Ein Zaun, der nicht Zaun genannt werden darf

Ohne Grenzen wird es nicht gehen, wenn Migration in Maßen statt in Massen stattfinden soll. Wobei die EU im Großen das tut, was wir im Kleinen machen.

Paul Collier, der britische Ökonom und Migrationsforscher, ein Mann, der sich im Gegensatz zu Journalisten und Politikern wirklich auskennt, breitet in seinem Buch „Exodus“ die These aus, dass Zuwanderung in Maßen ein Gewinn ist – auch für die aufnehmende Gesellschaft. Zuwanderung in Massen hingegen sei ein Problem, da Vertrauen verloren ginge. Und Vertrauen sei jener Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhalte.

Nun kann man mit Recht einwenden, dass es sich bei den Flüchtlingen derzeit um keine Zuwanderer im klassischen Sinn handelt. Allerdings: Aus Refugees, zumindest jenen, die hier bleiben, werden eines Tages Migranten werden. Auch im Sprachgebrauch.

Und dass viele der Flüchtlinge bleiben werden, davon ist auszugehen. Einerseits der Macht der Gewohnheit wegen, andererseits, weil etwa der Krieg in Syrien so rasch nicht enden wird. Und da gilt es, das zu verhindern, was laut Paul Collier das Vertrauen unterminiert: abgeschottete Zuwanderergemeinden, die weitere Zuwanderer anziehen, deren Mitglieder zu wenig in der Gesamtgesellschaft aufgehen.

So weit sind wird jedoch noch nicht. Im Moment ist Europa damit beschäftigt, den Flüchtlingsandrang an sich zu bewältigen. Und auch hier zeigt sich: Bestehende Communitys ziehen weitere Flüchtlinge an. Deswegen wollen alle nach Deutschland. Nicht nur der beruflichen Möglichkeiten und des Sozialsystems wegen – denn dann könnten sie auch in Österreich bleiben –, sondern, weil sie dort bereits Bekannte oder Verwandte haben.

Und Österreich tut das, was auch die Balkanländer machen: Es schickt die Flüchtlinge weiter. Zu den Bayern. Und diese werden – zu Recht – immer ungehaltener. Deftig formuliert es der bayrische Innenminister, Joachim Herrmann: „Die Republik Österreich ist jetzt selbst als Schlepper tätig.“ Aber auch dem besonneneren gesamtdeutschen Innenminister, Thomas de Maiziere, reißt der Geduldsfaden: „Wir haben zu beanstanden, dass Flüchtlinge ohne jede Vorwarnung nach Eintritt der Dunkelheit an bestimmte Stellen gefahren worden sind und dort unvorbereitet und ohne jede Vorsorge an die deutsche Grenze gekommen sind.“

Bei all der Problematik, die man selbst an der Grenze bei Spielfeld zu bewältigen hat: Österreich ist vom Wohlwollen der Deutschen abhängig. Machen die Deutschen ihre Grenzen dicht, dann läge es an Österreich, die Flüchtlinge aufzunehmen. Die Einladung Angela Merkels würde also bei uns enden.

Weswegen in Wien nun fürs Erste eine halbherzige Maßnahme angedacht ist: ein Zaun, der nicht Zaun genannt werden darf. Auch weil er nicht allzu lang sein wird. Der in der Hoffnung errichtet werden soll, dass die Slowenen aus Angst, sie könnten dann übrig bleiben, noch schneller einen Zaun an ihrer Grenze errichten. Einen richtigen.

Österreich versucht, die Verantwortung an beide Seiten abzugeben – an Deutschland und an Slowenien. Das mag realpolitisch durchaus richtig sein, nur sollte man sich dann nicht unbedingt als Humanitätsweltmeister feiern. Wir sollten uns als das sehen, was wir sind: Schlawiner.

Dennoch werden wir auch über Zäune – oder wie immer man das dann nennt – reden müssen. Denn hier wären wir wieder bei der Frage des Vertrauens. Ein Staat, der keine Grenzen mehr kennt, der unkontrolliert Massen an Menschen passieren lässt (auch wenn diese nach Deutschland weiterziehen), wird das Vertrauen seiner Staatsbürger verlieren.

Wobei auch das leichter gesagt als getan ist, wenn man die Verhältnismäßigkeit wahren will. Flüchtlinge mit Waffengewalt an der Grenze abzuhalten, kann niemand wollen. Also verlagern wir das Problem lieber an die Außengrenzen der Europäischen Union.

Und so tut die EU im Großen das, was Österreich im Kleinen macht: Sie macht einen auf Schlawiner. Bezahlt die Türkei dafür, dass sie die Flüchtlinge so lang wie möglich im Land behält. Und hofft, dass die Griechen die Registrierungen an den Hotspots hinbekommen.

Eine bessere Lösung – das muss man ehrlicherweise hinzufügen – gibt es vorläufig allerdings nicht.

E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.