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Kurt Girk: Der letzte Wiener Natursänger

(c) Edition Lammerhuber
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Eine Legende aus Ottakring: Kurt Girk, 83, liebt und lebt die alten Lieder. Nun ehrt ihn ein Bild- und Essayband. „Die Presse“ traf ihn beim Heurigen.

Er ist eine elegante Erscheinung: Kurt Girk, der letzte Wiener Natursänger, achtet beim Outfit auf Details. Blitzblanke Budapester, gezackte Stecktücher, schnittige Pepita-Sakkos, ein scharf gezogener Scheitel. Wenn dann mit dem Einsetzen der Musik noch Leben in sein durchfurchtes Antlitz und seine sanft gestikulierenden Hände kommt, dann passiert verlässlich so etwas wie Magie. Die Behutsamkeit, mit der er Lebensweisheiten aus uralten Melodien kitzelt, würden genauso einen Tango- oder Jazzsänger adeln. Aber Girk ist Ottakringer, einer, der schon innerhalb des Gürtels Heimweh kriegt.

Zu seinen Soireen in Gewölben, Kellerwirtshäusern und Schanigärten Ottakrings pilgern in den vergangenen Jahren auch viele junge Fans. Zu den Fixpunkten seines Repertoires zählt „Zauber der Vorstadt“, ein Lied, das er mit besonderer Andacht singt. „In einem Garterl, gar net weit vom Wienerwald, so noch so hamlich liab a Amsel singt: Ja dort vergisst a jed's sei Leid, ob jung, ob alt, wann süaß und zart a Weanalied erklingt.“

Mängel werden in Girks Welt nicht selten zu Vorzügen. Das rührt aus seiner Biografie. Die Nazi-Zeit und den Zweiten Weltkrieg hat er tapfer mit seiner Mutter ertragen. „Der Hitler? Die Leute haben damals direkt auf eine Art Erlöser gewartet. Die haben nicht geahnt, was auf sie zukommt. Die haben geglaubt, das wär ein franker Bursch.“

Das bald fatalistische, bald lebenslustige Wienerlied hat den heute 83-Jährigen schon früh interessiert: „Straßensänger waren damals verboten. Wir Buben sind aber mit ihnen mitg'rennt und haben aufgepasst, dass kein Wachmann kommt. Dafür haben wir ein paar Groschen bekommen. Ein Schilling war damals viel Geld. Meine Mutter hat damals für zwei Schilling sechs Leute einen Tag lang verköstigen können. Mein Vater war arbeitslos, leider. Der hat viel mitgemacht. Er hat uns nichts bieten können. Wir waren trotzdem sehr zufriedene Kinder.“

Im eben edierten Prachtband „Kurt Girk“ ortet Autorin Elke Atzler gerade in der frühen Armut den Ursprung seines Lebensethos: „Treue, Zusammenhalten, Teilen.“ Als Sänger debütierte er im Etablissement Weingartner in der Ottakringer Straße. „Das hat um vier Uhr nachmittags aufgesperrt, und um Viertel fünf hast du keinen Platz mehr gefunden. Da gab es einen Sänger, den Herrn Karl Loserth, der hätte auch in der Oper singen können, so gut war der. Der hat mir einiges beigebracht, was selten war, weil die Sänger gewöhnlich aufeinander eifersüchtig waren.“

Brotberuf als Alteisentandler

Seine Gesangsleidenschaft musste sich Girk mit harter Arbeit finanzieren. Zunächst als Schneider, dann machte er sich mit Handkarren, später mit Ross und Wagen als Alteisentandler einen Namen. „Es war die Schrottzeit, jedes zweite Haus war zertrümmert. Da war viel zu tun. Ich bin durch die Straßen gefahren, hab ab und zu einen kleinen Schrei gemacht und die Leut hab'n runtergebracht, was nicht mehr brauchbar war.“

Viele Jahre lang bildete Girk mit dem Knöpferlharmonika spielenden Bäcker Heini Griuc ein Duo. „Der Heini hat halt ein Herz gehabt. Seine Arbeit als Bäcker hat er wegen der Musik aufgeben müssen. Er hat dann stattdessen Schlachtvieh nach St. Marx getrieben. Bei manchen Gelegenheiten haben wir dort in der Rinderhalle gesungen. Auf der Landstraße, kurz vor der Schlachthausgasse, hat die Mally Nagl eine Trafik gehabt. Wenn sie mein Pferd gehört hat, ist sie rausgestürmt und gleich mitgekommen.“

Das Geschäft ging so gut, dass „das Geld in Schaffeln gesammelt wurde“. Doch das Glück blieb ihm nicht hold. Das Anstreifen an das Milieu des Stoßspiels blieb nicht ohne Folgen. Girk musste wegen einer mysteriösen Sache sechs Jahre ins Gefängnis. Gesungen hat er auch in der Karlau.

CD „Küssen! Singen! Trinken!“

Nach seiner Entlassung 1974 ging es dank Erhard Busek und Jörg Mauthe, die sich fürs Wienerlied einsetzten, rasant bergauf. Sendereihen auf Radio Wien, u. a. gestaltet von Ernst Weber, Ko-Autor des Buchs über Girk, machten das traditionelle Wienerlied der Natursänger einem neuen Publikum bekannt. Damals junge Künstler von Roland Neuwirth bis Karl Hodina legten bald die Basis für eine Renaissance des Wienerlieds. Trotz aller dekonstruktivistischen Posen respektieren auch heutige Combos wie die Strottern und das Kollegium Kalksburg den alten Girk. Dessen letzte, dem Buch beigelegte CD „Küssen! Singen! Trinken“ wurde von Hans Peter Falkner (Attwenger) produziert. Die Seligkeiten, von denen Girk hier schwärmt, bekommen in unseren zunehmend lustfeindlichen Zeiten einen überraschend subversiven Zug. Die schwebende Leichtigkeit, mit der er von „Wein, Weib und Gesang“ schwärmt, ist sowieso unerreicht.

Nächstes Konzert: Do., 5. 11., 19.30 Uhr, Weinschenke Steirer Alm, Wien 16, Heigerleinstraße 1.

Buch: „Kurt Girk“ von Elke Atzler, Stephan Mussil und Ernst Weber, Edition Lammerhuber

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2015)

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