Krautreporter: Zweites Jahr, zweite Chance

(c) Erwin Wodicka
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Die deutsche Journalismusplattform Krautreporter konnte den hohen Erwartungen ihrer Mitglieder nicht standhalten. 5000 Leser glauben weiterhin daran.

Was wurde ihnen nicht alles vorgeworfen: zu wenig Relevanz, mangelnde Qualität, und das mit der Rettung des Journalismus hat auch nicht funktioniert. Die Internetplattform Krautreporter mit Sitz in Berlin hat das erste Jahr im Netz hinter sich. Es war eines mit viel Kritik und Gegenwind. „Deutschland ist eine Ingenieurgesellschaft“, sagt Geschäftsführer Sebastian Esser. „Man muss ein perfektes Produkt abliefern, andernfalls wird es als Fehlschlag betrachtet.“ Aber so funktioniere das Internet nun einmal nicht. Dort ist alles „flüssiger, schmutziger“, so Esser. Im Netz sollten Dinge ausprobiert werden dürfen. Projekte, die funktionieren, denen läuft man hinterher, andere lässt man zurück. „Das gehört dazu.“ Andernfalls erstarre man und „macht am Ende gar nichts“.

Am Anfang der Krautreporter stand die Idee von unabhängigem und werbefreiem Journalismus, den die Netzgemeinde erst einmal finanzieren musste. Mindestens 15.000 Unterstützer, die jeweils 60 Euro beisteuern sollten, waren notwendig, um das Projekt Realität werden zu lassen. Praktisch in letzter Minute gelang der Start. Auch prominente Namen wie die Rudolf-Augstein-Stiftung taten sich als Wohltäter hervor.

Fortan konnten die Krautreporter damit beginnen, den „kaputten Online-Journalismus“ zu retten, wie sie es versprachen. Die Leser freilich wussten nur vage, was auf sie zukommen würde. Im Lauf des Jahres schrieb man Geschichten über das Märchen vom Tante-Emma-Laden, das Bruttoinlandsprodukt oder beschäftigte sich mit der Frage, ob Frankreichs Schulsystem (im Zuge des Attentats auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“) versagt habe. Inhaltlich, so beschreibt es Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger von der Uni München, fehlten aber „die bahnbrechenden Idee“, die „ich so nicht erkennen konnte“. Ein Problem sei, dass keine Schwerpunkte zu bestimmten Themen gesetzt wurden. Es wäre vernünftiger gewesen, sich die „großen Herausforderungen zu suchen und dort in die Tiefe zu gehen“.

Die Leserschaft – oder ein Teil von ihr – zeigte sich dennoch begeistert. Im Lauf des ersten Jahres stieg die Zahl der Unterstützer. Bald aber folgte der erste Skandal – ausgerechnet am Weltfrauentag. Einer der Krautreporter veröffentlichte Fotos von einer Frau, die getreten wurde. Das Bild machte im Netz schnell die Runde, der Shitstorm ließ nicht lang auf sich warten. Die damals noch junge Plattform stand vor ihrer ersten echten Bewährungsprobe. Inzwischen hat sich einiges geändert. Die Redaktion ist von rund 30 auf nunmehr zehn Mitglieder geschrumpft, bekanntere Namen wie Stefan Niggemeier, Anne Philippi und Richard Gutjahr haben das Portal verlassen. Aus der gescheiterten Autorenplattform entstand eine klassische Onlineredaktion – nur eben mit Tiefgang.

Jeder kann Herausgeber werden

Für das zweite Jahr schenkten 5000 Abonnenten (im Schnitt Ende 30, hochgebildet, berufstätig, eher weiblich und international) den Krautreportern ihr Vertrauen. Die kommenden zwölf Monate sind also gesichert, auch wenn zwei Drittel der ursprünglichen Leserschaft nicht überzeugt werden konnten. Noch kann die Texte der Krautreporter jeder lesen, doch das soll sich bald ändern. Aufwendig recherchierte Artikel sollen künftig nur noch Mitgliedern zugänglich gemacht werden, sagt Esser. Bald soll das Projekt auch auf dem Prinzip Genossenschaft basieren. Auf diese Weise kann jeder zum Herausgeber werden und Strategieänderungen mitbestimmen. Das freilich gibt es nicht umsonst, sondern es bedarf einer Mindesteinlage von 250 Euro. Mit dem eingenommenen Kapital will man in Technik investieren, in Journalismus, Autoren und in Experimente.

Ob die Krautreporter langfristig überleben, diese Prognose traut sich Wissenschaftler Neuberger nicht zu. In den vergangenen Jahren kamen und gingen zahlreiche Angebote. Ein Jahr im Universum des Online-Journalismus, das sei nicht viel. Schade um die Krautreporter wäre es aber allemal, sagt er. Bei dem Projekt handle es sich um eines der ambitioniertesten und reifsten Angebote in diesem Bereich. Auch wenn man am Anfang zu viel auf einmal wollte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2015)

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