Technischer Defekt oder Anschlag? Experten suchen nach Grund für das Unglück am Sinai. Berichte über erbetene Notlandung des russischen Fliegers wurden dementiert.
Kairo. Experten aus Ägypten und Russland sowie vom Flugzeughersteller Airbus haben am Sonntag an der Absturzstelle der russischen Chartermaschine im Nordsinai begonnen, die Ursachen der Katastrophe zu ermitteln. Bergungskräfte suchten im Trümmergebiet weiter nach Leichen. 163 Tote, darunter ein dreijähriges Kind, das acht Kilometer von dem Wrack entfernt lag, wurden bisher mit Hubschraubern nach Kairo geflogen und dort in der Zeinhom-Leichenhalle aufgebahrt.
Bei dem Unglück starben alle 224 Passagiere an Bord, darunter 25 Kinder und sieben Besatzungsmitglieder. In Russland herrschte am Sonntag Staatstrauer, die Fahnen am Kreml hingen auf Halbmast.
Die Regierungen in Kairo und Moskau traten derweil Spekulationen entgegen, die Zivilmaschine könnte von Terroristen abgeschossen worden sein. Am Samstag hatte der sogenannte Islamische Staat (IS) in einer Internetbotschaft behauptet, das Flugzeug mit „über 200 russischen Kreuzrittern“ sei von „den Soldaten des Kalifates“ über dem Sinai zerstört worden. Parallel dazu tauchte auf YouTube ein mysteriöses, inzwischen entferntes Video auf, auf dem – unterlegt von koranischen Gesängen – der Abschuss eines großen Flugzeugs am blauen Himmel zu sehen ist, das dann mit einer schwarzen Rauchfahne gen Erde rast. Das sei die Rache „für die Dutzenden, die täglich in Syrien durch eure Bomber getötet werden“, heißt es in dem IS-Text.
Der russische Verkehrsminister Maxim Sokolow erklärte, „allen Daten zufolge, die uns Ägypten zur Verfügung gestellt hat, sind diese Behauptungen unglaubwürdig“. Ägyptens Premierminister Sherif Ismail versicherte, die Terroristen auf dem Sinai besäßen keine Raketen, die einem Flugzeug in – wie diesfalls – 9450 Meter Höhe gefährlich werden könnten.
Keine Flüge über den Sinai
Trotzdem wiesen große Gesellschaften wie Lufthansa, Air France-KLM und Emirates ihre Piloten an, vorerst den Sinai zu meiden. Die amerikanische Luftaufsicht hatte bereits im Frühjahr allen US-Gesellschaften empfohlen, über dem Gebiet eine Mindestflughöhe von 8000 Metern einzuhalten. Die bergige und zerklüftete Absturzregion Jabal Halal etwa 100 Kilometer südlich der Provinzhauptstadt El-Arish gilt als Rückzugsgebiet für Terroristen, die sich seit zwei Jahren einen Krieg mit Ägyptens Armee liefern.
Die russische Urlaubermaschine war am Samstagmorgen gut 20 Minuten nach dem Start im ägyptischen Badeort Sharm el-Sheikh auf dem Weg nach St. Petersburg abgestürzt. Erste Berichte, wonach der Pilot der Flugsicherung ein technisches Problem meldete und um Erlaubnis für eine Notlandung bat, wurden vom ägyptischen Luftfahrtminister Mohamed Hossam Kamal später dementiert. Nach seinen Worten war der Funkverkehr mit dem Boden völlig normal, bis er plötzlich abbrach.
Stimmenrekorder und Flugschreiber wurden inzwischen geborgen und sollen so schnell wie möglich ausgewertet werden. Nach Informationen der Website FlightRadar24 verlor die Maschine schlagartig an Geschwindigkeit und stürzte innerhalb von Minuten aus ihrer Reiseflughöhe zu Boden. Zum Zeitpunkt des Unglücks herrschte über dem Sinai gutes Wetter. Die russische Nachrichtenagentur RAI Novosti berichtete, die Besatzung habe letzte Woche über Schwierigkeiten mit einem Triebwerk geklagt. Die Frau des Kopiloten erklärte gegenüber russischen Medien, ihr Mann habe vor Abflug am Telefon gesagt, der technische Zustand des 18 Jahre alten Airbus A-321 lasse sehr zu wünschen übrig. Die Unglücksmaschine gehörte der sibirischen Fluggesellschaft Kogalymavia, die unter den Namen Kolavia und Metrojet operiert.
Rückschlag für Tourismus
Für den ägyptischen Tourismus könnte der Absturz einen weiteren schweren Rückschlag auslösen. Die russischen Badegäste waren im vergangenen Jahr 2014 mit gut drei Millionen Menschen die größte Gruppe unter den ausländischen Urlaubern. Reisebüros in Russland locken mit günstigen Pauschalangeboten. Eine Woche Ägypten mit Flug und Vollpension ist für russische Kunden bereits für 400 bis 500 Euro zu haben. Entsprechend gering sind die Gewinnspannen auch für die Chartergesellschaften, die versucht sein könnten, an der Wartung ihrer Maschinen zu sparen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2015)