Flug 9268: Aus dem Urlaub in den Tod

MOSCOW RUSSIA OCTOBER 31 2015 The Russian airline Kogalymavia Airbus A321 with a tail number of
MOSCOW RUSSIA OCTOBER 31 2015 The Russian airline Kogalymavia Airbus A321 with a tail number of(c) imago/ITAR-TASS (imago stock&people)
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224 Menschen starben beim Absturz eines russischen Ferienfliegers über dem Sinai. Der IS will dafür verantwortlich sein, doch die Behörden sind skeptisch.

Den ägyptischen Rettern bot sich ein Bild des Grauens. „Ich sehe nun die tragische Szene. Zahlreiche Tote liegen auf dem Boden, und viele starben angeschnallt in ihren Sitzen“, berichtete ein Offizier per Telefon von der Absturzstelle der Agentur Reuters. „Das Flugzeug ist in zwei Teile zerbrochen, der hintere mit dem Leitwerk brennt, der vordere ist in einen Felsen gerammt.“

Gut 20 Minuten nach dem Start im ägyptischen Badeort Sharm el-Sheikh war die russische Urlaubsmaschine am Samstagmorgen im Norden des Sinai abgestürzt. Nach Angaben der Rettungstrupps an der bergigen Unglücksstelle überlebte keiner der 224 Passagiere, darunter 17 Kinder und sieben Besatzungsmitglieder.

Am Nachmittag behauptete die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Internet in einem Bekennerschreiben, „die Soldaten des Kalifats“ hätten das Flugzeug über dem Sinai abgeschossen. Parallel dazu tauchte auf YouTube ein mysteriöses Video auf, auf dem – unterlegt von koranischen Gesängen – der Abschuss eines großen Flugzeugs zu sehen ist, das, gehüllt in eine schwarze Rauchfahne, zu Boden rast. In der Absturzregion tobt seit zwei Jahren ein unerbittlicher Krieg zwischen der ägyptischen Armee und Jihadisten der „Provinz Sinai“, die sich als eine Filiale des IS verstehen.

Um Notlandung gebeten. Die russische Nachrichtenagentur Interfax dagegen hatte zuvor berichtet, der Pilot habe der Flugsicherung ein technisches Problem gemeldet und um Erlaubnis gebeten, auf dem nächstliegenden Flughafen notzulanden. Danach sei die Funkverbindung abgebrochen. Nach Informationen der Website FlightRadar24 verlor die Maschine sehr plötzlich an Geschwindigkeit und stürzte innerhalb von Minuten aus ihrer Reiseflughöhe von 9450 Metern zu Boden. Zum Zeitpunkt des Unglücks herrschte über dem Sinai gutes Wetter. Nach Angaben der Behörden in Kairo konnten die beiden Flugschreiber geborgen werden.

REUTERS

In Russland erklärte Wladimir Putin den Sonntag zum Staatstrauertag und schickte eine Sondermaschine mit eigenen Bergungskräften zur Absturzstelle. Nach Auskunft des Kremls richtete Russlands Präsident einen Krisenstab ein. Er ordnete an, eine eigene Kommission solle den Grund der Katastrophe ermitteln. Nach Informationen der ägyptischen Sicherheitskräfte gibt es entgegen dem IS-Bekennerschreiben bisher keine Indizien für einen Terrorangriff. Alle Spekulationen zur Unglücksursache seien verfrüht, erklärte Ägyptens Minister für Zivilluftfahrt. Auch der russische Verkehrsminister, Maxim Sokolow, äußerte sich skeptisch über die IS-Behauptung. Die letzte Flugzeugkatastrophe in Ägypten ereignete sich 2004, als eine Chartermaschine der einheimischen Gesellschaft Flash Airlines kurz nach dem Start in Sharm el-Sheikh in das Rote Meer stürzte. Alle 148 Menschen an Bord starben.

Sitz in Sibirien. Der 18 Jahre alte Airbus A321 gehörte der kleinen russischen Fluggesellschaft Kogalymavia, die auch unter den Namen Kolavia und Metrojet firmiert und ihren Sitz in der sibirischen Stadt Tjumen hat. Der Urlaubsflieger war kurz vor sechs Uhr Ortszeit in Richtung St.Petersburg gestartet und sollte mittags auf dem Flughafen Pulkowo landen.

Nach einem Überblick des ägyptischen Tourismusministeriums besuchten im vergangenen Jahr 2014 etwa drei Millionen Russen Ägypten – die größte Gruppe unter den ausländischen Feriengästen. Reisebüros locken mit günstigen Pauschalangeboten und dem guten politischen Verhältnis zwischen Kairo und Moskau. Da westliche Touristen wegen mehrerer Terroranschläge und der derzeitigen autoritären Regierung das Land meiden, sind russische Kunden für die ägyptische Ferienbranche inzwischen von zentraler Bedeutung.

APA

Während Strände und Feriengebiete im Süden des Sinai gut gesichert sind, verüben im Norden der Halbinsel Gotteskrieger, die zum Islamischen Staat zählen, nahezu täglich schwere Anschläge auf Polizisten und Soldaten. Erst kürzlich nach Beginn der russischen Luftangriffe in Syrien riefen IS-Kämpfer alle Muslime auf, in den Heiligen Krieg gegen Russland und die USA zu ziehen. Auch der Chef der al-Nusra-Front in Syrien, die dem Terrornetzwerk al-Qaida nahesteht, drohte Moskau mit harten Konsequenzen. „Wenn die russische Armee die Leute in Syrien tötet, dann töten wir ihre Leute“, erklärte Abu Mohamed al-Jolani in einem Aufruf an verbündete Jihadisten im Kaukasus.

In der Unruheregion Nordsinai herrscht seit Oktober 2014 Kriegsrecht mit nächtlicher Ausgangssperre. Am Samstag verweigerten die ägyptischen Sicherheitsbehörden Journalisten den Zugang zur Absturzstelle mit der Begründung, man könne wegen der Präsenz von Terroristen in dem Gebiet nicht für ihre Sicherheit garantieren. Ausländer dürfen den Nordsinai, der zum militärischen Sperrgebiet erklärt wurde, seit dem Frühjahr 2012 nicht mehr betreten.

Experten schätzen die Zahl der IS-Kämpfer auf dem Sinai auf 700 bis 1000, die meisten stammen aus Ägypten, zunehmend sickern aber auch ausländische Kämpfer aus Syrien, dem Irak sowie Afghanistan ein, die das Know-how für schwere Attentate haben. Die Extremisten verfügen über schultergestützte Boden-Luft-Raketen, vermutlich aus libyschen Beständen, mit denen sie vor zwei Jahren einen ägyptischen Militärhubschrauber mit fünf Soldaten an Bord abschossen.

Diese Waffen der Extremisten können jedoch Flugzeugen nur gefährlich werden, die sich im Anflug befinden oder kurz nach dem Start noch nicht ihre Reiseflughöhe erreicht haben. Im Oktober 2013 strich die niederländische KLM-Chartertochter Transavia für einige Wochen Sharm el-Sheikh aus den Flugplan, nachdem bei der Fluggesellschaft eine Raketendrohung aus dem Sinai eingegangen war.

Fakten

Der Absturz des russischen Urlaubsfliegers ist eine der schwersten Flugzeugkatastrophen der jüngsten Zeit. Bei fünf weiteren Unglücken kamen in den vergangenen zwei Jahren mehr als 100 Menschen ums Leben.

Dazu zählen der Absturz der Germanwings-Maschine im März mit 150 Opfern sowie der Absturz des Malaysia-Airlines-Fliegers über der Ostukraine mit 298 Insassen, ebenso der Malaysia-Airlines-Flug auf dem Weg nach Peking, der mit 239 Menschen an Bord verschwand.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.11.2015)

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