Bisher haben lediglich neun Mitgliedstaaten die Aufnahme von Flüchtlingen zugesagt. Die Zahlen liegen im Promillebereich dessen, was vor einem Monat vereinbart wurde.
Wien/Brüssel. Entnervt versuchte Margaritis Schinas schönzureden, was nicht schönzureden ist. „Wie in jedem Prozess ist der Beginn der schwierigste Teil“, kalmierte der Kommissionssprecher, die Situation sei eben „sehr komplex“. Bei Betrachtung der nackten Zahlen hingegen ergibt sich ein eindeutiges Bild: Die Verteilung von 160.000 in Griechenland und Italien gestrandeten Flüchtlingen auf die übrigen Mitgliedstaaten der EU droht zum Fiasko zu werden. Bis Jahresende gibt es lediglich Zusagen für 854 Aufnahmen – das sind 0,533 Prozent des Zielwerts. Neun EU-Länder hätten sich insgesamt zu dieser Summe bereiterklärt, hieß es vonseiten der Kommission; dem Vernehmen nach sind Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Österreich, Schweden und Spanien darunter. Bisher konnten 86 Personen aus Italien tatsächlich umgesiedelt werden – 38 davon nach Schweden und 48 nach Finnland. Kommende Woche soll die Relocation Schutzsuchender mit Flugzeugen von Rom aus fortgesetzt werden. Wie viele Personen diesmal an Bord dürfen, bleibt aber im Dunkeln – ebenso wie die Frage, wann mit der Verteilung aus den völlig überfüllten Lagern in Griechenland begonnen werden kann: Dieser Prozess sei noch in Arbeit, erklärte eine Kommissionssprecherin am gestrigen Freitag. Dabei wäre Eile dringend geboten: Allein in den vergangenen Tagen kamen 48.000 Menschen auf den Inseln der Ostägäis an.
Die Verteilung Schutzbedürftiger in der EU stand von Anfang an unter keinem guten Stern: Als sich die EU-Mitgliedstaaten vor einem Monat auf die – vergleichsweise wenig ambitionierte – Zahl 160.000 einigten, gab es massiven Widerstand mehrerer osteuropäischer Länder; Ungarn, Tschechien, Rumänien und die Slowakei wurden schließlich überstimmt. Als „Teil des EU-Rechts“ müsse die Zahl von allen Ländern durchgesetzt werden, betonte Schinas. Doch der Haussegen zwischen Gegnern und Befürwortern des Plans hängt nach wie vor gehörig schief. Von einer dauerhaften Quote, wie sie die Kommission durchsetzen will, ist derzeit keine Rede mehr.
Die gleichmäßige Zuweisung der Flüchtlinge ist jedoch auch wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren der elf geplanten Hotspots an den Außengrenzen Griechenlands und Italiens, die bis Ende November entstehen sollen. Bisherige Erfahrungen mit einem Registrierungszentrum auf der Mittelmeerinsel Lampedusa zeigen, dass auch dieser Prozess alles andere als reibungslos abläuft: Die Mitarbeiter sind restlos überfordert; viele Flüchtlinge wollen ihre Fingerabdrücke nicht abgeben, sondern lieber unerkannt in Richtung Norden und in die Wunschländer Deutschland oder Schweden weiterreisen.
Der Grund für die chaotischen Zustände: Die Zusagen für personelle Unterstützung aus den EU-Mitgliedstaaten laufen bisher mehr als zäh. So wurden der EU-Grenzschutzagentur Frontex, die die nationalen Behörden vor Ort gemeinsam mit dem EU-Asylbüro Easo unterstützt, von 775 angefragten Grenzposten lediglich 291 zugesagt. Auch Easo klagt über die sehr schleppend anlaufende Hilfe: 374 Mitarbeiter würden für die elf Hotspots zusätzlich benötigt, mit 145 könne man derzeit fix rechnen. Österreich betont, bereits 100 Experten zur Entsendung gemeldet zu haben.
2,3 Mrd. zugesagt, 275 Mio. eingegangen
Doch auch in finanzieller Hinsicht müssen die Mitgliedstaaten wohl noch weit größere Anstrengungen unternehmen, als dies bisher der Fall ist. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mahnte bei einem Kongress der EVP am Donnerstag zu „verantwortlicher und dauerhafter Hilfe“. Bisher, so der Luxemburger, lägen ihm Zahlungszusagen von 2,3 Milliarden Euro aus den EU-Hauptstädten vor, von denen aber erst 275 Millionen tatsächlich eingegangen seien.
AUF EINEN BLICK
Bei der geplanten Umverteilung von insgesamt 160.000 Flüchtlingen sind von diesen erst 86 tatsächlich realisiert worden. 38 davon nach Schweden und 48 nach Finnland, sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Freitag. Neun EU-Staaten haben insgesamt 854 weitere Aufnahmen zugesagt. Angesprochen auf die niedrige Zahl sagte der Sprecher, dass „wie in jedem Prozess der Beginn der schwierigste Teil“ sei.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2015)