Die dunklen Schatten verdrängter Traumata

Vorsichtig angesprochen und bearbeitet wird auch der lange Zeit verschwiegene Schmerz begreifbar.

Am 8. Mai 1945 war der Zweite Weltkrieg zu Ende – offiziell. Einige Jahre lang brodelte die Gewalt aber noch weiter. Die zahllosen Kriegstraumata jedoch – oft verdrängt und scheinbar vergessen – wirken bis heute nach.

Als Enkel der Kriegsgeneration war ich lang der Ansicht, der Krieg sei eine Sache der Vergangenheit. Später habe ich entdeckt, dass auch mein Leben von diesen Traumata geprägt ist – als ich begann, dem Schicksal meines Großvaters nachzuspüren, von dem ich nur gewusst hatte, dass er aus jugoslawischer Kriegsgefangenschaft nicht mehr heimgekehrt war.

Bei meiner Suche stieß ich auf die unsägliche Kriegs- und Nachkriegsgeschichte in Jugoslawien, auch jene der Kriegsgefangenen. Bis Ende 1948 waren die meisten von ihnen entweder verstorben oder in die Heimat entlassen worden. Etwa 1200 waren jedoch noch im Land und wurden 1949 im Lager Vršac systematisch unter Folter zu Geständnissen gezwungen. Die jugoslawische Regierung brauchte Kriegsverbrecher als „Verhandlungsmasse“ für die Beziehungen mit Deutschland.

Ende 1949 wurden die überlebenden Verurteilten ins Staatsgefängnis Sremska Mitrovica gebracht. Eine Gruppe österreichischer Offiziere legte Berufung ein. Daraufhin wurden ihre Gefängnisstrafen in Todesurteile umgewandelt, die rasch vollstreckt wurden. Doch wissen wir von diesen Ereignissen noch sehr wenig.

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Auch Judas, der Verräter, der ihn auslieferte, kannte den Ort, weil Jesus dort oft mit seinen Jüngern zusammengekommen war.
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Joh 18,2

Gefangennahme, Verhör, Folter, Verurteilung zum Tode, Hinrichtung. So könnte man auch den letzten Lebensabschnitt des Jesus von Nazaret zusammenfassen. Seine Freunde beließen es nicht dabei. Nach seinem Tod recherchierten und rekonstruierten sie das Schicksal ihres Freundes, um es in den Evangelien zu verewigen.

Sie beantworteten auch die drängende Frage, wie Jesus so leicht gefangen genommen werden konnte. Die jüdisch-christliche Tradition ist seit jeher von der intensiven Auseinandersetzung mit Traumata gekennzeichnet. Wie sich das entstehende Judentum in der hebräischen Bibel mit der Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier auseinandersetzte, so maß das Christentum dem gewaltsamen Tod seines Messias größte Bedeutung zu.

Die Zuversicht und Energie dafür, den schmerzlichen Seiten des Lebens gegenüberzutreten, gewannen beide aus einer Perspektive, die menschliche Ängste überwinden konnte: das Empfinden, dass Gemeinschaft über den Tod hinaus bestehen bleibt und Heilung möglich ist.

Verdrängte Traumata wirken wie dunkle Schatten. Über Generationen hinweg verwandeln sie sich von Unaussprechlichem zu Undenkbarem. Doch vorsichtig angesprochen und bearbeitet, werden sie begreifbar.

Es geht nicht nur darum, aus der Geschichte zu lernen. Für viele Menschen in posttraumatischen Gesellschaften – wie der österreichischen – geht es darum, von jahrzehntelang unbewusstem, verschwiegenem Schmerz befreit zu werden.

Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentliches Rundschreiben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskräfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt.

Emails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2015)

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