Großbritannien: Was Brüssel Cameron anbietet

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Der Premier will seine Forderungen für eine EU-Reform in einem Brief an Ratspräsident Tusk darlegen. Die Kommission zielt auf einen Deal wie 1992 mit Dänemark.

Wien/London/Brüssel. David Cameron will aufs Tempo drücken. Noch in dieser Woche wird der britische Premierminister in einem Schreiben an Ratspräsident Donald Tusk darlegen, wie eine grundlegende EU-Reform im Sinne der Regierung in London aussehen soll. Spätestens beim Treffen der Staats- und Regierungschefs Mitte Dezember dürfte das Papier dann Gegenstand heftiger Debatten sein, geht es doch um die vier heiklen Themenbereiche Wettbewerbsfähigkeit, die Option, sich nicht an einer vertraglich vorgesehenen, „immer engeren Union“ zu beteiligen, die Beschneidung von Sozialleistungen für EU-Einwanderer und die Stellung von Nicht-Euroländern innerhalb der Union.

Der Gipfel vor Weihnachten gilt als entscheidend für das weitere Vorgehen Camerons im Vorfeld des In/Out-Referendums, das spätestens 2017 stattfinden soll. Sollten keine Zugeständnisse gemacht werden, mahnte der Premier bereits bei einem Parteitag seiner konservativen Tories Anfang Oktober, könne er nicht garantieren, sich wie angekündigt für den Verbleib seines Landes in der EU starkzumachen.

Keine Vertragsänderungen vorgesehen

Um dieses Worst-Case-Szenario zu vermeiden und auch die übrigen 27 EU-Mitglieder ins Boot zu holen, hat die Kommission nach Informationen der Website Politico nun einen Plan ausgearbeitet, der möglichst alle Seiten zufriedenstellen soll. Dabei dürfte die Behörde insbesondere darauf abzielen, eine Vertragsänderung – die ja einen langjährigen politischen Prozess an Ratifizierungen in den nationalen Parlamenten nach sich ziehen würde – zu vermeiden. Stattdessen soll der Vertrag von Lissabon in manchen Punkten „neu interpretiert“ werden, heißt es in dem Bericht. Die Kommission hoffe darauf, mit Großbritannien einen ähnlichen Modus zu finden wie im Jahr 1992 mit Dänemark, als dort der Vertrag von Maastricht abgelehnt wurde: Der Regierung in Kopenhagen wurde damals eine Reihe von Ausnahmerechten gewährt; so etwa in der Verteidigungspolitik oder beim Euro.

Umgelegt auf die britischen Forderungen nach mehr nationaler Souveränität könnte ein Deal mit Brüssel laut Politico ein wesentliches Zugeständnis beinhalten: Das im Vertrag festgehaltene Vorhaben einer „immer engeren Union“ muss für Großbritannien nicht automatisch mit einer vertieften EU-Integration einhergehen. Gleichzeitig soll London eine engere Zusammenarbeit der übrigen Mitgliedstaaten nicht blockieren können. Auch will die Kommission nationalen Parlamenten im EU-Gesetzgebungsprozess mehr Rechte einräumen: So könnte ein „red card system“ eingeführt werden, das Bürgervertretungen die Möglichkeit gibt, unerwünschte Vorschläge der Behörde zu torpedieren.

Nach Camerons Vorstellungen soll Großbritannien künftig aber auch mehr Mitspracherechte bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen der Euro-Gruppe haben. Die Brüsseler Behörde will diesem Wunsch mit dem Kompromiss nachkommen, dass Nicht-Euroländer solche Beschlüsse verzögern können, indem sie den Rat zur abermaligen Überprüfung zwingen.

Der schwierigste Punkt in den Neuverhandlungen mit Brüssel aber dürfte die britische Forderung der Kürzung von Sozialleistungen für EU-Ausländer sein – wenngleich die Regierung in diesem Punkt nicht nur Gegenspieler hat: Am heutigen Dienstag reist Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) nach London, um sich dort mit seinem Amtskollegen Philip Hammond in der Frage auszutauschen. Auch Kurz ist dafür, mit Sozialleistungen „restriktiver“ umzugehen – um die wichtige Grundsäule der Freizügigkeit zu schützen, wie er sagt. Und selbst der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte jüngst eine Diskussion in der Sache angeregt. Laut Politico könnte die Kommission zumindest einwilligen, die Übergangsfrist für den Zugang potenzieller neuer Mitgliedstaaten zum EU-Arbeitsmarkt von sieben auf 20 Jahre zu verlängern – aber nur, wenn London im Gegenzug einer Erhöhung des EU-Budgets zustimmt.

EU-Befürworter werden weniger

Die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens ist immer wieder Gegenstand von Debatten: Befürworter eines Austritts, die auch unter den Tory-Hinterbänklern zu finden sind, argumentieren, dem Land würde es außerhalb der EU besser gehen. In der Bevölkerung ist die Frage unentschieden: Eine Umfrage des Instituts Ipsos Mori von Ende Oktober zeigt aber, dass immer weniger Bürger angesichts der Flüchtlingskrise proeuropäisch eingestellt sind. Derzeit sind 52 Prozent der Befragten für eine Mitgliedschaft in der Union, im Juni waren es noch 61 Prozent. Für einen Austritt sind mittlerweile 39 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2015)

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