Toplitzsee: Das nahende Ende eines Mythos

(c) DiePresse.com (Ewald Bechtloff)
  • Drucken

Nach mehr als 60 Jahren will man dem Toplitzsee endgültig alle Nazi-Geheimnisse entreißen. Ein Amerikaner ist mit der detaillierten Vermessung des idyllischen Naturjuwels beauftragt, um das sich mehr Geschichten ranken als um Loch Ness.

Sehr viel schöner als im Ausseerland wird Österreich nicht mehr. Hohe, felsige Berge; dichte, grüne Wälder; weite, saftige Wiesen, dazwischen eiskalte klare Seen. Würden die Amerikaner in Disneyworld eine Welt für ein romantisches Alpenmärchen bauen, dann würde sie wohl so aussehen.

Die Herren, die vor mehr als 60 Jahren hier einfielen, hatten weniger Sinn für die Naturschönheiten. Die Nazis interessierte Bad Aussee in erster Linie deswegen, weil diese Gegend auch die Sackgasse Österreichs ist. Jede Straße endet an einem Berg oder in einem See – etwa jene, die von der kleinen Gemeinde Grundlsee Richtung Osten führt. In Gößl biegt man links ab, irgendwann kommt ein Fahrverbot, und wenn man das ignoriert, holpert man etwa einen Kilometer lang über einen unasphaltierten Weg an einem idyllischen Wildbach vorbei, bis man an einem See ansteht. Nicht an irgendeinem See, sondern am sagenumwobensten See Österreichs. Möglicherweise der ganzen Welt. Mehr Geschichten als um den Toplitzsee ranken sich vielleicht nur noch um Loch Ness. Aber wirklich nur vielleicht.

Schuld daran ist die schlechte Bauweise deutscher Fahrzeuge – oder Ida Weissenbacher. Jedenfalls ging in einer kalten Aprilnacht 1945 ein Lkw kaputt; ein paar SS-Soldaten weckten Weissenbacher und drei andere Bauern auf. Sie sollten ein paar Pferde holen, man habe einen „wichtigen Transport“. Also holte man die Pferde, spannte sie vor den Laster und führte sie hinein zum Toplitzsee. „Es waren unzählige Kisten“, gab Weissenbacher später über die Ereignisse zu Protokoll. „Dutzende wurden im See versenkt.“ Mehr könne sie nicht sagen, weil man sie wieder weggeschickt habe.

Ein Mythos wird geschaffen. Es reichte, um einen Mythos zu schaffen: den „Schatz vom Toplitzsee“ (Franz Antel drehte übrigens 1959 einen Film mit diesem Titel, der nur mäßig erfolgreich war). Funde in den 1950er- und 1960er-Jahren heizten die Fantasie an: Gefälschte Pfundnoten waren darunter, aufgebrochene Kisten. Dazu kamen ehemalige Nazis, die rund um den See auf mysteriöse Weise starben oder schlicht erschossen wurden.

Je nach Darstellung beherbergen die Kisten einen Teil der Goldreserven des Dritten Reichs, kiloweise Diamanten, Beutegut, eine – wohl sehr, sehr gut verschweißte – Briefmarkensammlung von Millionenwert, Nummern und Zugangscodes für Konten in der Schweiz. Denkbar sind auch die echten Hitler-Tagebücher, Gemälde des Führers, warum nicht auch die Akten, die den wahren Kennedy-Attentäter enthüllen, die Mondlandung als Fälschung entlarven und eine kurze Anleitung für den Sinn des Lebens geben?

Letzteres sind natürlich nicht einmal Gerüchte, aber vielleicht werden sie es noch. Denn über die Kisten gibt es derart wilde Geschichten, dass die Enttarnung der Mondlandung als Betrug dagegen ein Witz ist. „Was immer man sich denken kann, ist schon spekuliert worden“, meint Bernhard Schragl fast ein wenig leidend. Er ist von den Österreichischen Bundesforsten, und ihnen gehört der See. Und damit haben die ÖBF zu kämpfen: Immer wieder begeben sich Taucher illegal auf Schatzsuche und gefährden damit das einzigartige Ökosystem des Sees.

Denn wenn er sonst schon keinen Schatz beherbergt, ein Naturschatz ist der Toplitzsee auf jeden Fall. Ab 18 Metern Tiefe ist das Wasser hochgradig salzig und ohne Sauerstoff, ein einzigartiges Phänomen in Österreich. Wirbelt man diese Schichten durcheinander, gerät das ganze System ins Chaos. Deshalb hat der kommende Schatzsucher auch keine Genehmigung, einen Schatz zu heben. Er darf ihn nur finden. Oder – wenn es nach den Wünschen der Bundesforste geht – beweisen, dass es keinen gibt.

„Wir wollen ein für alle Mal mit dem Mythos aufräumen“, sagt Schragl. Deshalb genehmigten die ÖBF die bisher größte und detaillierteste Suche im knapp zwei Kilometer langen und 400 Meter breiten See. Offiziell, um den See zu vermessen und zu kartografieren. Der Amerikaner Norman Scott soll mit hochtechnischem Gerät jeden Winkel des Toplitzsees per Ultraschall abtasten – sogar ein seitliches Ultraschall wird eingesetzt, um mögliche Kanäle zu entdecken. „Am Ende haben wir einen genauestens untersuchten See“, hofft Schragl. Das Ergebnis inklusive Ultraschall- und sonstigen Bildern werde man ins Internet stellen. Was immer der See an Geheimnissen bewahrt, er wird sie hergeben müssen.

Inoffiziell geht es Scott, seiner Firma Global Explorations und einem der Geldgeber, der Filmgesellschaft Icon, aber zweifellos um den Schatz. Der Amerikaner entdeckte schon Reichtümer der Maya und begab sich vor vielen Jahren auf die Suche nach dem Bernstein-Zimmer. Zur Dokumentation hat man sich die Mitarbeit des erfolgreichen Naturfilmers Erich Pröll gesichert. Möglicherweise endet das ganze Unternehmen auch nur mit einer langen „Universum“-Sendung.


Suche noch im Juni? Wann Norman Scott mit der Untersuchung des Sees beginnt, ist offen. Vielleicht noch in diesem Monat, vielleicht erst im September (aus Rücksicht auf die Touristen dürfen im Juli und August keine Schiffe und U-Boote über und durch den See rauschen), vielleicht auch erst im kommenden Jahr.

Was soll er aber nach mehr als 60 Jahren noch finden? Selbst Nazis sind ja nicht ganz vertrottelt und haben sich doch wohl mittlerweile alle Schätze geholt, die sie dort versenkt haben.

„Es ist sicher noch etwas drinnen. Was, das weiß ist nicht, aber es ist etwas drinnen“, sagt der Syen Albrecht (hier draußen ist man dermaßen weit auf dem Land, dass die Einheimischen den Nachnamen vor dem Vornamen sagen). Syen hat seit 1975 die Fischerhütte am Toplitzsee und ist ein Experte. Was er über den Schatz nicht weiß, das wurde noch nicht einmal gedacht. Aus dem Gastgarten hat er ein kleines Museum gemacht mit diversen Relikten aus dem See: von einer Mine der Kriegsmarine-Versuchsanstalt, die sich von 1943 bis 1945 hier befand, über andere kuriose Dinge bis zu Dutzenden Zeitungsberichten.

Selbst für den Fall, dass die Amis nichts finden, hat Syen eine Erklärung parat. Der See sei eigentlich zwei: Unter dem See befinde sich ein zweiter See, getrennt durch Baumstämme, die über die Jahrzehnte ein dichtes Geflecht in 40, 50 Metern Tiefe gebildet hätten. „Und dort“, er deutet mit der Hand über den See, „hat man eine Felswand gesprengt. Da sind viele Kisten drunter, da kommt man nicht hin.“

Der Zimmermann Gabi ist das wurscht. Sie bietet Touren über den See an und findet, dass „die ganze Schatz-Sache schon etwas abgedroschen ist“. Bei fast jeder Tour frage zwar mindestens einer danach, aber die Jungen hätten davon keine Ahnung mehr. Die kämen wegen der Natur und „der Ruhe und Kraft, die das Gebiet ausstrahlt“.


Schatz in Altaussee. Ein älterer Deutscher hätte beides wirklich nötig. „Mensch, das ist ein anstrengender Weg hier rein“, schnauft er. Er sei hier, weil er einmal „den Nazi-See“ sehen wollte. „Hätt ich gewusst, dass ich so viel laufen muss, wär ich nicht gekommen.“

Möglicherweise hat der gute Mann den Fußweg ganz vergeblich gemacht. Denn in Wirklichkeit – und das hört man nur hinter vorgehaltener Hand und nicht vom Syen Albrecht – liegt der Schatz nicht im Toplitzsee, sondern im Altausseer See. In dem fand nämlich im Jahr 2001 ein Holländer das Dienstsiegel des Chefs des Reichssicherheitshauptamtes Ernst Kaltenbrunner. Und wo ein Dienstsiegel ist, da könnten ja auch die dienstlich versiegelten Goldkisten sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.