Das „Dritte Lager“ mit Webfehlern

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Oktober 1955. Der „Verband der Unabhängigen“ und die „Freiheitspartei“ schließen sich zur FPÖ zusammen.

Vor sechzig Jahren – von einem österreichischen Nationalfeiertag war da noch lang keine Rede – rollte in der Parteienlandschaft ein merkwürdiges Schauspiel ab. Nicht ganz zufällig erinnert es an jüngere Abläufe in der FPÖ. National versus Liberal, Alt gegen Jung, Oberösterreich gegen Wien: Die sogenannte „Dritte Kraft“ war stets ein Sammelbecken querulantischer Einzelgänger, hochbegabter Autisten, honoriger Bürger, verwirrter Ewiggestriger – auf jeden Fall prinzipieller Oppositioneller. Das hatte schon bei den Großdeutschen und im Landbund lang vor dem Weltkrieg Tradition. Jetzt, im Herbst 1955, lag ihre Partei, der VdU („Verband der Unabhängigen“), auf dem Krankenbett. Der Tod stand bevor. Was 1949 mit einem fulminanten Wahlergebnis begonnen hatte (77 Mandate für die ÖVP, 67 SPÖ, fünf KPÖ und 16 Nationalratssitze aus dem Stand für den VdU), löste sich nun in Partikularinteressen und ideologische Feindschaften auf, obwohl es 1953 nur geringe Einbußen gesetzt hatte.

Ex-Nazis als Wählerstock

Es sollte eine liberale Honoratiorenpartei werden, die die Journalisten Herbert A. Kraus und Viktor Reimann da 1949 aus der Taufe gehoben hatten: Schluss mit dem schwarz-roten Proporz, (deutsch-)nationalbewusst, aber keineswegs aggressiv, wählbar für das gebildete, gehobene Bürgertum. Dass sich als Klientel aber großteils jene 556.000 Österreicher angesprochen fühlten, die als „NS-Belastete“ seit 1945 vom Wahlrecht ausgeschlossen waren, das war der Geburtsfehler, der den beiden Idealisten gemeinsam mit dem Chefredakteur der „Salzburger Nachrichten“, Gustav Canaval, damals unterlief.

Einer der nationalen Wirrköpfe, die nun in den Reihen des VdU-Parlamentsklubs saßen, hieß Fritz Stüber, NS-Dichter und Musensohn, der den Traum vom Reich über die Katastrophe der Hitler-Jahre hinüberretten wollte. In Wien hatte er sein Agitationsfeld (er war ein recht begabter Organisator). An Parteibeschlüsse fühlte er sich in seiner deutschen Einzelmission nicht gebunden. Zum Entsetzen der Klubführung provozierte er die KZ-Überlebende Rosa Jochmann oft und gern dermaßen, dass ihn empörte sozialistische Abgeordnete fast geohrfeigt hätten.

Stübers „deutsche Mission“

Der Querkopf wurde immer lauter und lästiger, bis er selbst den VdU verließ und als „wilder Abgeordneter“ seinen Kollegen weiter Stoßseufzer entlockte. Als am 26. Oktober 1955 das Neutralitätsgesetz zur Abstimmung stand, entschwand Stüber aus dem Plenum, nicht ohne zuvor eine Brandrede zu halten: Hiemit verrate Österreich seine deutsche Sendung, das Band zwischen den deutschen Bruderstämmen werde nun mutwillig zerrissen. Wenigstens einer müsse hier „die Stimme des deutschen Österreich“ vertreten, rief der Schriftsteller. Damit das Gesetz vor der Weltöffentlichkeit dennoch einhellig beschlossen werden konnte, verließ Stüber vor Abstimmungsbeginn den Saal. Gemeinsam mit Josef Ursin gründete er dann noch die kurzlebige „Freiheitliche Sammlung Österreichs“. Die Sache verlief wegen mangelnden Zuspruchs bald im Sande.

Keine scharfe Trennlinie

Stüber war man los, aber in den großen Landesgruppen des VdU (Steiermark, Oberösterreich) gärte es. In Spital am Semmering war der frühere SS-Mann aus der „Leibstandarte Adolf Hitler“, Herbert Schweiger, als steirischer Landesobmann tätig – für die liberalen Parteigründer Kraus/Reimann ein unerträglicher Zustand, den sie allerdings selbst zu verantworten hatten, weil sie ihn nicht stoppten. So ließ man noch 1956 den Mann als FPÖ-Spitzenkandidat in Graz antreten. Schließlich landete er bei der NDP – und mehrmals vor Gericht wegen NS-Wiederbetätigung.

Das Funktionärsvolk der neuen Partei rutschte immer weiter nach rechts ab. So würde man nie regierungsfähig. Wie der FP-Historiker Kurt Piringer in mehreren Studien darlegt, war der Mann der Stunde in diesem Herbst 1955 der Agraringenieur Anton Rein-thaller. Trotz seiner NS-Laufbahn (Landwirtschaftsminister im Zwei-Tage-Kabinett von Seyß-Inquart 1938, Führer des Reichsnährstandes) erfreute er sich – vor allem in Oberösterreich – großer Beliebtheit. Der Gutsbesitzer saß nach 1945 zwei Jahre im Nazi-Anhaltelager Glasenbach, dann sieben Jahre in U-Haft, wurde 1952 wegen Hochverrats zwar zu drei Jahren Kerker und Vermögensverlust verurteilt (wohl um die Besatzungsmächte milde zu stimmen), weil aber sämtliche Zeugen nur Gutes über ihn berichten konnten, begnadigte ihn Bundespräsident Körner gleich darauf. Hier zog ein späterer Schlüsselspieler die Fäden: Körners Berater, der Vize-Kabinettsdirektor Bruno Kreisky . . .

Reinthaller als „Integrationsfigur“?

Reinthaller sollte nun die Liberalen und die (Neo-)Nazis vereinen. Das war bereits der zweite Webfehler der Partei. Denn Reinthaller zeigte sich – nach seiner Rehabilitierung – völlig uneinsichtig. Kraus berichtete von einem Gespräch mit ihm: „Reinthaller hatte nichts anderes vor Augen als die große Menge hart geprüfter ehemaliger Nationalsozialisten. Er sah nur eine Aufgabe, diese Menschen [. . .] aus ihrer psychologischen Not und politischen Isolierung herauszuführen.“ Kraus, sagte ihm Reinthaller, habe gemeinsam mit dem Widerständler Viktor Reimann zwar viel für die Gründung des VdU geleistet, „aber die eigentliche Aufgabe könne ich nie und nimmer erfüllen, weil ich eben selbst kein Nationalsozialist gewesen sei“.

In Wien kam es zur Aussprache zwischen Exponenten des VdU und der Abspaltung namens Freiheitspartei. Oberst a. D. Max Stendebach und Jörg Kandutsch vertraten die alte Partei, Reinthaller und der Pharmazeut Emil van Tongel die kommende FPÖ. Kandutsch sollte in der Kreisky-Ära völlig überraschend Rechnungshofpräsident werden, van Tongel wieder diente viele Jahre als Klubobmann. Weil noch einige Kleingruppen das „Dritte Lager“ aufzuspalten drohten, sperrte die Industriellenvereinigung vorsorglich die Gelder an alle. Das wirkte Wunder.

Gredler schaffte die Einigung

Da spielte nämlich auch noch der junge Liberale Willfried Gredler mit, seines Zeichens Wirtschaftsjurist und angehender Diplomat. Er kam aus einer Vorfeldorganisation der ÖVP. Dort hatten unzufriedene Weltkriegsteilnehmer die „Junge Front“ gegründet, eine Art Jugendgruppe der christlichsozialen Partei: Die Ritterkreuzträger Gordon Gollob und Ernst Graf Strachwitz waren die bekanntesten. Gredler, der dort eigentlich gar nicht dazu passte, sah nun seine Stunde gekommen. Ihm gelang es rasch, den zerstrittenen Haufen auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören.

Jeder versuchte noch, für sich selbst lukrative Posten bzw. Mandate zu ergattern. Immerhin verfügte der VdU ja seit den Wahlen 1953 immer noch über 14 Parlamentssitze. Dann konnte man am 1. Dezember 1955 vor die Presse treten. Die Freiheitliche Partei war geboren. Da Reinthaller gesundheitlich bereits schwer angeschlagen war (Lungenkrebs), übernahm schon bald der oberösterreichische Landesparteiobmann, Friedrich Peter (34), die Führung. Er sollte sie bis 1978 behalten.

AUF EINEN BLICK

Nächsten Samstag: Vor 30 Jahren hielt der Computer in den Zeitungshäusern Einzug. Zuerst in der „Presse“.Eine neue Partei. Im Oktober 1955 – gleich nach Wirksamwerden des österreichischen Staatsvertrags aus dem Mai 1955 – einigten sich Exponenten des zerstrittenen national-freiheitlichen „Dritten Lagers“ auf eine neue einheitliche Partei. Denn der VdU (Verband der Unabhängigen), der 14 Parlamentssitze besaß und ursprünglich als liberale Honoratiorenpartei angelegt war, wurde von den Deutschnationalen zu Tode intrigiert.

Willfried Gredler, Exponent des ÖVP-Ablegers Junge Front, brachte eine Einigung zwischen VdU und der Freiheitspartei zustande, die von Jörg Kandutsch, Emil van Tongel und dem jungen Oberösterreicher Friedrich Peter vertreten wurde. Die neue Gruppe nannte sich Freiheitliche Partei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2015)

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