Ceyda Karan: "Präsident Erdoğan ist wie ein Sultan"

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Der Journalistin Ceyda Karan drohen viereinhalb Jahre Haft wegen des Abdrucks einer Mohammed-Karikatur von "Charlie Hebdo". Sie berichtet, wie die türkische Regierung immer massiver gegen kritische Medienvertreter vorgeht.

Die Presse:In der Türkei wird der Druck auf Journalisten stärker. Auch Sie persönlich sehen sich einem Gerichtsverfahren gegenüber, wegen des Abdrucks einer Mohammed-Karikatur von „Charlie Hebdo“.

Ceyda Karan: Das ist ein rein politischer Fall. Die Staatsanwaltschaft will eine Strafe von viereinhalb Jahren Gefängnis für meinen Kollegen Hikmet Çetinkaya und mich. Weil wir in unseren Kolumnen in der Zeitung „Cumhuriyet“ die Karikatur abgedruckt haben, die die Satirezeitung „Charlie Hebdo“ nach den Anschlägen auf ihre Redaktion veröffentlicht hat. In einem Land mit Scharia-Gesetzen könnte man vielleicht argumentieren, dass es verboten sei, jegliche Abbildung des Propheten Mohammed zu zeigen. Aber wir haben keine solchen Gesetze. Die Türkei ist nach wie vor ein säkulares Land mit säkularen Gesetzen. Deshalb werfen sie uns die Verbreitung von öffentlichem Hass vor. Aber wenn man diese Karikatur anschaut, so ist kein Hass in ihr: Man sieht einen Mann, der sagt: „Alles ist vergeben.“ Es ist nichts Beleidigendes in dieser Zeichnung – ganz im Gegenteil.

Wenn Sie die Arbeitsbedingungen für Journalisten in der Türkei in den vergangenen zehn Jahren betrachten: Was hat sich im Vergleich zu früher verändert?

In der Türkei war das Verhältnis von Journalisten zu den Personen, die das Land regieren, immer schwierig. In den 1990er-Jahren standen vor allem kurdische und linksgerichtete Medien unter massivem Druck. In den Mainstream-Medien gab es zwar auch Selbstzensur. Aber man konnte innerhalb der Mainstream-Medien die Regierung kritisieren. Es erschienen Artikel über Korruption, deretwegen Minister zurücktreten mussten. Heute ist das nicht mehr so. Die sogenannten moderaten Islamisten haben das gesamte Umfeld der türkischen Medien verändert. Die meisten Mainstream-Medien kritisieren nichts an den Handlungen der Regierung. Sie sind de facto ihre PR-Agenturen. Jeder befolgt die Befehle des Präsidenten. Das betrifft etwa 70 Prozent der Medien. Der Rest, der das nicht tut, muss unter sehr schwierigen Bedingungen arbeiten.

Wie sehen die aus?

Sie verfolgen uns wegen unserer Kritik. Sie verklagen uns und bedrohen uns. Es gibt Staatsanwälte, deren Aufgabe es ist, den Präsidenten vor jeglicher Kritik zu schützen. Es geht dabei nicht nur um Beleidigungen gegen den Präsidenten. Es reicht ganz normale Kritik, um verfolgt zu werden. Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist wie ein Sultan, und er ist unberührbar geworden.

Aber Erdoğan brachte doch auch wichtige Reformen auf den Weg. Nachdem Erdoğans Partei AKP Anfang der 2000er-Jahre die Macht übernommen hatte, sah es zunächst so aus, als würde es nun mehr Freiheit geben als zuvor.

Es hat einfach Zeit gebraucht, bis sie genug Macht hatten. Anfangs nutzten sie den Reformprozess und auch den EU-Beitrittsprozess, um stärker zu werden. Mein weiß, dass man in einer Demokratie irgendwann die Macht verlieren wird. Das ist eine normale Sache. Politiker kommen an die Macht, aber irgendwann werden sie dann abgewählt. Doch das läuft der AKP-Mentalität zuwider: Sie will anscheinend für immer an der Macht bleiben. Wir Türken sind großteils Muslime. Aber es gibt unter uns eine Vielfalt. Die AKP will jedoch, dass jeder ihr Verständnis des Islam teilt, eines politischen Islam als Ideologie. Die AKP hat eine panislamische und ottomanische Ideologie und will, dass sich auch alle anderen danach richten. Deshalb haben wir ein Problem.

Sie haben zahlreiche Drohungen erhalten. Fürchten Sie um Ihre Sicherheit?

Natürlich. Seit der „Charlie Hebdo“-Sache bekomme ich Personenschutz durch Istanbuls Polizei. Wir werden in den sozialen Medien bedroht. Als Journalist in der Türkei rechnest du jeder Zeit damit, dass etwas passiert. Ahmet Hakan, der für „Hürriyet“ und CNN Türk arbeitet, wurde überfallen und verprügelt. Bülent Keneş, Chefredakteur von „Today's Zaman“, einer der führenden englischsprachigen Zeitungen, wurde verhaftet, nur weil er Erdoğan auf Twitter kritisiert hat. Keneş drohen nun mehrere Jahre Gefängnis, und er darf das Land nicht verlassen. Drei der vier Leute, die den Journalisten Hakan verprügelt haben, wurden wieder freigelassen und dürfen sich ohne Auflagen frei bewegen.

ZUR PERSON

Ceyda Karan ist Kolumnistin der linksliberalen türkischen Zeitung „Cumhuriyet“. Zuvor hat sie für die Fernsehstation Habertürk tv und die Zeitung „Radikal“ gearbeitet. Vor Kurzem war sie auf Einladung des Österreichischen Presserates zu Gast in Wien. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2015)

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