Ostukraine: Das neue Tor ins Separatistengebiet

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Dank Feuerpause öffnete ein neuer Grenzübergang - eine Erleichterung für die Bevölkerung. Auch Hilfstransporte nach Luhansk dürften wieder anlaufen.

Sewerodonezk. Der seit Anfang September geltende Waffenstillstand trägt allmählich Früchte für die Bevölkerung im ostukrainischen Konfliktgebiet. Erstmals seit Anfang Juni konnten Fußgänger am Dienstag die Frontlinie, die entlang des Flusses Siwerskij Donez verläuft, über einen instand gesetzten Steg kreuzen. Für das Gebiet Luhansk, gespalten zwischen Separatisten und Regierungstruppen, ist dies die Wiederherstellung einer direkten „Verkehrsverbindung“.

Bis zu 300 Menschen standen am Dienstag bei Staniza Luhanska auf beiden Seiten Schlange. Viele hatten seit Monaten ihre Verwandten auf der anderen Seite nicht gesehen; andere waren von ihrem Arbeitsplatz abgeschnitten gewesen. Die Wiedereröffnung war nach Verhandlungen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Minsk sowie einer Reparatur möglich geworden. Die Passage ist nur zu Fuß möglich, nachdem die Autobrücke im Jänner zerstört worden ist. Bis Dienstag war die Fahrt zum oder vom abtrünnigen Gebiet im äußersten Osten – der selbst ernannten Luhansker Volksrepublik – nur nach einer großräumigen Umfahrung möglich gewesen, die einen Tag in Anspruch nehmen konnte.

Die ukrainischen Behörden haben die Passierstelle zum offiziellen Übergang ausgebaut, mit Zoll und Grenzpolizei. Über den Sommer habe sich „großer sozialer Druck“ angehäuft, sagt die Vizegouverneurin für soziale Fragen, Olga Lischik, zur „Presse“. „Viele Familien waren getrennt.“ Der ukrainische Gouverneurssitz, einst in Luhansk, ist heute im Exil in Sewerodonezk, einem schmucklosen Arbeiterstädtchen 85 km nordwestlich. Wie zur Bekräftigung prangt auf dem Sitz der Gebietsverwaltung, einem fahlen Ziegelbau aus den 1960ern, eine riesige ukrainische Flagge.

Bald neue Passagen?

Die Behörden hoffen, dass noch im November zwei weitere Passagen eröffnet werden können. Die derzeit geschlossenen Checkpoints in Solotoje und Nowotoschiwske sollen für Pkw- und Lkw-Verkehr geöffnet werden. Die fehlenden Verkehrskorridore erschweren nicht nur die Lebensmittelversorgung, sondern auch Hilfstransporte. Das Welternährungsprogramm der UN hofft, in Kürze Hilfslieferungen per Zug nach Luhansk aufnehmen zu können, nachdem diese seit Juli durch die Lokalbehörden verunmöglicht worden sind. Auch die NGO Mercy Corps wird bald am Übergang Staniza Luhanska Lebensmittelpakete ausgeben.

230.000 Inlandsflüchtlinge leben im ukrainisch kontrollierten Luhansker Gebiet, in Sewerodonezk müssen sie in überfüllten Wohnheimen unterkommen oder für teures Geld Wohnungen mieten. Die Mieten in dem Städtchen haben angezogen; auch die Präsenz internationaler Organisationen trägt dazu bei. Die humanitäre Lage im Luhansker Gebiet sei schwierig, schildert Lischik.

Auch vom Volk ist Skepsis gegenüber den Kiewer Behörden zu spüren. Manche nennen Sewerodonezk halb im Scherz, halb im Ernst „Separodonezk“. Als die Armee im Juli die Stadt von prorussischen Kämpfern zurückeroberte habe, sei die Stimmung meist antiukrainisch gewesen, sagt sie. Mittlerweile habe sich das Blatt gewendet: „70 Prozent sind proukrainisch.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2015)

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