mehr) und die Folgen der Wirtschaftskrise nachwirken, ist die finanzielle Situation in Wien angespannt – weshalb die Stadtregierung in der nächsten Legislaturperiode die Quadratur des Kreises schaffen muss: Die Ausgaben steigen automatisch (wegen der wachsenden Stadt, Stichwort: Schulen, Straßen, Wohnungen), während die Einnahmen sinken (wegen der Folgen der Wirtschaftskrise).
Eine Finanzierung mit neuen Schulden scheidet aber aus. Denn 2016 muss Wien ein Nulldefizit erreichen wie es Brüssel vorgeschrieben hat, sonst gibt es Sanktionen. Wie Rot-Grün das erreichen will, ist unklar. Immerhin will die Stadtregierung nicht bei diversen Privilegien für ihre Wähler (Stichwort: Beamtenpensionen) eingreifen.

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