Gerüchte vom nahenden Rücktritt des Papstes sind stark übertrieben

Franziskus sieht sich mit VatiLeaks II konfrontiert. Vorgänger Benedikt hat nicht zuletzt wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente resigniert.

Die einen sehen im Zuspielen vatikanischer Dokumente an Buchautoren den Teil eines großen Plans, Franziskus, den Mann im Papstamt von weit her (außerhalb des Systems Vatikan und Italien nämlich) zu Fall zu bringen. Ihn so lang unter Druck zu setzen, wenn es sein muss, verächtlich zu machen und sich seinen Plänen ostentativ oder diskret zu widersetzen, bis Franziskus entnervt aufgibt.

Wie schon dessen Vorgänger, Benedikt, als dieser gemerkt hat, dass ihm die Fähigkeiten so gänzlich fehlen, im Vatikan aufzuräumen. Zurzeit steht, das macht die Sache für Franziskus nicht leichter, mit Lucio Angel Vallejo Balda jemand im Verdacht, Papiere über finanzielle Unregelmäßigkeiten bis kriminelle Machenschaften des Vatikans weitergegeben zu haben, den er ursprünglich als Troubleshooter für die Vatikan-Finanzen geholt hat. Der Spanier ist Prälat des alles andere als für seine kirchenreformerischen Fantasien bekannten Opus Dei.

Die anderen wiederum sehen in VatiLeaks II gar die Handschrift von Franziskus selbst, der durch das Öffentlichmachen von Missständen gleichsam über die Bande Reformen, die ihm viel zu langsam gehen, auf die härtere Tour durchboxen will. Immerhin gilt die Erhöhung des Leidensdrucks in der Psychologie als relativ probates Mittel, Veränderungen in trägen Systemen (und bei Menschen) zu erreichen.

Die Wahrheit liegt, selbst wenn es noch so unspannend sein mag, dazwischen. Natürlich steht dieser Papst in der Kritik wie keiner seiner Vorgänger in der jüngeren Kirchengeschichte. Nicht von außen, nicht von der Kirchenbasis her, da erfreut er sich großer Beliebtheit, wie erst vor wenigen Tagen eine Umfrage in Österreich ergeben hat. Seine vermeintlich engsten Mitarbeiter, Teil der Kurie im Vatikan und der über die Welt verstreuten 5000 Bischöfe, sehen in ihm die Antithese zu Benedikt XVI. und Johannes Paul II. Mit Recht. Denn das Verständnis dessen, wie sich die katholische Kirche der Gegenwart zu stellen, wie sie ihre genuine Botschaft zu buchstabieren hat, weicht tatsächlich deutlich von dem ab, was da in den vergangenen Jahrzehnten in Rom so gepredigt und vorgebetet wurde. Wurden Kritiker am römischen Kirchenkurs – und derer gab es nicht wenige – vom Vatikan öffentlich gemaßregelt zum Schweigen verpflichtet oder suspendiert, sitzen die prononciertesten Kritiker des Papstes nun im Vatikan selbst. Und sie machen teilweise aus ihrer dezidierten Ablehnung auch außerhalb der Kolonnaden des Petersplatzes kein Geheimnis.

Wie sehr sie sich mit der Art und Weise ihres Widerstands selbst für einen Dialog auf der Höhe der Zeit und mit Einschränkungen vermutlich auch für die Ausübung ihres Amtes disqualifizieren, beweist das tragisch-skandalöse Beispiel des Afrikaners Robert Sarah. Er ist nicht irgendein Bischof aus Ghana, sondern Kardinal – und sogar Chef eines der vatikanischen Ministerien, der auch nicht eben unbedeutenden Gottesdienst-Kongregation. Bei der jüngst zu Ende gegangenen Familiensynode hatte er IS, Homosexualität und Abtreibung in einem Atemzug als „apokalyptische Bestien“ bezeichnet. Nicht genug damit, verglich Sarah allen Ernstes „Homosexuellen- und Genderideologie“ auch noch mit Nationalsozialismus und Stalinismus.

Öffentlich zu wenig gewürdigt wurde die Distanzierung von dieser Wortmeldung, die die von Kardinal Christoph Schönborn moderierte deutsche Sprachgruppe in ihrem Papier ausgesprochen hat. Dass es der Synode als Ganzes gefallen hat, zu diesem Eklat öffentlich besser zu schweigen, schmerzt, auch wenn es gruppendynamischen Prozessen und der Natur eines katholischen Synodenpapiers geschuldet sein mag.

Schwer vorstellbar, dass Mario José Bergoglio vor seiner Wahl zum Bischof von Rom geahnt hat, wie groß die Widerstände gegen eine Kurskorrektur und vor allem die Missstände im Vatikan sein werden. Schwer vorstellbar auch, dass sich ein Mann, der in Argentinien eine Militärjunta überstanden hat, beugen lässt und resigniert. Franziskus weiß auch um die so vielen Hoffnungen, die von so vielen in ihn projiziert werden. Nicht alle wird er erfüllen können.

E-Mails an: dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2015)

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