"App-Hersteller wollen uns gezielt abhängig machen"

Herr Markowetz
Herr MarkowetzUni Bonn, Barbara Frommann
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Wir schauen täglich 2,5 Stunden auf den Smartphone-Bildschirm. Dabei laufen wir zum Großteil "auf Autopilot", erklärt Informatiker und Buchautor Alexander Markowetz im "Presse"-Interview.

Die Presse: Wieso sind Sie als Informatikprofessor eigentlich auf das Thema Smartphone-Konsum gekommen?

Alexander Markowetz: Die Antwort ist natürlich beschämend: Mein eigenes völlig unverantwortliches Smartphone-Verhalten. Als Informatikstudent sitzt man ja täglich 12 Stunden mit seinem Laptop da und macht irgendetwas, das natürlich nicht immer mit dem Studium zu tun hat. Dann beginnt man darüber zu reflektieren, warum das sinnvoll sein soll, wenn es einen eigentlich nicht glücklich macht. Bei meiner Studie habe ich dann 300.000 Daten von App-Nutzern ausgewertet, mit dem Ergebnis, dass wir im Schnitt 2,5 Stunden am Handy verbringen. Da kann man jetzt natürlich argumentieren, wir machen ganz viele Dinge, die wir im echten Leben machen, zum Beispiel Bahntickets kaufen ...

… Es gibt ja auch noch Dinge wie Musikhören und Interviews aufnehmen.

Wir reden jetzt nur von direkter Interaktion mit dem Bildschirm. Da zählt Musikhören gar nicht dazu. Was wir jedenfalls nicht mit dem Handy machen, ist telefonieren. Da liegt der Schnitt bei sieben Minuten täglich. Diese Kisten sind keine Telefone mehr, es sind Online-Computer, in die Sie stundenlang reinschauen: auf WhatsApp, Facebook und Spiele, dann kommen noch Multimediakanäle wie Youtube und Newsapps. In der Studie gibt es dann noch eine Kategorie mit sonstigen Anwendungen, die in Summe keine zehn Prozent ausmachen: da sind dann nützliche Dinge wie Bahn und Online-Banking gelandet. Wir Deutsche – und wohl auch wir Österreicher – betrügen uns selbst, indem wir sagen, wir benützen das Smartphone nur aus rationalen Gründen. Das stimmt nicht: In Wirklichkeit laufen wir zum Großteil auf Autopilot.

Aber Dinge die uns stundenlang ablenken hat es doch immer schon gegeben: Fernsehen, den Game Boy oder Zeitschriften zum Beispiel. Das Smartphone vereint viele dieser Dinge in sich.

Ich kann natürlich auch zweieinhalb Stunden nicht zum Bruttosozialprodukt beitragen, indem ich einen Spaziergang mache oder in die Bibliothek gehe. Es geht mir auch nicht darum, über den Sinn oder Unsinn einer Anwendung zu entscheiden. Es geht mir vielmehr um die Frequenz. Denn wie unsere Studie zeigt, entsperrt der Durchschnittsuser sein Handy 53 Mal am Tag. Bei acht Stunden Schlaf bedeutet das im Schnitt alle 18 Minuten eine Unterbrechung. Hinzu kommen noch Unterbrechungen durch Kollegen oder durch den Laptop, der Tag wird durch selbstauferlegtes ständiges Multitasking komplett fragmentiert. Aber der Mensch ist nicht beliebig disponierbar. Er kann nicht alle zwei Minuten über ein anderes Problem nachdenken. Es ist in etwa so, wie bei alten Computern, mit denen man versucht hat, mehrere Programme gleichzeitig zu laden. Die Produktivität wird zerstört.

Zur Person

Alexander Markowetz ist Juniorprofessor für Informatik ander Universität Bonn. Im Oktober ist sein Buch "Digitaler Burnout" erschienen. Markowetz entwickelte mit Kollegen die App "Menthal", die unseren Smartphone-Konsum misst. Sie wurde bereits mehr als 300.000 Mal heruntergeladen. Den Daten zufolge aktivieren wir 88 Mal täglich unser Smartphone, 53 entsperren wir es. (>>> mehr dazu)

Markowetz war vergangene Woche in Wien zu Gast bei der Veranstaltung "Zukunft:Jetzt!" der Boston Consulting Group.

Wie können wir das ändern?

Wir brauchen groß angelegte Kampagnen, wie bei Mülltrennung, Rauchen oder Ernährung. Wir haben viel Erziehungsarbeit zu leisten. Zehn Prozent der Leute werden sich dann darüber identifizieren und ihre digitale Diät strikt einhalten. Aber nach unten hin werden wir 40 Prozent verlieren, die durch ihren exzessiven Smartphonekonsum für eine Wissenschaftsgesellschaft nicht mehr verwertbar sein werden.

Sind die Handyhersteller daran Schuld?

Nein, es sind die App-Hersteller, die unsere Aufmerksamkeit wollen, sie wollen uns gezielt abhängig machen. Der Handyhersteller möchte einfach nur, dass die Kunden jedes Jahr 750 Euro auf den Tisch legen. Aber da Handys mittlerweile technisch ziemlich gut sind, stellt sich bald die Frage, warum man sich ein neues kaufen soll. Ich denke, die Hersteller werden daher beginnen, kognitiv ergonomische Handys bauen, also Smartphones, die mir helfen, meine zeitlichen Ressourcen zu schonen. Und ich werde dann sagen: "Als Wissensarbeiter ist es mir Wert, dafür 1500 Euro zu zahlen."

Wie könnte so etwas technisch funktionieren?

Was das Handy so verlockend macht, ist die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung. Wenn ich ein Katzenvideo öffne, sehe ich sofort das Ergebnis. Genauso ist es, wenn ich mir im Lokal eine Zigarette anzünde. Wenn ich zum Rauchen vor die Tür gehen muss und mir Jacke und Schuhe anziehen muss, überlege ich mir das genauer. Wenn mein Handy jetzt Youtube erst nach zwei Minuten lädt, werde ich auch darüber nachdenken, ob ich das Katzenvideo anschaue.

Sind auch Handyverbote, wie es sie etwa in Schulen gibt, eine Lösung?

Ja. Ich hatte zwar nie Geld, aber reiche Freunde, mit denen ich mich in Hong Kong in Yacht-Klubs herumgetrieben habe: Dort gibt es dann eine kleine Terrasse, auf der man Handys benutzen darf. Der Rest ist ein selbstauferlegte handyfreie Zone. Nicht, weil sich diese Personen gängeln wollen, sie wollen einfach ihre Ruhe haben. Die machen das freiwillig. Es geht mir aber nicht um totale Abstinenz. Es geht darum, dass wir diese Kisten geschaffen haben und lernen müssen, damit umzugehen. Es ist allerdings schwieriger, mein Verhalten um 30 Prozent zu reduzieren als ein Totalverzicht. Wir müssen uns so austricksen, damit wir, wenn wir auf Autopilot schalten, das Richtige tun.

Bei einer Freundin darf das Handy nicht ins Schlafzimmer. Meinen Sie so etwas?

Ja – das mit dem Schlafzimmer ist schon einmal sehr gut. Wichtig ist, das Handy nicht als Wecker zu benützen. Denn sonst habe ich schon eine Viertelstunde geklickt, bevor ich überhaupt wach bin. Eine weitere Regel, die bei allen Diäten gilt: Friss nicht auf der Couch. Wenn sie im Dämmerzustand auf der Couch liege und ich Ihnen zwei Packungen Chips gebe, wird dasselbe dabei herauskommen, wie wenn Sie zwei Stunden mit dem Handy auf der Couch liegen. Ein weiterer Trick: Sie geben das Handy unterwegs in den Rucksack, damit es schwieriger zu erreichen ist.

Das klingt jetzt alles ziemlich simpel.

Weil wir noch am Anfang sind. In fünf Jahren werden wir über viel ausgefeiltere Kommunikationsdiäten reden, ähnlich wie beim Essen. Auch bei der Kommunikationsetikette stehen wir wieder ganz am Anfang: Früher, im Dorf, wusste man: Nach 20 Uhr oder am Sonntag ruft man nicht an, weil da wollen die Leute ihre Ruhe haben. Aber heute? Wenn ich Ihnen um drei  Uhr in der Nacht eine WhatsApp schreibe, ist das völlig Okay. Ob die Nachricht wichtig ist, weiß der Empfänger dann erst, wenn er sie gelesen hat. Hier kann man ganz gut erkennen, was ein Mangel an kulturellen Regeln bewirken kann: Sie müssen permanent alle Kanälen checken, damit sie nichts verpassen. Und das Schlimmste überhaupt ist ein Maturaklassen-Gruppenchat. Ein Gruppenchat ist wie Crack für Ihr Gehirn. Ein einziger Gruppenchat – und Sie können die Produktivität vergessen.

Aber was kann man als einzelner dagegen tun?

Auch im kleinen Kreis kann man etwas ändern, immerhin findet der Großteil unserer Kommunikation mit fünf Personen statt. Das Extrembeispiel: Zwei 14-jährige beste Freundinnen: Wenn die einmal am Tag zwei Stunden telefonieren ist das besser, als wenn sie sich im selben Zeitraum über den ganzen Tag über WhatsApp-Nachrichten schicken und so ihren Tagesablauf komplett zerstückeln.

Aber wie bringt man den Mädchen bei, dass Telefonieren besser ist als WhatsApp?

Das ist sehr schwierig, weil auch Erwachsene keine Strategie haben. Wir müssen Ihnen was beibringen, was wir nicht einmal beherrschen. Wenn man wissen will, was man in der Schule nicht gelernt hat, muss man nur ins Selbsthilfe-Regal schauen: Da finden Sie nicht Buchtitel wie „Mehr Erfolg durch schnelleres Klicken“, sondern „Simplify your Life“ oder ähnliches.

Weil es einen Wandel von Informationsmangel zu Informationsüberfluss gegeben hat.

Genau. Und es reicht heute auch nicht mehr, zwischen guter und schlechter Information zu unterscheiden. Es gibt auch viel zu viel gute Information. Alleine die Videotheken von ZDF und Arte haben täglich mehr neue Filme, als sie anschauen können. Hinzu kommt: Nehmen Sie ihrem Kind das Smartphone weg, nehmen sie ihm den Schulhof. Das ist der sozial Tod. Man kann die Kinder aber auch nicht ungebremst loslassen. Doch wenn die Mitschüler WhatsApp-Partys bis in die Puppen feiern, wird es schwierig sein, dem eigenen Kind das Smartphone um 20 Uhr wegzunehmen. Daher sollten Eltern im Klassenverband verbindliche Regeln schaffen.

Und was können Unternehmen tun, damit die Mitarbeiter nicht im digitalen Burnout landen?

Viele haben das Problem erkannt und reagiert, es fehlt ihnen aber an Lösungen. Zunächst kann man den Arbeitsablauf nicht komplett liberalisieren. Da entlässt man die Angestellten in die Anarchie und Selbstausbeutung. Netflix hat zum Beispiel den Urlaub liberalisiert, was dazu geführt hat, dass Leute einfach keinen Urlaub mehr genommen haben. Man hat das nach einem Jahr wieder rückgängig gemacht. Andere Firmen, haben harte Regeln eingeführt, zum Beispiel keine Mails nach 20 Uhr. Aber an dem Problem der häufigen Unterbrechungen führt das vorbei. Und, wenn jemand an Burnout leidet, liegt das fast nie am Unternehmen allein, wie es vielleicht im Industriezeitalter der Fall war. Es liegt an der Gesamtbelastung: Wir haben jetzt in 300.000 Handys hineingeschaut und der Großteil des Nutzens ist privat. Ein Konzern könnte den Geschäftsbetrieb einstellen und es gebe immer noch Burnouts.

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